Physisches Theater und Tanztheater in einer Doppelvorstellung zur komplexen Thematik von Beziehung: solcher zur Umgebung im weitesten Sinne und jener zu (darin verwurzelten) Menschen. Ein zweigeteilter Abend mit einer ungeteilten Antwort des Publikums: mit der von tief Berührten und Begeisterten, die sich allesamt in bunt gemischten Paaren in solidarischem Tanz auf der Bühne drehten.
Auf offener Bühne wird das Publikum vom ersten Augenblick an in das hineingesogen, was die Welt im Innersten bewegt: ins Zwischenmenschliche. In die Welt der Beziehungen also, in ihre unendliche Vielfalt, in ihre klare Schönheit und in ihre ebenso große, tiefe Problematik; intrinsisch wie extrinsisch. „Mind the Gap“ von Flying Elephant, eine freie, 2019 von Seulki Hwang und Florian Entenfellner gegründete Company mit Sitz in Essen, deren künstlerische Arbeit sich zwischen Bewegung, Tanz, Schauspiel, Physical Theatre, Zirkus und Tanztheater bewegt, glorifiziert schon im Titel nichts von dem, was thematisch Fakt ist, was trennend sein kann. Wiewohl die beiden großartigen Protagonisten (Entenfellner und Lucas Lopes Pereira) anfangs eine Intensität von inniger Gemeinsamkeit in ihrem „einfachen“ Bewegen am Boden (Contacting in höchster Reinkultur) miterleben lassen, wie sie Seltenheitswert besitzt. Was diese Harmonie von außen wie von innen stören kann, das zeigen sie in einer außerordentlich klaren, körperlichen Intensität, deren professionelle Technik allein schon in ihrer kreativen Vielfalt des Miteinander, in der Variationsbreite der Darstellungsmittel („Objekttheater“ mit inbegriffen) den Atem anhalten lässt
Was sie mit nahezu schmerzlicher Offenheit thematisch in Bezug auf queere Beziehungen auf die Bühne bringen, lässt auch den oder die allerletzte(n) „(Vor-)VerurteilerIn“ verstummen. Eine wunderbare Mischung aus warmherzig beobachtendem Humor, ironischer Kritik und köstlich-schauriger Ironie in Mimik und Gestik verweben Leichtigkeit in dieses tiefernste Thema. Betrifft es doch außerdem und bei weitem nicht zuletzt in vielerlei Hinsicht auch jede andere Form der Beziehung. Und so manifestieren sich hier wie „dort“ Zweifel, Aggression, Rückzug und Annäherung, freudvolle Entspannung und egozentrischer „Platzkampf“. Dass eine Beziehung ihrer Art ganz besonders einer Beobachtung, Beurteilung und einem oftmals immer noch zerstörerischem Druck ausgesetzt ist, wird körperlich spürbar, während es den Betroffenen - beinhart mittels Ton- und Videoeinspielungen unterlegt – nicht nur den Atem, sondern auch die (Bewegungs-) Sprache verschlägt. Nein, da wird nichts schöngeredet; da wird in bewegte Körper-Bilder gegossen – bis sich …auch das tief bewegte Publikum bewegt.
Vorab eröffnete die freie zeitgenössischen Tanzkompanie La Intempestiva das Programm mit "Zweiheit". 2020 mit Sitz in Linz und Salzburg gegründet, wird sie von Reinier Martínez und Simona Štangová geleitet. In wiederholten, nur ein wenig variierenden Bewegungsbildern werden ein Tisch und Sessel auf der ansonsten nahezu leeren Bühne an unterschiedlichen Orten platziert. Diese derart angedeutete Suche nach einem, nach seinem eigenen, individuellen und Halt gebenden Raum, seine versuchsweise Aneignung, das unsichere, entmutigte, routinemäßige, aber auch hartnäckige oder mit den beiden anderen Protagonisten konkurrierende Bestreben des In-Beziehung-Tretens mit diesem Raum stellt sich unterschiedlich einprägsam dar. Intensiver so manch gestische Rituale versuchter Kommunikation rund um den Tisch. Da keimt Ironie auf, wird Konvention witzig-feinsinnig in Frage gestellt, werden polarisierende Standpunkte deutlich. In einzelnen, vor allem kurzen solistischen Szenen am Sessel oder in einer Art Pas de Deux rund um den Tisch wird das hohe tänzerische Bewegungspotenzial der drei Performer (Júlia Farkas Chiara, Görig Reinier, Martínez Badilla) zwar ersichtlich, nimmt aber doch nicht überzeugend ausdrucksstark und damit tiefgreifend genug anhaltend so sehr mit, wie es dies wahrscheinlich sein könnte und sollte. Sobald die sehr feinen eingeblendeten Texte zum Thema von Identität und der Suche nach seinem ureigenen Platz in und auf dieser Welt das minimalistische Geschehen begleiten, gewinnt die Performance an Griffigkeit und Kraft, vermittelt sie sich nachhaltiger.
MIND THE GAP by Flying Elephant; Doppelvorstellung mit ZWEIHEIT by La Intempestiva am 23. Mai 2025 im Theater am Lend, Graz