Mehr als hundert Jahre ist es her, dass Sergej Diaghilew, russischer Entrepreneur und Impresario (Produzent würde man heute einfach sagen) auszog, um dem westlichen Europa russische Kultur näher zu bringen. Zeigte er anfangs in den Saisons Russes Bilder und veranstaltete Konzerte, so hob er 1909 auch die russische Tanzkunst auf die Bühne von Paris. „Les Ballets Russes“ feierten 20 Jahre lang Triumphe und die Namen der Künstler - TänzerInnen ebenso wie ChoreografInnen, bildende KünstlerInnen wie auch Komponisten zählen heute noch zu den Besten ihres Genres.
In Kooperation der Theatermuseen in München und Wien ist eine Ausstellung zu diesem Jubiläum entstanden, die ihren bleibenden Wert durch den reichlich bebilderten Begleitband erhält. Darin geht es nicht nur um das Thema der Ausstellung, die „russischen Bildwelten“, wie es die beiden Kuratorinnen Prof. Dr. Claudia Jeschke, Ordinaria für Tanzwissenschaft an der Universität Salzburg und Dr. Nicole Haitzinger, ebenfalls an der Salzburger Fakultät beschäftigt, formulieren, sondern auch um den Stellenwert der Ballets Russes im der Geschichte des Balletts, um einzelne Produktionen, um die Rezeption der Ballets Russes in Mitteleuropa und ganz speziell um die Auftritte der Truppe in Wien. Namhafte Tanzwissenschafterinnen wie Andrea Amort oder Gunhild Oberzaucher-Schüller (um nur die hier bekannten zu nennen) haben Beiträge geliefert, die diese Glanzzeit der Ballettkunst noch einmal lebendig werden lassen. Im Beitrag über die Ballets in Wien kann man übrigens mit Erstaunen lesen, dass Bronislawa Nijinska Ballettchefin an der Wiener Oper gewesen war. Clemens Kraus hatte sie überredet, doch sie hielt es nicht lange aus an der Donau. Nach nur wenigen Wochen beendete sie im Herbst 1930 ihren Vertrag.
Interessant zu lesen ist auch, dass die Verklärung der Leistung Diaghilews und der von ihm engagierten KünstlerInnen eine nachträgliche ist. Zeitgenossen kritisierten nicht nur die Traditionsgebundenheit so mancher Aufführung sondern auch die Praxis, eigene Kompositionen für einen Ballettabend zu bestellen. Spannend ist auch zu lesen, wie sehr „russisch“ das gesamte Diaghilewsche Unternehmen war, wie sehr die Ballette von den Strömungen in Russlands Kunst beeinflusst waren und sich mit diesen wandelten.
Zur Auffrischung bekannter Tatsachen dient der von Petra Kraus zusammengestellte Anhang über „wichtige Mitarbeiter“ (darunter natürlich auch Frauen und nicht nur die Nijinska) der Ballets Russes und die Stückbeschreibung einiger Produktionen. Ein Kalender der Tourneen rundet den informativen Anhang ab.
Der mit Tamara Karsawina als Feuervogel geschmückte Band ist kein Buch, das man im Regal verstauben lässt. Man wird es immer wieder zur Hand nehmen, sich an die Ausstellung erinnern, die Bilder genießen und sich beim Lesen der Texte die nicht nur russischen Bewegungswelten imaginieren.

Nicole Haitzinger / Claudia Jeschke: Schwäne und Feuervögel. Die Ballets Russes 1909-1929
Erscheinungsjahr: 2009
Henschel Verlag
ISBN: 978-3-89487-630-2

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Während sich die Medizin seit Langem mit der Beanspruchung des Körpers durch Bewegung und mit den positiven und negativen Folgen von Sport auseinandersetzt, so blieb bis vor kurzem der Tanz aus diesen Forschungen ausgeklammert. Seit nur wenigen Jahren hat sich nun eine eigene Disziplin für diese Kunstform etabliert, deren physische Leistungen denen von Hochleistungssportlern gleichen. Die Tanzmedizin ist von einigen ÄrztInnen etabliert worden, viele von ihnen haben nach ihren aktiven Tänzerkarriere den Sprung in die Medizin vollbracht und bringen nun die beiden Aspekte mit eindrucksvollen Ergebnissen sowohl für die Medizin als auch für den Tanz zusammen.
Dr. Liane Simmel hat im deutschsprachigen Raum den Begriff der Tanzmedizin entscheidend mitgeprägt, unter anderem durch Gründung des Vereins TaMeD, Tanzmedizin Deutschland e.V. 1997, die sie seither als Vorstand leitet und international vernetzt hat.
Ihr Engagement geht auf ein persönliches Erlebnis als junge Tänzerin zurück, die auf der Suche nach Hilfe für ihre Schmerzen von einem Arzt den wenig hilfreichen Rat bekam, mit dem Tanzen aufzuhören. „Wenn du weiter tanzt“, sagte er, „landest du im Rollstuhl“. Diese Erfahrung ist sicher kein Einzelfall.
Nun hat sie ein Standardwerk geschrieben, das TänzerInnen zur Selbsthilfe ermutigen möchte und ihnen jene Grundkenntnisse vermittelt, mit denen sie ärztlichen Rat selbstbewusster analysieren und einschätzen können.
Nach einer allgemeinen Einführung in die Anatomie des Körpers geht Simmel auf die von Verletzungen und Traumata besonders betroffenen Körperteile ein - die Wirbelsäule, das Becken, die Hüfte, das Knie und den Fuß. Die Gliederung der einzelnen Sektionen beinhaltet jeweils die Anatomie des Körperteils, die Effekte des Tanzens auf diesen, die of auftretenden Fehler beim Training („Tücken im Tanz“), einen Leitfaden zur Eigenanalyse sowie Tipps und Tricks zur Prävention.
Weitere Kapitel sind den psychischen Aspekten des Tänzerlebens, der Ernährung, der Frage des Wachstums, der Selbsthilfe bei Verletzungen und der Planung des Trainings gewidmet.
„Tanzmedizin“ ist ein umfassender Text mit vielen Abbildungen und Fotografien auf 271 Seiten. Dabei fällt störend auf, dass die Gegenüberstellung von Idealpositionen mit Fehlhaltungen viel zu wenig deutlich gekennzeichnet sind - ein Manko in diesem klar und verständlich aufgebautem Werk, das durch ein elfseitiges Glossar eine schnelle Suchhilfe bietet.

Liane Simmel: Tanzmedizin in der Praxis. Anatomie, Prävention, Trainingstipps
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-89487-596-1

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Der Name Palucca ist Programm. Die Tänzerin Gret Palucca (1902-1993) hat schon sehr früh erkannt, was sie damals noch gar nicht benennen konnte, nämlich wie wichtig ein Logo ist, eine CCI. Ihren Vornamen ließ sie weg, auf ihre ehelichen Namen verzichtete sie, sie war die Palucca. So trat sie auf, so unterschrieb sie ihre Briefe, so war sie über Deutschland hinaus bekannt.
In einer jüngst erschienenen Biografie erzählt die Hamburger Journalistin Susanne Beyer von der künstlerischen Strahlkraft der Tänzerin und gibt auch einen gut recherchierten Einblick in das Privatleben der Palucca. Gelungen ist diese Biografie vor allem durch die Öffnung der Archive der Akademie der Künste in Berlin. Bis 2003 war die reichhaltige Privatkorrespondenz der Palucca gesperrt, Beyer war eine der Ersten, die sie eingesehen und studiert hat. Aus den Briefen der Palucca aber auch aus Briefen und Tagebuchnotizen anderer, etwa der älteren Mary Wigman, entsteht das Bild einer fanatischen Tänzerin und einer zwiespältigen Frau.
Palucca war ein großer Name und ist es noch heute, nicht nur in Dresden, wo sie gelebt und gelehrt hat. Sie galt als die Erfinderin des modernen Tanzes und kann gut als Symbolfigur des vergangenen Jahrhunderts angesehen werden, das sie mit all seinen Wirrnissen erlebt hat. Die Palucca war immer da, egal wie sehr sich die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse änderten, Palucca kümmerte sich wenig darum, sie tanzte. Wie auch Mary Wigman, der Lehrerin, von der sie sich rasch entfernte und deshalb von der eifersüchtigen Wigman immer wieder als Konkurrentin gefürchtet wurde. Erst im hohen Alter fanden die beiden Frauen wieder innigeren Umgang miteinander. Wurde der Tanz der Palucca einmal als „leicht wie der Atem des Frühlings“ beschrieben, so könnte man den der Wigman als „dunkel wie eine Winternacht“ beschreiben. „Palucca tanzte mit dem Raum um sich herum und der Raum mit ihr“, schreibt Beyer, „sie machte ihn weiter und enger, stieß ihn weg und holte ihn zu sich heran. Der Raum war ihr Geliebter, ihr Partner, ihr Gegner, ihr Feind.“ Nicht nur in zwei Dimensionen wurde der Raum genutzt, sondern auch in der dritten. Paluccas Sprungkraft war unnachahmlich und ließ dem Publikum den Atem stocken. Man dachte, sie könnte in der Luft stehen. Die Tänzerin, als Gret Paluka geboren, gehörte zur ersten Generation Frauen, die sportlich sein wollten, athletisch. „Und wenn die Leute heute ihr Bewusstsein für den Körper schulen, für die Atmung und das Spiel der Muskeln, dann ist das auch Paluccas Vermächtnis“, sagt Beyer.
Was den Umgang mit den Mächtigen betraf, so kann man Palucca des Gleiche vorwerfen wie der Wigman: Sie passten sich an, kümmerten sich nicht um die Auswirkungen der Politik, solange sie selbst nicht davon betroffen waren, hatten ein einziges Interesse, zu tanzen. Beide Frauen fühlten sich geehrt, als sie 1936 von Joseph Goebbels eingeladen wurden, bei der Eröffnung der Olympischen Spiele aufzutreten. Nach dem Krieg ging die Wigman von Leipzig weg, nach Westberlin; Palucca aber blieb Dresden treu und tanzte nun für die Kommunisten. Dass sie sich auch selbst und ihrer Kunst treu blieb, hat ihr in beiden autoritären Regimes allerhand Schwierigkeiten eingebracht.
Beyer schildert Palucca als zwiespältiges Wesen, als Kobold, wie viele ihrer Freunde sie sahen, „ein Mensch dem nichts Menschliches fremd ist, ein stolzer Mensch, der mit niemandem tauschen würde, ein totaler Mensch, der immer derselbe ist und jedes Mal ein anderer“, wie ihr Geliebter der Kunstförderer Will Grohmann schrieb.
Susanne Beyer zitiert viel, belegt ihre Zitate auch akribisch im Anhang und hat dennoch eine gut lesbare und überaus interessante Biografie geschrieben, nicht nur was den Tanz der Jahrhundertfrau Palucca betrifft, sondern auch die Person, die nicht auf der Bühne stand. Auch wenn Paluccas Intimleben einiges an Tratsch und Klatsch hergegeben hat, so geht die Autorin mit der Frau Gret Palucca ebenso respektvoll um wie mit der Künstlerin. Palucca ließ sich zu ihrem 85. Geburtstag noch in der Semperoper in Dresden öffentlich feiern. Die Feier zum 90. verweigerte sie, sie wollte Ruhe. Nach dem Mauerfall hatte sie sich kaum mehr aus dem Haus in der Dresdner Wienerstraße bewegt. Diese letzte Wende konnte und wollte Palucca nicht mehr mitmachen. In die Kaiserzeit hineingeboren, hat sie tatsächlich ein ganzes Jahrhundert durchlebt und nahezu auch durchtanzt. So ist diese Biografie auch ein interessantes Stück Zeit- und vor allem Kulturgeschichte.

Susanne Beyer: Palucca. Die Biographie
Erscheinungsjahr: 2009
AvivA Verlag
ISBN: 978-3-93233-835-9

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Vor zwanzig Jahren hat Editta Braun ihre „company“ in Salzburg gegründet. Ein Jubiläum, dessen Wurzeln bis in die Kindheit reichen. Schon als kleines Mädchen, hat sich Editta tanzend bewegt. Und geträumt: „Ich allein auf der Bühne und alle klatschen.“ Allein stand sie zwar bei ihrem ersten Auftritt nicht auf der Bühne, geklatscht wurde aber. Immerhin war es die Uraufführung von „Mauergrauen“ zur Musik von Pink Floyd („The Wall“), 1982 im Salzburger Petersbrunnhof. Damals war Editta Mitglied des Kollektivs „Bewegungstheater Vorgänge“. Vier Jahre später stand sie dann doch quasi allein an der Rampe. Als Choreografin von „Lufus“ (2001 in „Luvos, vol.2“ zum Erfolgsstück variiert) erhielt sie in Bagnolet den 2. Preis allgemein und den Preis für die innovativste Choreografie. 1989 gründete die damals 30jährige ihre eigenes Ensemble, die editta braun company.
20 Jahre danach gibt es also nicht nur einen Grund zum Feiern, sondern auch eine Zwischenbilanz zu ziehen. Über den Tanz, den eigenen und den allgemeinen, die Kunst, so wie so, und das Leben. Editta Braun und ihre Herausgeberin Gerda Poschmann-Reichenau haben dafür gemeinsam mit der Tanz- und Theaterfotografin Bettina Frenzel einen feinst aufgemachten und reich illustrierten großformatigen Band aufgelegt, der nicht nur die dem Tanz Verbundenen begeistern kann.
„Tanz Kunst Leben“ erzählt von den 20 Jahren der editta braun company und regt auch zum lustvollen Lesen der vielfältigen Reflexionen von WeggefährtInnen, Mitgliedern der company, Tanz-Autorinnen, TänzerInnen und natürlich FreundInnen an. „Ein lebendiges Mosaik, geprägt von Bildern meiner Arbeiten und von den Stimmen der Menschen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten mit mir gearbeitet und meine Arbeit begleitet haben“, hatte sich Editta für das Buch gewünscht. Der Wunsch ist in Erfüllung gegangen, das zeigte sich bereits bei der Präsentation zur Eröffnung des Festivals „Österreich tanzt 09“ in St. Pölten.
Editta Braun mit einer lobhudelnden Hommage ehren zu wollen, hieße, diese lebendige, kluge, gesellschaftlich engagierte und warmherzige Frau zu verkennen. So weitet sich der Horizont des kulinarischen Bandes über die jubilierende Company und ihre Gründerin hinaus, bringt Sachliches und viel Poetisches und zeigt nicht nur das schillernde Spektrum und die immer wieder Grenzen überschreitende Bandbreite der Editta Braun, sondern auch, über alle immer wieder hoch kommenden Zweifel hinweg, die Lebenskraft des Tanzes. Ein Buch also, das nicht nur Freude sondern auch Mut macht.

Gerda Poschmann-Reichenau (Hg): Tanz Kunst Leben
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-8370-9762-7

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Alma Guillermoprieto begann ihre Karriere als Tänzerin, wechselte später zum Journalismus und wurde zu einer anerkannten Auslandskorrespondentin für Lateinamerika. Als solche schreibt sie Berichte für Zeitungen wie den New York Times und The New Yorker.
Ihr Aufenthalt in Kuba im Jahr 1970 ist für diesen Karrierewechsel bestimmt von Bedeutung gewesen. Als junge Tänzerin von 20 Jahren wurde sie von Merce Cunningham an die Modern Dance Abteilung der Escuela Nacional de Arte (ENA) entsandt, wo sie sechs Monate unterrichtete. Diese Erfahrung und wie ihre persönliche Entwicklung durch die gesellschaftlichen Wirren der revolución geprägt wurde, beschreibt Guillermoprieto in ihrem Buch „Havanna im Spiegel. Eine Erinnerung an die Revolution“.
Hier beginnt die Autorin, politisch denken zu lernen, stellt die richtigen Fragen, die sie sich aber nicht zu äußern traut, da sie sich dem Vorwurf, „konterrevoutionär“ zu sein, nicht aussetzen will. Sie erlebt die hehren Ziele der Revolution und die Unfähigkeit, diese umzusetzen. Da wäre etwa die berühmte „zafra“, die Zuckerrohrernte für die Castro der Nation 1970 das Plansoll von 10 Millionen Tonnen verordnetet. Eine ganze Nation nahm wie besessen an einem Projekt teil, das von vornherein zum Scheitern verurteilt war, nicht nur wegen der veralteten Maschinen und der Fehlentscheidungen im Aufbau einer Infrastruktur, die den Transport erst ermöglichen sollte. „Chicanos aus Los Angeles, Klavierschüler aus Cubanacán, Büroangestellte aus Camagüey ... über die geringe Produktivität dieser improvisierten macheteros machte sich keiner Gedanken“, schreibt Guillermoprieto „ … der körperliche Einsatz, den die zafra erfordert, lässt sich durchaus mit Tanzbewegungen vergleichen - man muss elastisch sein, um sich zum unteren Teil des Rohrs hinabzubeugen, der den größten Teil des Zuckers enthält, stark genug, um die Stangen mit einem einzigen Machetenhieb abzuschlagen, und genau, um von jedem einzelnen Rohr die Blätter zu entfernen und sie schnell zu bündeln -, und jeder Tänzer hätte Fidel sagen können, dass sich das weder an einem Tag noch in ein paar Tagen erlernen lässt ...“
Durch den Widerspruch zwischen der verehrende Begeisterung, die die Kubaner (und allmählich auch die Tänzerin) für Fidel und die revolutionären Helden zeigten und der Realität der revolutionären Alltags, fällt Guillermopietro in die Sinnkrise. Als nämlich das Scheitern des Mottos: „1970: Das Jahr der Zehn Millionen“ nicht mehr aufzuhalten ist, hält der charismatische Fidel Castro eine seiner langen Brandreden. Und am Ende hieß es wieder: „Con Fidel. Hasta la victoria siempre. Patria o muerte. Venceremos“.
Die Obsession, mit der die Guerilleros den Märtyrertod glorifizierten, löste bei Guillermopietro eine wahre Sinnkrise aus, die in (ganz unheldenhaften) Selbstmordgedanken mündete. Denn auch der Tanzunterricht bot keine Erleichterung, denn im Studio gab es keine Spiegel und noch vieles andere nicht: „Keine Musik, katastrophale Akustik, schlecht verpflegte Studenten, keine Idee, wie der Unterricht am nächsten Tag aussehen soll … Es gab niemanden, den ich hätte um Rat fragen können. Ich ließ einige Empfindungen vom Vormittag Revue passieren, an denen ich mich festhalten konnte … Doch dann überfielen mich Unruhe und Angst, die seit dem ersten Tag auf mir gelastet hatten, erneut mit einer Wucht, als würden sie mir die Luft aus den Lungen pressen.“
„Havanna im Spiegel“ ist ein exzellentes Buch, da es ein Stück Zeitgeschichte mit einem persönlichem Schicksal verbindet und dadurch den widersprüchlichen Geist der Kuba-Revolution in der Protagonistin reflektiert. Sehr flüssig geschrieben und schlüssig übersetzt von Matthias Wolf ist dieses Buch eine empfehlenswerte Lektüre, nicht nur für TänzerInnen.

Alma Guillermoprieto
Havanna im Spiegel
Berenberg Verlag
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-937834-3-37

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Die Jahrbücher der Gesellschaft für Tanzforschung sind Standardwerke für die tanzwissenschaftliche Literatur. Jedes Jahr wird ein anderes Thema unter die Lupe genommen und nach allen Richtungen erforscht. Bei der Themenwahl hat sich die Gesellschaft immer an zentrale Aspekte des Tanz gehalten. „Tanzforschung & Ausbildung“ war das Thema des Jahres 2008, „Tanz, Bewegung & Spiritualität“ ist der Titel des Bandes 2009, in dem der Mitherausgeber Thom Hecht schreibt: „Die Tanzwissenschaft hat sich als interdisziplinäre Wissenschaft etabliert. Obwohl sich die einzelnen Bereiche der Tanzwissenschaft immer weiter spezialisieren und damit eigentlich voneinander weg bewegen, ebnet gerade diese Spezialisierung einer zunehmenden Vernetzung und Integration von und mit sowohl benachbarten Disziplinen als auch weiter entfernt scheinenden Grundlagenfächern den Weg um den Tanz und die Tanzwissenschaft von multiplen Winkeln akademisch zu beleuchten.“
In diesem Sinne wird das Thema Spiritualität im weitesten Sinn interpretiert. Das Jahrbuch 2009 ist vom interdisziplinären, kulturspezifischen, bewegten und historiografischen Standpunkt aus gegliedert. Die akademischen Beiträge in dem Buch (jeweils mit einer weiterführenden Literaturliste versehen) sind daher breit gefächert und reichen von Beispielen aus dem Bühnentanz im weitesten Sinne über Tanztherapie, Kulturgeschichte, Gender Studies bis zur Tanzgeschichte. Dieser vielfältige Ansatz macht das Buch zu einer lohnenden und abwechslungsreichen Lektüre.
Der Begriff Spiritualität löst sich dadurch von seinen esoterischen und New-Age-Konnotationen und wird als der geistige Aspekt, der dem Tanz immanent ist, verstanden. So schreibt etwa Assia Maria Herwazinski in ihrem Text „Spiritualität in sozialen Tanzprojekten“ über den britischen Choreografen Royston Maldoom: „Die Motivation des britischen Tanzpädagogen Royston Maldoom kann durchaus als ‚spirituell' im Sinne individualistischer, verinnerlichter geistiger Haltung bezeichnet werden, die es ihm ermöglicht, unerschütterlich an die Fähigkeit jedes einzelnen Menschen zu glauben.“
Ohne die spirituelle Grundlage gäbe es die von Rudolf Steiner entwickelte Eurythmie nicht, der in diesem Band ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Aber auch viele Tanzpioniere am Anfang des letzten Jahrhunderts waren in ihrem Schaffen von einer spirituellen Mission erfüllt. In diesem Buch stehen dafür beispielhaft Ruth St. Denis, Mary Wigman und Rudolf Laban.
Die Spurensuche reicht aber bis in den Gegenwartstanz und führt zu Anne Teresa de Keersmaeker, die sich vom chinesischen „Buch der Wandlungen. I Ging“ inspirieren ließ und dies in ganz anderer Weise als Merce Cunningham.
Natürlich hätte man mit Beiträgen aus kulturspezifischen Tanzritualen ein ganzes Buch füllen können. Dagmar Ellen Fischer und Thom Hecht beschränkten sich auf die brasilianische Tradition des Candomblé und Batuque. Eine gute Wahl, denn die afrobrasilianischen Riten sind noch heute fest in der brasilianischen Gesellschaft verankert und lebendig.
Insgesamt birgt dieser Band sicher nicht nur jede Menge Food for Thought, sondern auch viele Ansätze, die zur Diskussion auffordern.

 

Dagmar Ellen Fischer und Thom Hecht (Hg.)
Tanz, Bewegung & Spritualität
Henschel Verlag
Erscheinungsjahr: 2009
ISBN: 978-3-89487-648-7

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Nahezu 20 Jahre lang hat der Fotograf Dieter Blum den Tänzer Vladimir Malakhov begleitet und gewiss jede Menge Bühnen- und Probenfotos gemacht. In seinem neuen, aufwendig ausgestattetem überformatigen Bildband aber wird Vladimir Malakhov nicht nur in Kostüm und Maske gezeigt, sondern völlig nackt.

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