Es sind bleibende Bilder. In ihrem einprägsamen Minimalismus der Bewegungen sind es interpretationsoffene, herausfordernde Bilder, die mitempfinden und vor allem auch denken lassen. Ein wenig vergleichbar hoffentlich mit und andockend an die vielen Gefühle und Gedanken von Jing Hong Okorn-Kuo, die zu dieser Performance geführt haben.
Geboren in Singapur schloss Jing Hong Okorn-Kuo in of Iowa (USA) mit einem BA in Tanz und einem BFA in Psychologie so wie anschließend bei Phillip Zarrilli an der Universität Exeter (UK) mit einem MFA in Theaterpraxis ihr Studium ab. International als Performerin, Choreografin und Regisseurin ihrer eigenen Werke gefragt, arbeitet sie außerdem als Dramaturgin, Trainerin und Lehrerin so wie etwa auch als Gastprofessorin an der School of Dance der National Taipei University of the Arts (Taiwan) und unterrichtet Choreografie und Phillip Zarrillis Ansatz für das Schauspieltraining. Seit mehr als 10 Jahren ist ihr Lebensmittelpunkt trotz all dieser weltweiten Tätigkeiten aber in Graz, gut in der Szene integriert und geschätzt für ihre unterstützende Mitarbeit und ihren Unterricht.
Der Titel von Hong Okorn-Kuos Soloperformance scheint auf Dramatik hinzuweisen. Und um tief Dramatisches dreht sich auch das Erzählte, um das hoch intensiv körperlich Dargebotene (das dennoch auch und richtigerweise über Lautsprecher textlich gekürzt Eingespielte). Schritt um Schritt, nein, ‚Zehe um Zehe‘ ringt die Betroffene, die Künstlerin um tragfähigen Boden unter ihren Füßen. Mit nahezu grenzenloser Langsamkeit steigt sie in das, was Realität ist. In das, was die Folge von Gegebenheiten und/oder Entscheidungen ist und sein muss. Die symbolisch zugrundeliegende Erzählung ihres Großvaters, ein fernöstlicher Mythos von grausamer Konsequenz, mag für die Verwurzelung in der ureigenen Kultur stehen. Die Zeitlosigkeit derartiger Problematik malt die Künstlerin hier und jetzt mit hochkonzentriert reduziertem wie explosivem Ausdruck ‚unbarmherzig‘ in den Raum. Mit unentrinnbarer Zielstrebigkeit, wiewohl Höhen und Tiefen durchschreitend, nimmt sie Blickkontakt zu einzelnen des im Kreis sitzenden Publikums auf: Denn ja, der Entscheidungszwang und die daraus resultierenden, beinhart sich verwirklichenden Folgen betreffen jeden und jede tagtäglich. Vorausdenkend leitet sie ihr Blick zum nächsten Schritt, zum Tun, in die Handlung, für die sie sich entschieden hat; auch wenn Unsicherheit und Angst ihre Mimik, die variierenden Bewegungen ihrer Arme und die Abwehr ihrer Hände und deren Schutz-Gestik, den Lauf der Dinge aufzuhalten drohen.
Eng verflochten mit dem im Mythos Erzählten beginnt sie, beginnt ihr Körper aufgesogen zu werden: Angedeutet im Eintauchen, im Verschwinden in ihr Kostüm, einer wunderbaren optisch wie funktionell gestalteten weißen Chaos-Kreation von Katharina Krois.
Dieses endgültig Ausgeliefert-Sein gegenüber bestehender Tatsachen wie gleichermaßen gegenüber den Folgen der eigenen kompromisslosen Haltung mündet in Trotz, in Verzweiflung, in Wut: in ein rhythmisch stampfendes, endlos wirkendes Drehen um die eigene Achse. Es ist, als bahnte sich hilflose Erleichterung Raum ob des Unvermeidlichen.
In vergleichbar berührender wie markanter, aber immer noch stark auf minimale, hochsensible Bildhaftigkeit reduzierte Szenerie, blättert die Künstlerin mit zärtlicher Aufmerksam die Geschichte auf, die ihr Vater erzählte. Abgeschlossen durch ihre mit eigener Stimme im Jetzt gestellte Frage nach dem, was von Wichtigkeit, von Würde, von Wert ist; und ob dies vielleicht im Zusammenspiel von Gegensätzen erkannt, erreicht und erfüllt werden könnte.
Unbeweglich sitzend in ihrer verschlungen-komplexen Gedankenwelt versunken und stimmig begleitet von Arne Glöckners zarter Klangmalerei schickt sie die gestellte, die unbeantwortete Frage in die umgebenden Bäume, zu den Vögeln und in den Straßenlärm des Alltags.
Jing-Hong Okorn-Kuo: “If It’s Red today”, Premiere am 14. Juni 2025, open air: Schützgasse 20, Graz. Weitere Vorstellungen am 28., 29. Juni, jeweils 17:30h