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harwood

Die Internationale Bühnenwerkstatt und das Internationale Tanztheaterfestival Graz, vor 20 Jahren von Elio Gervasi und Ursula Gigler Gausterer gegründet, sind untrennbar miteinander verbundene Veranstaltungen und stehen am Sommerbeginn, am Ferienanfang: „selbstverständlich“ für Tanzinteressierte aus Graz und aus der Region, aber auch national und international bekannt und beachtet.

Und wenn nun angenommen wird, dass diese langzeitbewährte, hiermit also fast schon „in die Jahre gekommene“ Institution in erprobter Weise weitermach(t)e - den Fakten entspricht es nicht, jedenfalls nicht in seiner äußeren Erscheinungsform.

Denn die Veranstaltungsreihe des Festivals wurde heuer ins Freie verlegt (das Wetter spielte uneingeschränkt mit!), was - die Eröffnung ausgenommen – „auf die Straße“ bedeutete. Und dies nicht, wie die eine oder andere Hypothese lautete, weil es an entsprechenden Subventionen fehlte - diese sind seit Jahren vielmehr gleich. Der Grund ist ein noch „ernsterer“. Und wenn dieser Schritt hinaus, über Ab- (und zum Teil empfundenen) Ausgrenzungen hinweg zum Publikum hin auch nicht von jedem, jeder Einzelnen goutiert wird, dann ist das eben – ja: es ist Programm. Lautet doch eines der drei Schlagwörter, das die Eigendefinition, das Selbstverständnis der intendierten Klammer der Veranstaltung beschreibt : „provokativ“.

Ein anderes ist „zeitgemäß“ und dürfte in dieser Umsetzung, in dieser Form des Verlassens der traditionellen, gleichermaßen (für die Künstler) „sicheren“ wie (für das Publikum) „distanzierenden“ Bühne durchaus schon bekannt sein – allerdings vor allem aus anderen Bereichen. Aber eben auch im Tanzbereich gilt diese Frage und wurde von Gigler Gausterer am Eröffnungsabend auch dezidiert formuliert: „Ist das Theater noch zeitgemäß?“

Tatsache ist, dass das Publikum immer wieder nicht so sehr, also nicht gerade in großer Anzahl zum Tanz, zu Tanzpräsentationen geht; und daher gehe sie mit diesem Festival hinaus mit dem Tanz, hin zum Publikum!

Und diese mutige Konsequenz – auch basierend auf dem Wunsch, sie wolle sich „nicht mehr den Gegebenheiten und Bedingungen des Theaters anpassen“ – wurde belohnt: durch ein immer volles Haus – pardon: durch einen dichten, bis zur Hausmauer reichenden Kreis von auf dem Boden und den Sesseln Sitzenden und Stehenden; rund um das, was in einer Größe von zirka 34m2 als Bühne (in Form eines Tanzbodens) aufgelegt respektive angedeutet war.

Selbstverständlich gab es im Laufe der Veranstaltungen „Kinderkrankheiten“ zu „diagnostizieren“: akustischer Art etwa. Und es gab auch Terminkollisionen mit dem International Chorfestival, die eine Erweiterung des Tanzraumes auf die angekündigten „Straßen und Plätze“ der Stadt verhinderten und die „Urbanität“ für dieses Mal noch auf dem „Dorfplatz“ beließ, auf einen überaus charmanten freilich (auch, wenn ein Baugerüst ihn zierte, was aber eben städtischen Alltag ausmacht.). Und auch nicht jede Darbietung, nicht jede(r) KünstlerIn war für diese offene Situation hundertprozentig geeignet. Doch man war auch – wenn möglich - umgehend lernfähig: Die schlechte Sicht auf den Boden von den hinteren Reihen wurde beispielsweise schon bei der zweiten Vorstellung durch die Übertragung der Performance auf eine Leinwand wettgemacht – ein mehrfacher Qualitätsgewinn!

Aber/und auf jeden Fall wurde erreicht, dass der eine oder andere, unbedarft seines Weges kommend, über die eine oder andere Veranstaltung „stolperte“ – stehen blieb und in der einen oder anderen Weise zufällig einen (vielleicht sogar nachhaltigen) Zugang fand; zu einer Kunstform, die (vor allem) „er“, aber auch „sie“ bislang nicht zu verstehen glaubte!

Und die, die schon (lange) wissen, dass ihnen zeitgenössischer Tanz wichtig ist, waren ohnehin da.

Die vielen, die wie immer die bei der Bühnenwerkstatt angebotenen, unterschiedliche Interessen und Vorlieben abdeckenden Angebote an offenen Tanzklassen besuchen und jene für Profis, bei denen heuer erfreulicherweise die Nachfrage wieder einmal höher als in den letzten Jahren war, was sich schon bei der Bewerbung um die vergebenen Stipendien abzeichnete. Eine Bühnenwerkstatt, die übrigens erstmals ausschließlich im Probenhaus von Das andere Theater (DaT) abgewickelt werden konnte: dies, weil es seit Jahresbeginn ebendort die von DaT (Das andere Theater) initiierte, von der IGTanz urgierte und nunmehr von der IGTanz verwaltete Tanzebene gibt. (Dass die Mitgliederzahl der IGTanz Steiermark sich in diesen Tagen, in diesem positiven Umfeld um weitere 80 vergrößerte, sei der Vollständigkeit angeführt).

Das Internationale Tanztheaterfestival wurde am Sonntag, 10. Juli 2011, eröffnet; am Platz vor dem Orpheum, direkt gegenüber dem Probenhaus gelegen: von Andrew Harwood, dem großen Contact Performer, den Elio Gervasi vor 20 Jahren nach Graz brachte. Was bei Harwoods 45minütigen Improvisation zur Musik von John Cage besonders gefangen nahm, war das, vor allem in den Anfangssequenzen spürbare Reagieren auf und Hineingleiten und –fühlen in die Musik, in die unmittelbare ihn umgebende Atmosphäre, in den Ort. In liebgewordener Tradition, bei bester Stimmung und schwungvoll präsentiert abgewickelt , stellten dann die einzelnen Dozenten die Inhalte ihrer Kurse vor; als besonders bezaubernd sei hier das Pas de deux, das Kira Kirsch am Ende ihres Solos präsentierte, hervorgehoben.

Nicht wirklich überzeugen konnte Isael Mata Cruz (Venezuela), der Flying Low unterrichtet, bei seinem ersten Auftritt am Dienstag am Franziskanerplatz (in der Grazer Altstadt, wo auch alle anderen Performances stattfanden). Sie waren durchgehend zu dramatisch, seine „Movements of Life“ – bei aller offensichtlichen Geschmeidigkeit und Energie kaum greifbar oder gar glaubhaft. Die „improvised performance“ von Kira Kirsch (Austro-Amerikanerin) erreichte da schon ganz anderes und vor allem das Publikum. Das stete Fließen der für die Künstlerin charakteristischen Wellenbewegungen nimmt den Betrachter an der Hand – mit Glace-Handschuhen vorerst, aber auch mit fester Hand, die, wenn’s nottut, den Fluss zu teilen vermag. Und manchmal reißt sie sich auch los, scheint wie ein übermütiger kleiner Vogel linkisch-selbstbezogen nach Halt zu suchen. Überzeugend spontan begleitet von Konstantin Pammer (Percussion) und vor allem auch von Daniel Staber (Gitarre). Langer Applaus.

Isael Mata Cruz‘ Performance am Donnerstag, gemeinsam mit Partnerin Zoe Efstathiou (Griechenland), war zum Teil von erfreulich anderer Intensität als sein erster (Solo) Auftritt, vor allem wenn die beiden miteinander agierten, wenn sie sich, gehetzten Raubtieren ähnlich, umkreisten und weil ihr Agieren auch über Videowall, also aus zusätzlicher und damit intensivierender Perspektive zu verfolgen war. Auch Kira Kirsch‘ zweiter Auftritt am Donnerstag gewann durch die Projektion: Ihre zielstrebige Geschmeidigkeit, die Konsequenz in ihren eigenwilligen Spiraldrehungen, ihr Spiel mit der Zartheit, mit Verformbarkeit, veranschaulicht in ihrem Tuch konnte – bei aller grundsätzlich vorhandenen Qualität – über die Videowall noch besser wahrgenommen und geschätzt werden.

Tomas Danielis‘ Auftritt am Samstag mag für einige eine Überraschung gewesen sein; die Performance selbst, seine „Steps to Myself“, war es insofern, als sie überzeugender als bisher seine ureigene Persönlichkeit zeigte, geradezu preisgab. Wenn er marionettenartig sein Bewegungskönnen spielen lässt, so bricht er inhaltlich das damit verbundene Klischeehafte durch die enorme Präsenz seines Ich die, die ihn antreibt, kompromisslos bis zur erbarmungslos, im Abschlussbild regungslos „geschrienen“ Frage: hat jemand begriffen?

Valerie Lamielle (Frankreich): mit verstörtem Gesicht trippelt sie - einen lila Hut auf dem Kopf, eingehüllt in einen langen grauen Überhang, Wanderschuhe an den Füßen - auf Fersen auf die Bühne. Ihre „Wandering Stops“ sind ein schräges Vergnügen der besonders qualitätvollen Art. Verloren, vorsichtig tastend im „Großstadtdschungel“, weiß sie letztlich doch, wo’s langgeht: setzt nach tapsendem Schritt beunruhigend-ironisch den nächsten. Nein, von herkömmlicher Ästhetik ist da nicht die Rede – von eigenwillig-großer sehr wohl.

Apropos „eigenwillig“: 20 Jahre Internationale Bühnenwerkstatt und Internationales Tanztheaterfestival Graz: das Jubiläum – es ist gelungen.

Int. Bühnenwerkstatt - Int. Tanztheaterfestival Graz 9. bis 17.Juli 2011

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