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sold1Düsteres Finale beim 9. Inklusiven Festival „Grenzgänger“ in München mit dem Tanzstück „Sold!“der Unmute Dance Company aus Kapstadt: Themba Mbuli hat sich mit Horror beschäftigt. Präziser ausgedrückt mit jenem Real-Horror, den deutsche Kolonialherren vor 114 Jahren über Deutsch-Südwestafrika – das heutige Namibia – brachten. Skrupellos wurden einheimische Bevölkerungsgruppen enteignet und ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Bis sich 1904 die Herero, gefolgt von den Nama gegen die Unterdrückung wehrten.

Soweit die Vorgeschichte. In Mbulis einstündiger Performance für die Unmute („Werde laut“) Dance Company aus Kapstadt – Südafrikas einziger inklusiver Tanzgruppe – bleibt dieser Teil der Ereignisse von einst außen vor. Seine Tänzerinnen und Tänzer treibt in Kammer 2 der Münchner Kammerspiele stattdessen um, was nach den Aufständen begann: ein regelrechter Vernichtungsfeldzug mit unvorstellbarer Brutalität. Der erste Genozid des 20. Jahrhunderts, dem mehr als 100.000 Menschen zum Opfer fielen. Totenschädel beherrschen daher komplett das Stück.

Unter dem Titel „Sold!“ wird das Publikum tief in den Dschungel menschlicher Abgründe geführt. Genau den sucht die zum 9. Inklusiven Festival „Grenzgänger“ nach München eingeladene Gruppe aufzuarbeiten – in scharfen Worten (leider nicht durchweg zum Mitlesen übersetzt) und in rituellen, ja geradezu verzweifelten Handlungen wie Schubbern der Schädel mit den Händen oder Versuche, sich selbst die Haut vom Gesicht zu ziehen. Hinzu kam ein Bewegungsduktus, der statt ursprünglich-afrikanisch eher europäisch-modern anmutet. Beim Tanz mit den blanken Schädeln in den Händen schießen einem schon mal kurz Bilder von Mary Wigmans Ausdruckstanzchören durch den Kopf.sold2

Wirkung hat so eine Mensch-Masken-Assemblage trotzdem noch. Insbesondere mit dem Wissen, dass Leichen- oder Skelettteile aus den kolonialen Konzentrationslagern im Kaiserreich bei Medizinern und Wissenschaftlern begehrte Ware für rassenanthropologische Forschungen waren. „Verkauft!“ brüllen also die zwei Männer und vier Frauen, von denen eine aus ihrem Rollstuhl heraus agiert. Inklusion an sich hat an dieser Stelle, wie überhaupt bei diesem düsteren Festivalfinale thematisch keinerlei Gewicht. Mit Dumpingpreisen zwischen zwei und fünf Euro wird hier ausgelöschtes Leben verschachert. Grausam – und doch auch sinnlich-poetisch.

Zu Beginn spielt Musiker Neo Muyanga vom Regiepult das Rauschen einer Brandung ein. Es begleitet die Reise wohl jener 20 Schädel, die Deutschland den Stämmen 2011 zurückgab. Man erahnt sie – in ein großes blaues Tuch gepackt –, das von einer der Tänzerinnen huckepack geschleppt wird. Als ihr die Last zu Boden fällt und sie nach den Schädeln greift, beginnt der Totentanz. Unter Donnergrollen scheint Leben in die Kopfskelette zu fahren. Sie zerren quasi an den Armen der Frau, bis sich die Bewegungen mit jenen bis dahin im Dunkel verborgener Körper synchronisieren.

sold3Nicht alles gelingt an diesem Abend so klar wie diese Wiedererweckung der Toten. Lange schwammig bleibt etwa die Form einer weißen Mehlpfütze. Der Umriss Namibias, den man am Ende als Projektion auf einem im Hintergrund wie eine Tierhaut aufgespannten Laken zu sehen bekommt, sieht anders aus. Der Effekt, den Puder mit Händen zu zerteilen und ihn dann werfend, sich drehend und springend im ganzen Raum zu verteilen, während die Namen Algerien, Ruanda, Libyen, Nigeria oder Kenia wild durcheinander gerufen werden, macht sich – zumindest optisch – sehr gut. Dazwischen sackt dem seit Jahren immer wieder schlagzeilentauglichen Stoff (beispielsweise wenn Nachfahren der Völkermord-Opfer ihre Rechte vor Gericht einklagen) hinter atmosphärischen Findungen bisweilen das inhaltliche Fundament etwas weg.

Themba Mbuli, der „Sold!“ seiner Großmutter aus Soweto gewidmet hat, bei der er aufgewachsen ist, wollte den Bogen mit seiner Arbeit offensichtlich weiter spannen. Recht so. Aber aus der konkreten Fallstudie hier hätte er auch noch mehr herausholen können. Schließlich waren seine Interpreten aus dem Innersten heraus inspiriert. Applaudiert wurde am Ende nichtsdestoweniger – nicht allzu lang, aber heftig.

„Sold!“ der Unmute Dance Company am 22.3.2018 in den Kammerspielen (Kammer2) München im Rahmen vom 9. Inklusiven Festival "Grenzgänger"

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