Immer wieder überrascht das neueste Programmangebot von subsTanz mit inhaltlich wie formal weitgehend ganz Anderem. Auch bei dieser Premiere gelingt es dem künstlerischen Leiter der Grazer Kompanie für zeitgenössischen Tanz, Xianghui Zeng, verantwortlich für Konzept und Choreografie dieser Produktion, mit seinen Tänzern bislang wenig erprobte Wege zu erkunden. Und dies ist nicht nur mutig, sondern lässt vor allem auch alle Beteiligten am Neuen wachsen.
Auf einer durch eine dünne Wand zweigeteilten Bühne erlebt das ebenso geteilte Publikum abwechselnd und nacheinander eine von zwei Seiten von dem, was Leben bedeutet, wie und was es unter unzähligen Möglichkeiten sein kann, was es scheinbar ist. Die in beiden voneinander grundsätzlich unabhängigen Stücken Gemeinsamkeit ist das Neben- und Miteinander von Sein und Schein. Und dies in völlig konträrer Art und Weise – beachtenswert und kreativ diese Anordnung, diese zweifach doppelten Perspektiven!
Hinter der einen Tür in diesem 21.Stockwerk entfaltet sich ein atmosphärisch dichtes Gemälde drängender Sehnsucht und unerfüllter Liebe. Oskar Eon, ausgebildet am Conservatoire de Paris, verkörpert den verzweifelt Leidenden mit jeder Faser seines zeitgenössischen Tanzkönnens. In kontemplativer Ruhe von Einsamkeit betrachtet er eingangs ein an holländische Meister erinnerndes ‚Gemälde‘: nahe am Einschlafen – weil der Lauf der Dinge sich wiederholt? – gewinnt seine Realität der Verlassenheit die Oberhand, beginnt er, in enger Verbundenheit (und mit faszinierender Bewegungstechnik) mit seinem letzten Halt, einem Sessel, ein Reagieren auf die Gegebenheit; verwoben mit dem Traum von Ihr, die sichtbar im bzw. durch den Spiegel sich schemenhaft zeigt. Bis das Imaginäre sich realisiert, Sie (Ann-Kathrin Adam) in ausdrucksloser Zartheit wie gleichzeitiger distanzierter Expressivität sich ihm zu nähern sucht, ihm Herausforderung wie Unterstützung wird – in faszinierender Überlappung von Wirklichkeit und Traum, von gleichermaßen emotionslosem wie innigem, aber auch fordernd verzweifeltem, bodenverhaftetem und -suchendem Pas de Deux. Bewegungslos beobachtend, aber auch verträumt mitempfindend und sich bewegend die ‚Gemälde-Frau‘ (Aimée Natter-Fröhwein) aus ferner, anderer Zeit, als alles anders, nein, auch damals schon so war wie heute. Gähnend zieht sie sich in ihre Bewegungslosigkeit schließlich zurück, beendet sie diese „Bestandsaufnahme“ von dem, was an Unerklärbarem immer und immer wieder sich vollzieht, Leben ausmacht.
Ganz im Jetzt verwurzelt die Szenerie, die sich jenseits der Wand, von wo die laute Musik, das Herumtollen und Lachen immer wieder zu hören war, in scheinbarer Unbeschwertheit abspielt. Doch wie überlappend auch hier Sein und Schein dominieren, Sicherheit und Geborgenheit abhandengekommen sind, verdeutlicht ein über der Bühne hängender, riesiger schräger Spiegel, der die am Boden Agierenden als an der Wand Hängende, durch die Luft Schwebende erscheinen lassen. Auch ihr Interagieren ist letztlich emotionsbefreit, in einem tieferen Sinne kontaktlos. Nicht nur den ins Handy Vertieften fehlt das Interesse an echtem Miteinander. Es sind Solisten in Aktion, die Wirklichkeit hat ihren Realitätskern verloren, wurde durch Ersatzhandlungen verdrängt. Eine bunte Spaßgesellschaft tummelt sich pausenlos und inhaltsleer.
Mit der Zeit laufen allerdings, wenn auch in gewisser Weise vielleicht beabsichtigt, die durchaus ideenreichen Bewegungs-Sequenzen unterschiedlicher Konstellationen ein wenig ins Leere, die gespiegelten und längere Zeit auch faszinierenden, dynamisch mitreißenden Scheineffekte ermüden etwas und lassen das abschließende metaphorischen Auflösen, Entschwinden nicht mehr wirklich tiefer greifen.
Floor 21, ein zeitgenössisches Tanzstück von subsTanz, Premiere am 20.Juni 2025 im Kristallwerk Graz