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Moar3Mit der Vielfalt, dem Faszinosum bewegungsimmanenter Bildsprache überzeugten zwei Präsentationen im Rahmen des Las Strada Festivals, wie es kontrastierender kaum sein könnte: Cirque Aȉtal in „À Ciel Ouvert“ und Valentina Moar in ihrer Choreografie „ICE UTOPIA“.

Auf der grünen Wiese, in einem Kreis altgedienter, angebrauchter Wohnwägen purzelt über-, unter- und durcheinander so manches von dem, was das unperfekte Alltagsleben mit Herausforderungen, Überraschungen, Unzulänglichkeiten, Schönheiten und Liebenswürdigkeiten da und dort so ausmacht. Es sind kleine witzige, ironische, unterhaltsame, aber auch kritische Miniaturen; szenische und kurzzeitig installative, chaotische und nachdenklich langsame, verträumte und emotionale, die der vielseitige Künstler Victor Cathala und die akrobatisch wie auch darstellerisch beeindruckende Kati Pikkarainen gemeinsam mit den ebenso spartenübergreifend agierenden Musikern Helmut Nünning und Hugo Pris auf diese außergewöhnliche und derart besonders lebensnahe, wenn nicht teils vertraute Mini-Bühne zaubern.Aital1

Nur naheliegend, dass dieses lebendige, immer wieder ziellos erscheinende Mit- und Gegeneinander nicht nur an vom Menschen unverstandenen Gewusel im Tierreich erinnert, sondern diese Spezies in Form von Hühnern, Gänsen und Tauben kurzzeitig auch in natura eingebunden wird. Überaus aufmerksam, geradezu rücksichtsvoll wird mit ihnen umgegangen. Zufrieden und mit kleinen, angeleiteten ‚Kunststückchen“ reagieren sie. Kleiner erhobener Zeigefinger: wie man in den Wald hineinruft…, oder: so achtsam sollte auch unter den Menschen umgegangen werden.

Aital2Weiters wird Sozial- und Gender-Problematik kurz angedeutet sowie in köstlicher Übertreibung Esoterisches mehrfach auf den Arm genommen; und, als akrobatischer Höhepunkt, die Frau von ihrem Partner: freilich liebevoll in einem bewundernswürdig akrobatischen Pas de deux. Schräg mitreißend Lachmuskeln aber auch Emotionen bewegend, dieses farbenfrohe Tableau. 

Einem einzigen, einem jedoch sehr mächtigen Thema widmet sich die neueste Regie-Arbeit Valentina Moars: dem Thema der Gletscher, dem der verschwindenden - in einem mächtigen, interaktiven Tanzstück. „ICE – UTOPIA“ ist ein bildmächtiges, assoziationsoffenes und doch sehr fokussiertes Zusammenspiel von zeitgenössischem Tanz, Interactive Art und Klangkunst.Moar1

In einem ersten Teil manifestiert sich der Gletscher als Körper, als sich ständig bewegender und somit in seiner Art als lebender Körper. Womit nahtlos die Verbindung zu all dem Leben um ihn herum und zum Menschen gegeben ist. Eine Verbundenheit, die in einer Choreografie umzusetzen Moar faszinierend gelungen ist: Weil ihre drei Tänzer - Gloria Ferrari, Dafne Secco, Xianghui Zeng – mit konzentriertem Feingefühl Moars Bewegungsvorgaben umsetzen. Das fundierte Können der drei KünsterInnen erscheint in der Realisierung des Darzustellenden nie oktroyiert, sondern als ureigene Notwendigkeit aus ihnen selbst und der Choreografin zwingend zu entstehen. So werden und sind die Ausführenden einmal Gletscher und einmal von diesem bedrohter und nachhaltig involvierter Mensch. Sie bewegen sich in professioneller Natürlichkeit, lassen als Gletscher und als Mensch das zeitimmanente Geschehen sichtbar werden – eindringlich und tief spürbar: explosiv und verschlingend im Feuer-Teil, einem sich immer mehr auflösenden, miteinander verschmelzenden Fließen im dritten, letzten Teil.

Moar2Das, was Paolo Scopolla interaktiv auf der riesigen Leinwand zeitgleich entstehen lässt, ist immer wieder Grafik gewordener Gletscher, in Struktur und Farbpracht; ist grafisch erweiterte Bewegung; ein kunstvoll erweitertes Bewegt-, Ergriffen- und Bedrohtsein. Dass, insbesondere im Teil der großen Schmelze, ein wenig an optischer Zurückhaltung gut möglich gewesen wäre, sei allerdings festgestellt. Zu Sopollas visuellen Höhepunkten zählt neben jenen der Feuerphase – das ist immer wieder bildgewordenen Bewegung vom Feinsten -jedenfalls das fade away der unscharfen menschlichen Körperumrisse als letzte Bilder. 

Sehr wesentlich zur Gesamt-, zur Tiefenwirkung dieser Performance trägt die Komposition Bojan Vuletic bei: Die zum Teil schmerzhafte Klarheit, ja Schärfe seiner Klangwelten – möge sie hier mittels Bewegung visualisiert über die hochaktuelle, weltweite Situation aufrütteln… - die körperlich spürbare Bedrohung, Entspannung, Hoffnung, Dringlichkeit wie Aussichtslosigkeit der Töne-gewordenen und weitgehend realistischen Utopie: Sie rundet musikalisch gleichermaßen klar wie eindringlich und ungewöhnlich gestaltet diese „immersive Reise interaktiver Bilder“. 

Cirque Aȉtal: „À Ciel Ouvert“, 29.Juli .24; Valentina Moar: „ICE UTOPIA“, 31. Juli 24 bei La Strada Graz