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Boussouf1Erst im Dezember letzten Jahres war Fouad Boussouf mit „Via“ im Festspielhaus St. Pölten zu sehen. Da teilte er sich den Abend des Ballet du Grand Théâtre de Genève mit Damien Jalet (tanz.at berichtete). Vier Monate später präsentierte Boussouf mit „Fêu“ einen hochenergetischen Einstünder, mit dem ein ausschließlich weiblich besetztes Ensemble das Haus zum Kochen brachte.

Es beginnt mit einem Gehen um ein kleines Feuer, ein gelbes, langsam pulsierendes Licht. Der Sound gibt einen Herzschlag dazu. Bühnenboden und Deckenlicht sind kreisförmig angelegt. Das Licht steigt auf, die zehn Frauen werfen die Oberkörper in einem rituellen Kreistanz vor und zurück. Die Bewegung im Kreis, vorwärts und rückwärts, gehend, laufend, hüpfend und springend im Takt der Musik, und das Schütteln und Schleudern der langen, offenen Haare werden zur vorherrschenden performativen Seinsweise der Tänzerinnen. Einzelne, jede einmal kommt zum Zuge, brechen aus für Soli, in denen sie mit sehr individuellen Moves ihre so unterschiedlichen Persönlichkeiten tänzerisch ausstellen.

Der marokkanisch-französische Choreograf Fouad Boussouf entwickelte sein Stück „Fêu“, das erstmals im Rahmen der Biennale de la danse de Lyon Ende September 2023 gezeigt wurde, zur Musik des DJ François Caffenne, der unter anderem regelmäßig mit dem Choreografen Olivier Dubois zusammenarbeitet (tanz.at berichtete zum Beispiel über „Tropism“). Der rhythmisch-flächige Sound Caffennes entwickelt sich in einer Welle, die an ihrem unteren Scheitelpunkt eine Phase der Ruhe, der Sammlung, Einkehr und Besinnung ermöglicht, bevor sich Musik und Tanz allmählich in einen Techno-Rausch hineinsteigern.Boussouf2

Allein der Titel des Stückes („Feuer“) triggert mannigfaltige Assoziationen, die sich alle als implizite Aspekte dieser Arbeit erweisen. Licht, Energie, Natur, eines der vier Elemente, Gefahr, Zerstörung, Reinigung, Helfer, Wärme, soziales und kommunikatives Zentrum. Im Gleichgewicht. Der Kreis als ein das Alles Umfassende - Symbol der Wiederkehr, der Unendlichkeit ohne Anfang und Ende, des ewigen Momentes, der Geschlossenheit, der Harmonie, der Sicherheit, des Weichen, des Weiblichen – ist das physische und spirituelle Zentrum dieser Performance. Rhythmus als fundamentales Element der Natur und der menschlichen Kulturen mit seiner universellen Repräsentation des Zyklischen treibt „Fêu“ bis in sein furioses Finale.

Der Tanz mischt Stile und Ästhetiken, zeitgenössisch und nordafrikanisch, Urban und Jazz, strotzt vor unmittelbarer, instinktiver und ehrlicher Körperlichkeit, ist Ritus und Trance (Anfeuerungsrufe und Schreie erhöhen das Energieniveau zusätzlich), ist ein ständiges Fließen mit dynamischen Variationen, ist Kollektiv und gleichzeitig Freiheit, ist Lebensfreude, -mut und -kraft, ist Toleranz und Akzeptanz. Sie leben eine tänzerische Willkommenskultur, wie sie in gesellschaftspolitischen Landschaften oft nur als Proklamation wahrzunehmen ist, bilden eine heterogene, solidarische Gemeinschaft als Heimat unterschiedlicher Charaktere, Herkünfte und Glaubensrichtungen. Mit Selbstverständlichkeit, Stolz und Selbstbewusstsein leben sie ihre Einzigartigkeit. Jede ist eine ganz besondere Hexe. Die Kostüme von Gwladys Duthil unterstreichen diese Individualität.

Boussouf4Aktuelle Bezüge schafft Boussouf durch orientalische Riten, durch die langen, offen getragenen und ekstatisch geschleuderten Haare (hier kommt einem die Freiheitsbewegung der iranischen Frauen in den Sinn). Auffällig ist die eine schwarze Tänzerin, die mit ihrer Körpergröße und der Länge ihrer mit unfassbarer Wucht geschleuderten schwarzen Haare das bravourös tanzende, speziell für dieses Stück gecastete Ensemble noch einmal überragt und die neben dem Temperament auch den Kampfesmut und den Freiheitswillen der afrikanischen Frauen, die die Energie eines ganzen Kontinents mit auf die Bühne bringt. 

Sie lassen sich treiben vom Rhythmus. Das sich Hingeben, das Ausleben einer ungezügelten Natürlichkeit, das Zulassen von ungeschützter Innerlichkeit und die rückhaltlose Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit reißen alle Barrieren zwischen Bühne und Tribüne nieder. Die rituellen, schamanistischen Tänze ermöglichen Selbstvergewisserung, aus der ungeheure Vitalität emporwächst hinein in stetig gesteigerte Spannung, mitreißende Intensität und geradezu brachiale Energie.Boussouf3

Tanzwut nannte es die künstlerische Leiterin des Festspielhaus St. Pölten Bettina Masuch nach der Vorstellung, und Empowerment. „Fêu“ ist ein antipatriarchales, feministisches Manifest, archaisch und zeitlos, dessen Geist, nicht gegen das Eine, sondern für das Andere einzutreten eine Einladung formuliert. Die zehn Frauen zünden ein tänzerisches Feuerwerk matriarchaler Energie, tanzen uns ihre Selbstermächtigung und das daraus entstehende Leben mit Leidenschaft und Zuversicht. Die Frauen, der Tanz und die Musik schließen sich zusammen zu einem organischen Ganzen und entwickeln gemeinsam eine hypnotische, heilende Kraft.

Fouad Boussouf mit „Fêu“ am 13. April 2024 im Festspielhaus St. Pölten.

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