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Eyal2024 ist das Kulturjahr in St. Pölten. Die Stadt setzt ihr (abgelehntes) Konzept für die europäische Kulturhauptstadt um. Es entstehen neue Kulturräume und eine verstärkte Vernetzung von lokalen Playern. Einer davon ist das Festspielhaus St. Pölten, das dieses Jahr nicht nur ein großartiges und noch reichhaltigeres Tanzprogramm als gewohnt präsentiert, sondern auch mit der Gründung einer Jugendtanzcompangie einen wegweisenden Ansatz partizipativer Kunst setzt. Ein Gespräch mit Bettina Masuch.


Im Geiste der Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit mit Kultureinrichtungen aus der Region, bestimmt die Programmierung der künstlerischen Leiterin Bettina Masuch in ihrem zweiten Jahr am Haus. „Diese künstlerischen Nachbarschaften haben für mich auch damit zu tun, das Festspielhaus und sein Programm in der Stadt, in der Region noch stärker zu verankern. Wir verstehen uns nicht als ein UFO, das hier landet und ein Feuerwerk abfackelt und dann wieder weg ist, sondern dass wir mit den Menschen und den Institutionen hier zusammenzuarbeiten. Das ist mir ganz wichtig und ich finde, das bereichert unsere Arbeit auch.“ 

So ist die Jugend Tanz Compagnie „Step by StP“ eine gemeinsames Projekt von von Festspielhaus St. Pölten, dem Musik & Kunst Schulen Management NÖ und der Musikschule der Stadt St. Pölten. Auch mit tanz.at besteht eine Kooperation im Rahmen der Festspielhaus-Reporter:innen (Details dazu gibt es hier).

Crystal Pite mentor, portraitDie Zusammenarbeit mit der Stadt St. Pölten beginnt mit einem Fest am neu gestalteten Domplatz von 8. bis 10. September. Im Rahmen der Tangente St.Pölten, dem Festival für Gegenwartskultur 2024, gastiert die kanadische Compagnie Kidd Pivot mit einer neuen Arbeit von Crystal Pite und Jonathan Young am 9. Mai sowie Jeremy Nedd und die Gruppe Impilo Mapantsula, die am 22. Juni die Saison 2023/24 im Festspielhaus St. Pölten beschließen werden. Mit „Justice“ von Hèctor Parra steht eine Musiktheaterproduktion auf dem Programm, eine Oper in fünf Akten für Soli, gemischten Chor und großes Orchester. Das Libretto stammt vom designierten Wiener Festwochen-Intendanten Milo Rau, der auch für die Regie verantwortlich zeichent, sowie von Fiston Mwanza Mujila. Es spielt das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich. (30. April / 1. Mai)

Einen Tag lang macht die Choreographic Platform Austria in einer Zusammenarbeit mit Tanzquartier Wien und Brut Wien am 20. Oktober ab 14 Uhr im Festspielhaus Station. Zu sehen sind am Nachmittag unter anderem Helene Weinzierls "Rhythmus und Rausch" und Liquid Lofts "Stranger than Paradise". Am Abend bringt Doris Uhlich ihr Stück „Sonne“ im großen Saal zur Uraufführung, in dem sie zusammen mit einem Kind die Beziehung des Fixsterns zu belebter und unbelebter Materie untersucht. Uhlich

Die Kunsthalle Krems zeigt ab 14. Oktober aktuelle Kommentare von 12 österreichischen und internationalen KünstlerInnen zu „Die sieben Todsünden“. Dazu bietet das Programm „Seven Sins“ von Gauthier Dance am 6. Oktober die perfekte Vorbereitung. Hier ist das Who is Who des zeitgenössischen Tanzes versammelt – „ein Gipfeltreffen der Crème de la Crème“, nennt es Bettina Masuch: Hofesh Shechter, Sharon Eyal, Aszure Barton, Sidi Larbi Cherkaoui, Sasha Waltz, Marco Goecke und Marcel Morau setzen sich mit je einer der biblischen Todsünden auseinander. Mit ihrem beliebten Diskussionsformat „Salon D“ wird Masuch ab 16 Uhr mit Interessierten über das Thema Moral und das heutige Verständnis von Sünde debattieren. 

Gauthier Cherkaoui„Ich muss immer schauen, dass ich Stücke finde, die zu sehr unterschiedlichen Menschen sprechen und das Spannende ist natürlich wenn man es dann noch schafft mit ihnen darüber zu sprechen. Wir haben unseren ‚Salon D‘ gegründet, um genau diese Möglichkeit zu bieten: über die Stücke zu sprechen und darüber, was sie verhandeln. Choreografen und Choreografinnen versuchen ja zunehmend ein Statement über die Welt, in der wir gerade leben und über die Herausforderungen abzugeben. In diesem Salon D werden wir über das Thema der Moral sprechen und was das heute eigentlich bedeutet … Man hat ja lange Zeit gedacht, damit müssen wir uns nicht mehr befassen, das ist altmodisch, und plötzlich ist das wieder so ein großes Thema, weil man eben nicht mehr davon ausgehen kann, dass man darüber einer Meinung ist, weil sich die Gesellschaften spalten, und deswegen, glaube ich, sind solche Arbeiten auch so wichtig. Sie zeigen, was das mit einem macht, wie sich das anfühlt.Gauthier Schechter

Die Todsünden kennen wir natürlich alle noch aus dem Religionsunterricht. Doch was bedeuten sie heute? Sind sie wirklich noch Sünden für uns oder symbolisieren sie nicht genau, wie unsere Gesellschaft funktioniert und sind etwas, wofür man eigentlich eher belohnt als bestraft wird? Das finde ich so spannend daran und dass man eben auch die sehr, sehr unterschiedlichen Handschriften dieser Künstler sieht und wie sie auf die Welt gucken.“ Übrigens: Laut NDR wäre es eine Sünde diesen Abend zu verpassen …

Geschichte der Avantgarde

ShechterAls Arbeitstitel ihrer Programmierung hatte Masuch „Geschichte der Avantgarde“ gewählt. „Der zeitgenössische Tanz lebt ja eigentlich immer im Hier und Jetzt und es gibt, anders als im klassischen Tanz, relativ wenig Repertoire. Das hat, denke ich, etwas mit den Arbeitsstrukturen zu tun. Wir haben mit dem Programm versucht, aus dieser strukturellen Schwäche eine inhaltliche Stärke zu formulieren.“ So werden Stücke von zeitgenössischen Choreograf*innen in diesem Jahr von Tanzcompagnien von etablierten Opernhäsuern gezeigt. Der Tanzreigen 2023/24 wird am 23. September mit Stücken der israelischen Erfolgskreativen Hofesh Schechter und Sharon Eyal eröffnet, getanzt von der schwedischen Göteborgoperans Danskompani. Stücke von Damien Jalet und Fouad Boussouf werden vom Ballet du Grand Theåtre de Genève am 15. Dezember präsentiert.Ailey

Das Gastspiel von Ailey II, der Nachwuchscompany der legendären New Yorker Truppe bringt am 20. Jänner Choreografien von Francesca Harper, des künstlerischen Leiters Robert Battle und – natürlich – Alvin Aileys „Revelations“ auf die Bühne. Für Bettina Masuch ist die Ailey Company ein Beispiel für die Geschichte des zeitgenössischen Tanzes, „die uns auch immer wieder daran erinnert, wo wichtige Strömungen herkommen – und manchmal vergisst man ja auch, dass bestimmte Dinge, die uns heute herausfordern schon vor 100 Jahren da waren und erfunden wurden und damals vielleicht die Menschen viel weniger aufgeregt haben als uns heute. Und ich finde es wichtig, auch die eigene Wahrnehmung so zu überprüfen. Insofern freut es mich sehr, dass es uns gelungen ist, die Alvin Ailey Company zu holen, die ja wirklich Pioniere sind, Menschen of Color und Themen von „Blackness“ auf die Bühne zu stellen. Im Moment ist das ein Riesenthema im zeitgenössischen Tanz, aber: Wie geht man überhaupt damit um? Kulturelle Identität, was heißt das eigentlich? Das ist mittlerweile ja ein Kampfbegriff geworden.

JeremyNeddAm Ende der Saison wird dieses Thema noch einmal mit Jeremy Nedd aus Brooklyn, der mit einer Compagnie aus Südafrika zusammenarbeitet, verhandelt: Wie erinnert man Geschichte und wie schlägt sie sich im Körper nieder?“

Erinnerungskultur, diesmal in Bezug auf das klassische Ballett, bietet das Gastspiel des Ballett am Rhein. Die drei Choreografen George Balanchine, Hans Van Manen und William Forsythe, mit denen der Abend gestaltet wurde, waren ebenfalls Pioniere. „Man vergisst heute, dass sie, als sie angefangen haben, noch nicht die Großmeister waren, sondern durchaus sehr angefeindet und in Frage gestellt wurden.“ (16. März 2024)09 März 2023. Radialsystem V. Berlin.Probe „Beethoven“ von Sasha Waltz & Guests .

Eine Symbiose zwischen klassischer Musik und zeitgenössischem Tanz bieten Sasha Waltz & Friends und das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich mit „Beethoven 7“ am 25. November

Zeitgenössischer Tanz made in Israel

BatshevaDie Saison 2023/24 ist auch eine aktuelle Werkschau auf das choreografische Schaffen aus Israel, einerseits mit einem Gastspiel der Batsheva Dance Company, andererseits mit Choreograf*innen wie Sharon Eyal, Hofesh Shechter oder Bobbi Jene Smith. „Ich finde sowieso, dass der Tanz aus Israel sehr stark, sehr lebendig ist“, sagt Masuch. „Batsheva ist da eine Brutstätte und das hat natürlich mit der Arbeit von Ohad Naharin zu tun und dem, war er über Jahre dort auch aufgebaut hat. Sharon Eyal und Hofesh Shechter sind beide Choreografen, die mit einem hochenergetischen Tanz arbeiten und deswegen habe ich sie an den Beginn der Saison gesetzt, weil das eine Art Adrenalin-Schub ist. Beide haben eine spezifische chorografische Sprache entwickelt und sind doch so verschieden voneinander. Obwohl sie dieselbe tänzerische Heimat haben, haben sie sich komplett anders entwickelt und sind trotzdem sehr, sehr wiedererkennbar. Wenn man einmal ein Stück von ihnen gesehen hat, erkennt man sie sofort wieder da. Trotzdem finde ich, wird man nicht müde diese Arbeiten zu sehen, weil sie sich künstlerisch immer weiterentwickeln. Bobbi Jene Smith ist eine ganz andere Künstlerin, die sehr viel narrativer arbeitet. Das sieht fast ein bisschen aus wie Tanztheater, obwohl sie interessanterweise viel mit Ballettcompagnien, zum Beispiel an der Pariser Oper arbeitet. Nach Pina Bausch hat man eigentlich relativ wenige Arbeiten gesehen, die in so einer Weise versuchen, Gesellschaftsportraits zu sein oder Geschichten abzubilden. Ich selbst bin sehr gespannt darauf. Ich kenne nur den ersten Teil von 'Marie & Pierre', der zweite hat erst im Oktober Premiere in Basel.“ (Im Festspielhaus St. Pölten am 17. Februar 2024)

Die Batsheva Dance Company kommt am 18. November mit Ohad Naharins „Momo“. „Ich finde, es ist eine der politischsten Arbeiten von Ohad, ein Statement zu der aktuellen Situation in Israel. Auf der Bühne sieht man zwei Parallelgesellschaften, die einander kaum berühren, und wenn man die Nachrichten verfolgt hat, versteht man sofort, was damit gemeint ist. Andererseits glaube ich auch, es ist nicht nur ein Abbild von Israel, sondern das ist ein Abbild von Gesellschaften weltweit, die sich radikalisieren, die auf der einen Seite sozusagen Hedonismus frönen und andererseits militärische Ordnung, Gleichschaltung propagieren. Und die große Frage, die im Raum steht, ist natürlich, wie kriegt man wieder eine Kommunikation hin zwischen diesen Blasen, die eigentlich völlig autonom voneinander funktionieren. Und deswegen, glaube ich, ist das eine ganz, ganz wichtige Arbeit, die auch etwas mit den ‚Seven Sins‘ von Gauthier Dance zu tun hat.“ 

Zirkus und Musik

CircaFreilich findet auch der Cirque Nouveau in dieser Saison im Festpielhaus St. Pölten statt. Nach den umjubelten Gastspielen des australischen Circa Contemporary Circus, zuletzt mit „Beethoven 9“ (tanz.at berichtete), kommt die visionäre Compagnie von Yaron Lifschitz am 2. und 3. März mit „Human 2.0.“ zurück.

Am 12. April ist „Feu“ von Fouad Boussouf (dessen Arbeit beim Gastspiel des Ballet du Grand Theåtre de Genève bereits im Dezember vorgestellt wird) mit einer Mischung aus Street Dance, Circus, zeitgenössischem und traditionellem nordafrikanischen Tanz zu sehen. Jalet

Für junges Publikum gibt es ein spezielles Musik- und Tanzprogramm. United Fall und Emma Martin aus Irland präsentieren die Geschichte eines Außenseiters in „Birdboy“ für Kids ab 8 am 30. September. Die Österreicherin Cornelia Vogelmayr verwandelt das Kinderbuch „Die große Wortfabrik“ von Agnès de Lestrade in ein Tanztheater (24. November). Bronks & Theater Artemis entführen Kinder ab 4 am 27. Jänner in eine bunte Welt des Irrsinns. Für die Kleinsten ab 2 geht es bei „Rund ums Eck“ um Formen mit Karin Steinbrugger und Lukas Thöni (25. Mai).

GilbertoGilEbenso spannend wie das Tanzprogramm ist in diesem Jahr das Musikprogramm. Stellvertretend für die überbordende Auswahl an Künstler*innen aus der klassischen und Weltmusik sei das Konzert von Gilberto Gil erwähnt, der bei seiner angekündigten Abschiedstournee „Aquele Abraço“ das Festspielhaus St. Pölten als einzige Österreich-Station besucht. Am 13. Oktober feiert er dort sein 60-jähriges Bühnenjubiläum in Begleitung seiner Söhne Bem und José sowie seiner Enkelkindern Flor und João.

Das Publikum wird zum Akteur

Die Community Ateliers laden auch in dieser Saison Menschen jeden Alters zum gemeinsamen Tanzen und Singen ein. Eine Winter-Werkschau am 21. Dezember werden Arbeitsergebnisse auf der Bühne im Großen Saal gezeigt.

Wer Lust hat über die spannenden Aufführungen zu schreiben kann sich noch bis 15. September bewerben. Die Kulturjournalist:innen Veronika Krenn und Sara Schausberger besuchen mit den Festspielhaus-Reporter:innen an sieben Abenden in der Saison Vorstellungen im Festspielhaus St. Pölten. Danach werden die Eindrücke in der Gruppe diskutiert und die Profis helfen beim Formulieren der Texte. Die so entstandenen Kritiken werden regelmäßig auf www.festspielhaus.at veröffentlicht, einige von ihnen für eine Publikation auf www.tanz.at ausgewählt. 

Jugendtanzcompany Step by StP

PatriciaCarolinMaiAm 1. September wurde die Jugend Tanz Compagnie Niederösterrreich „Step by StP“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Ende Augst kamenn 13 junge Tänzer*innen im Alter von 13 und 21 Jahren erstmals zusammen. Eine Woche lang erkundeten sie tänzerische Ausdrucksmöglichkeiten mit der künstlerische Leiterin Patricia Carolin Mai und den Assistent*innen Anna Grüssinger und Katharina Holzweber. Für Mai geht es bei dieser Initiative nicht primär um Virtuosität, „sondern die Lust, sich inmitten anderer Menschen und Körper bewegen zu wollen.“ Anhand von Soli und Duos zeigten sie einen Ausschnitt aus dem Übungsrepertoire der ersten Woche und vermittelten einen Eindruck über die weitere Entwicklung. Einerseits bietet der vorgegebene Improvisationsrahmen viel individuelle Freiheit, andererseits setzt Mai keineswegs auf Schonung, sondern bietet energetische Herausforderungen. Einmal im Monat wird die Hamburgerin nach St. Pölten kommen, um mit der Compagnie zu arbeiten. Dazwischen trainieren deren Mitglieder in ihren Musikschulen in St. Pölten, Prinzendorf, Fladnitztal, Bad Vöslau, Edlitz und Kirchberg am Wechsel weiter.Jugendtanzcompagnie

Bettina Masuch: „Ich glaube, dass man mit dem Tanz auch andere Menschen erreichen kann, weil man eben nicht auf sprachliche Barrieren setzen muss und es durch diese Arbeit schafft, die Welt mit anderen Augen zu sehen, als körperliche Erfahrung und nicht in erster Linie eine intellektuelle. Das finde ich vor allem für Jugendliche so wichtig: weil wir gerade aus dieser Pandemie kommen, wo jeder in der eigenen Blase war, weil es ja gar nicht anders ging; weil die Welt, in der wir gerade leben, sehr herausfordernd ist, sehr viele Ansprüche stellt, und um wieder ein Gefühl für eine Art von Selbstwirksamkeit zu bekommen. Mit Patricia Carolin Mai haben wir eine Choreografin gefunden, die genau das aus den Jugendlichen rausholt und sie dort abholt, wo sie mit ihrer Lust am Tanzen sind. Ich glaube, dass man heute in der Präsentation gemerkt hat, wieviel Spaß sie daran haben und wieviel Spaß sie vor allen Dingen auch daran haben, es eben nicht alleine, sondern mit diesem Gefühl von Gemeinschaft zu tun. Also ich muss sagen, ich bin auch echt überrascht wie weit sie schon in einer Woche gekommen sind.“

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