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Substanz1Bereits zum dritten Mal wurde unter dem Titel „Unfolding Shapes“ ein abendfüllendes, mehrteiliges Programm gezeigt. Eines, das Jahr um Jahr überzeugender vorführt, dass in Graz eine zeitgenössische Tanzszene am Wachsen ist. Eine, die aus einem Nebeneinander nicht nur ein organisatorisches Miteinander erreicht, sondern auch ein Voneinander-Lernen und Miteinander im künstlerischen Arbeiten.

Drei der Produktionen verbindet bei aller formaler Eigenständigkeit eine lose gelegte, aber doch gemeinsame thematische Perspektive: die auf das Ich. In „Echos of Silence“, einer Choreografie von Xianghui Zeng, wird der Protagonist auf einen Weg der Befreiung von äußeren Beeinflussungen geschickt, um derart mit seinem eigentlichen Wesen in Kontakt zu kommen. Arthur Haas verkörpert den getrieben Suchenden. Andeutend, mit interpretationsoffener Abstraktion seines tänzerischen Könnens, erzählt er vorerst aus seinem engsten Bereich: Ein Spiegel, ein Sessel, Schattenprojektionen sind unterstreichend eingesetzte Requisiten. Zusätzlich zum eingespielten Text, zu seinen inneren Stimmen, zu imaginierten oder auch realen äußeren, die im bald geöffneten Raum von vier Tänzerinnen der Gruppe subsTanz versinnbildlicht werden. Das derart angelegte Wechselspiel zwischen Außenwelt‘ und dem Eigenen gelingt in immer wieder variierten und markanten Konstellationen, in unterschiedlicher Dynamik den Spannungsbogen haltend. Auch die Divergenzen im Außen, wo sich die Tänzerinnen zum Teil als „Mob“ präsentieren, findet dramaturgisch gut gesetzt seinen kämpferischen wie einlenkenden, szenisch gut umgesetzten Platz. 

Ann-Kathrin Adams choreografische Arbeit in „Nachhall“ mit den zum Teil selben Tänzerinnen von subsTanz wie bei Zeng geht einerseits stark von der Musik aus, von der Pēteris Vasks und seinem Streichquartett Nr.4. Sie ist andererseits eine sehr emotionale Umsetzung eines erinnernden, individuellen wie auch allgemeinen Ich mit all seinen Spannungen. Und sie ist formal wiederum eine kreative und stimmige Auseinandersetzung mit dem Wechselspiel zwischen ‚Compagnie‘ und einem Solisten; in diesem Fall zweier Solistinnen, von denen eine sie selbst, Adam, und diese in Spitzenschuhen verkörpert. Eine ungewöhnlich Konfrontation von Stilrichtungen, eine visuell nahezu herausfordernde und gleichzeitig damit den Rezipienten bereichernde Arbeit. Insgesamt gesehen auch deswegen sehr gelungene, weil eine ganz dem Können der Compagnie entsprechende Tanzsprache zu erleben ist. Auch hier ist der Wechsel der Rhythmik gleichermaßen belebend für die Thematik wie herausfordernd für die beachtliche Leistung der Tänzerinnen. Adam selbst lässt in ihrer schwebend-traurigen Zartheit der Bewegung an einen Schwan denken – in bestem Sinne.

SplitIm Gegensatz zu diesen beiden tänzerischen Auslegungen eines Ich ist jene des Tänzer Choreografen Filip Löbl und seiner Partnerin in dieser Arbeit, Tura Gómez Coll, eine thematisch sehr spezielle und gleichzeitig besonders dramatische: Ein mit Schizophrenie konfrontiertes Ich steht hier im Mittelpunkt von „S-p-l-i-t“. Die sensible, zumeist zurückgenommen verharrende und tastende Annäherung an dieses Phänomen in der hier gezeigten Bewegungssprache, die mit vergleichbarer Kraft theatralisch-explosiv oder implosiv sich gebärdet, ist von besonders packender Qualität. In ihrer gerichteten Klarheit, in der Ausdrucksfähigkeit sich faustender oder spreizender Hände; in solchen, die an und um die Gurgel greifen, in Arme, die haltend umschlingen oder aber zum Schlagen sich erheben. Die beiden Tänzer charakterisieren neben Gespaltenheit aber auch ganz allgemein die Bedrohung, Einengung, Unterdrückung eines jedmöglichen Ich. Gewalt erweist sich hier nicht nur als eine imaginierte, sondern auch konkret alltägliche. Ein Tanzstück, das nachhaltig ist in seiner kraftvollen Bildsprache, die sich wunderbar fügt in den geradezu schmerzhaft eindringlichen Klang der Musik von David Gonzales.Differences

Thematisch von hoher gesellschaftlicher Relevanz und außergewöhnlich in seiner Präsentation in Verbindung mit der Sängerin/Sprecherin Ava Fina: das ‚Dance Theater Piece` „(Un)happy Differences“ der vielseitig ausgebildeten Tänzerin Ines Reisner. Eingebettet zwischen der Einstellung „I dare to dream“ sowie einem ‚fordernden‘ „I want to…“ und der Aufforderung nach Entscheidungsfreiheit für jede Frau, prangert sie die einengenden Gesellschaftsnormen für Frauen an. Ihr breitgefächertes zeitgenössisches Bewegungskonzept ist anfangs in harmonisch-weichem, den ganzen Körper erfassenden Fluss; lädt geradezu zum Mitbewegen ein. Auch wenn eine gewisse Leichtigkeit erhalten bleibt: Zielgerichtete Entschlossenheit und ebensolche Kraft und klaren Bewegungen gesellen sich immer deutlicher dazu. Hier bewegt sich jemand, um etwas, um jemanden, um vieles und viele zu bewegen. Diese sehr persönliche Körpersprache ist nichts Verstelltes oder gar Aufgesetztes und bleibt auch spürbar im Raum, wenn sie ihrer Live-Sängerin die Bühne überlässt und sie sich auf einen Platz im Zuschauerraum setzt – ohne, konsequenterweise, je in Ruhe zu verharren.  

UNFOLDING SHAPES, am 6. Dezember 2025 im Kristallwerk Graz 

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