Jodeln auf der Sonnenbank. Die Landleute kommen in die Stadt und räumen mit Klischees auf. Village People treten im brut auf. Nein, nicht diese einst sangesfreudigen, jetzt alten, Herren aus Manhattan. Sie geben lediglich den gefinkelten Titel für einen Themenschwerpunkt für Performance und Tanz. „Dorfleute“ kommen in die Stadt (manche sind auch schon da), um sich mit Land und Leuten, Hof und Heimat künstlerisch auseinanderzusetzen.
„Die Themen Folkloristik und Volkskultur beschäftigen den zeitgenössischen Tanz derzeit sehr, nicht nur in Wien“, argumentiert Thomas Frank, Intendant des brut, der die Idee für Titel und Thema gefunden hat. Man könnte die Feststellung aber über den Tanz hinaus erweitern, beschäftigt doch Leben und Treiben auf dem Lande neuerdings viele Städter. Appetitlich bunte Magazine, gedruckt oder über auf dem Bildschirm flimmernd, bringen die Natur ins Haus und machen saisongerecht „das ursprüngliche menschliche Lebensgefühl wieder greif- und erlebbar“ („Servus in Stadt & Land“, Red Bull Media House GmbH).
Performer und Tänzerinnen betrachten dieses Lebensgefühl allerdings nicht unkritisch. „Es geht“, sagt Frank „sehr stark um die künstlerische Auseinandersetzung mit gelebten Praktiken und sozialen Realitäten jenseits des Theaters. Volkstänze zum Beispiel sind in diesem Zusammenhang deshalb interessant, weil sie ihre Bedeutung nicht in erster Linie aus der Virtuosität der Darstellung sondern aus der sozialen Komponente, sprich der gemeinschaftsstiftendenden Praxis, beziehen. Als soziales Phänomen sind Volkstänze, wie Folkloristik im Allgemeinen, aber zum Teil auch ideologisch behaftet und dadurch ambivalent.“ Klar, dass diese Ambivalenz samt der Erinnerung an die Blut und Boden-Ideologie die Künstlerseelen beleben und auch reizen. Tänzerinnen, Choreografen und Performerinnen interessieren sich für das gemeinschaftsstiftende Potenzial des Kreistanzes, für den neuen Konservatismus, der die Frauen zurück an den Herd jagt oder für falsche Ideologien, die an schönen Bräuchen kleben. Regisseur Ed.Hauswirth (Theater im Bahnhof) und sein Team beobachten, nicht nur in Graz, dass während das Dorf zur Stadt heranwachsen möchte, die Stadt sich gern mit dörflichen Strukturen schmückt: Bauernmärkte an allen Ecken, Bäumchen am Straßenrand, Trinkbrunnen, autofreie Plätze, Bänke, um in der Sonne zu sitzen – nur, so TIB, „das Selbstverständnis ist ein anderes“.
Das fällt auch den fünf Rabtaldirndln aus Graz auf, gefallen mag es ihnen nicht: „Der Trend ‚zurück zur Natur’ bedeutet einen feministischen Rückschritt“, meinen sie, und gehen daran die Notlüge „Ich tu es ja gern“ zu entlarven. Mit ihrem Knecht, dem Schriftsteller Bodo Hell, kommen sie nach Wien, stellen sich auf den Karmelitermarkt (26.4.) und halten als Chefinnen von „Einkochen“ des abends im brut eine öffentliche Generalversammlung ab. Wer fleißig der Landlust gefrönt hat, soll Eingekochtes mitbringen, auch wenn sich die Rabtaldirndln keineswegs einkochen lassen und die Kirche im Dorf bleibt.
Im Dorf – da sitzt man seit je auf der Hausbank, schaut in die Abendsonne und lässt den Herrgott einen guten Mann sein. „SunBengSitting“ nennt denn auch Simon Mayer, vielseitiger Bühnenkünstler aus Oberösterreich, seinen Besuch in der Stadt. Man muss den scheinbar englischen Titel nur laut aussprechen, um zu erkennen, dass es sich eben um die meditative Tätigkeit des Sitzens auf der Sonnenbank handelt. Mayer ist selbst die personifizierte Synthese von Land und Stadt: Dort, wo er 1984 geboren wurde, lebt er auch. Im Innviertel, mit seinen Brüdern auf dem eigenen Biobauernhof. Studiert hat er in Wien, an der Ballettschule der Staatsoper in deren Ensemble er auch kurz getanzt hat. „Ich wollte damals niemandem erzählen, dass ich von einem Bauernhof komme. Bauer wurde als Schimpfwort benutzt.“ Mit „SunBengSitting“ will er, indem er Traditionen wie Schuhplatteln oder Aperschnalzen in seine Performance integriert, verkrustete Vorurteile auflösen und zu einem generell neuen Blickwinkel animieren. „Das funktioniert weniger über den Verstand, als über die Emotionen. Goaslschnalzen oder Jodeln, da gibt es fast eine spirituelle Ebene.“ Ähnliches empfinden auch Wiltrud Breuss, als Stadtkind Mitglied der Gesangsformation „Jedweder Küchenchor“ und ihre Freundin Marlies Sutterlüty, geboren und aufgewachsen in Vorarlberg, die aus Lust einmal in der Woche im Jodelchor singen. „Ich komme dabei zu ganz neuen Gefühlen in mir“, sagt Breuss. Sutterlüty assistiert: „ Ein bissel Provokation ist schon auch dabei. ‚Ich geh jodeln’, da rollt schon so manche die Augen.“ „Alpenländisch“ zu sein liegt ihr fern, sie genießt es in der Gemeinschaft zu jodeln: „Einfach schön, dieses gemeinsame Singen.“
Um das Erlebnis der Gemeinschaft im ländlichen Tanz dreht sich auch Doris Uhlichs Beitrag, „Verfassung“. Der Begriff gefällt ihr, „er hat ja mehrere Bedeutungsebenen.“ Für die Leipziger Veranstaltungsreihe „Volkstanz heute“ hat sie sich mit der Frage beschäftigt: „Was ist es für ein Bedürfnis ‚volkszutanzen’? Wie fühlt sich Gemeinschaft an und funktionieren die traditionellen Gesten auch heute noch? “ Die Antwort überrascht: „Ja, es funktioniert. Wir sind ja in vielen Gemeinschaften, aber die sind meisten virtuell. Ich packe jetzt den Volkstanz aus, baue meinen Volkstanz der Gegenwart, eine Verfassung, und schaffe eine Gemeinschaft durch Berührung.“ Doch auch Uhlich weiß, dass „Volkstanz etwas Zweischneidiges hat. Das ist immer dabei.“ Berührungsängste haben Performer und Tänzerinnen keine vor dem Volkstanz, im Gegenteil, auch in Ballettchoreografien fließen immer wieder Volktanzelemente ein. In der Gegenrichtung, so weiß Uhlich, sind die Grenzen noch fest gemauert: „Viele sind in ihrer Tradition so fixiert, dass jegliche Neuanwendung als eine Verletzung ihrer Welt empfunden wird.“ Nicht nur um Grenzbäume umzulegen, kommen die Dorfleute in die Stadt. Tanzend, singend, plattelnd und schnalzend sollen Klischees zertrümmert werden. Einig sind sich alle Beteiligten, dass Tanz und Performance noch rein urbane Phänomene sind. Nicht wegen der sturen Köpfe auf dem Land, sondern wegen mangelnder Möglichkeiten. Mayer hat einen Ausweg gefunden, um wenigstens einen der fahlen Flecken auf der ländlichen Kulturkarte in Farbe zu tauchen: Jeden Sommer veranstaltet er mit den anderen Mayer-Buam das Festival „Spiel“ im Bauernhof. Weniger für den städtische Festival-Jetset als für die Nachbarn. Die kommen auch und wundern sich: „Was willst du jetzt damit sagen?“ Mayer freut sich über das direkte und unverblümte Feedback, das ihm sein Publikum auf dem Land gibt. „In der Stadt sind die Reaktionen ganz anders.“ Weniger direkt, aber Verständnis mimend.
„Village People“, Themenschwerpunkt im brut, mit Simon Mayer, Doris Uhlich, Rabtaldirndln, Theater im Bahnhof / Gaststubentheater Gößnitz und dem International Village Shop. 25.4. bis 15.5., brut
Der Artikel ist in gekürzter Fassung im "Schaufenster" der Tageszeitung "Die Presse" vom 16. April 2014 erschienen.