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AdagioHammerklavierDie erste Kreation von Martin Schläpfer für das Wiener Staatsballett muss nun aufgrund des Covid19-Lockdowns erst einmal verschoben werden. Doch bereits bei den Aufführungen von „Hollands Meister“ an der Volksoper und „Jewels“ an der Staatsoper mit alternierenden Besetzungen gab es deutliche Hinweise, in welche Richtung die Reise gehen wird.

War die erste Premiere diesr Spielzeit noch vorwiegend mit den StammtänzerInnen des Ensembles besetzt (siehe Kritik auf tanz.at vom 21. September), so konnte man bei der Alternativbesetzung von „Hollands Meister“ am 8. Oktober bereits eine Reihe der Neuzugänge kennenlernen.AdagioHammerklavier2

In van Manens „Adagio Hammerklavier“ stellten sich Lourenço Ferreira, Sonia Dvořak und Marcos Menha dem Publikum vor. Der Portugiese Lourenço Ferreira kam als Halbsolist nach Wien, nachdem er zuvor acht Jahre lang Mitglied des Portugiesischen Nationalballetts war. Auch die Amerikanerin Sonia Dvořak wurde als Halbsolistin engagiert, nachdem sie nach ihrer Ausbildung beim Ithaka Ballet und Canada’s National Ballet School Engagements beim Ballett Kiel und beim Ballett am Rhein hatte. Marcos Menho wurde vom Talentscout Birgit Keil entdeckt, die den Brasilianer an die Akademie des Tanzes Mannheim holte und dann beim Badischen Ballett engagierte. Vom Ballett am Rhein kam er nun als Erster Solist an das Wiener Staatsballett. Die drei erreichten im Duett mit Maria Yakovleva, Roman Lazik sowie Nina Poláková jene meditative Konzentration, die die sphärische Langsamkeit der Klavierpartitur widerspiegelt. Hier konnte man ganz eintauchen in einen Beethoven in Bewegung.

SkewWhiffIm Gegensatz dazu war das Eröffnungsstück „skew-whiff“ von Sol León & Paul Lightfoot in der Interpretation von Francesco Costa (der nach einjähriger Abwesenheit wieder zurück ins Ensemble kam), Andrey Kaydanovskiy und Zsolt Török weitaus deftiger als bei der Wiederaufnahme im September. Gegenüber diesen Machos behauptete sich Kiyoka Hashimoto mit spielerischem Talent in einer für sie bislang ungewohnten Rolle (wie bereits zuvor bei „Rubies“ an der Staatsoper).SkewWhiff KiyokaHashimoto

„Jewels“ der Gegensätze

Bei Balanchines „Jewels“ mit wechselnden Casts zeichnete sich nachhaltig ein grundsätzlich anderes Ballettverständnis und der Stilwechsel der neuen Direktion ab, die den betont glamourösen und konventionellen Zugang von Vorgänger Manuel Legris abgelöst hat. So wurden etwa die „Emeralds“ jeweils von unterschiedlichen Tänzerinnen-Typen besetzt, wodurch die Choreografie differenzierter wahrnehmbar wird: Am 18. Oktober verkörperten Elena Bottaro (mit Masayu Kimoto) und Claudine Schoch (mit Roman Lazik), am 29. Oktober Sonia Dvořak (mit Robert Gabdullin) und Maria Yakovleva (mit Eno Peci) die grünen Juwelen – die eine herb und ernst, die andere lieblich-bezaubernd.

Emeralds BottaroKimotoDie neue Erste Solistin, die Schweizerin Claudine Schoch, repräsentiert Schläpfers Stil vielleicht am Markantesten. Die erfahrene Tänzerin (unter anderem hat sie beim Bayerischen Staatsballett, an der Semper Oper Dresden, beim Ballett am Rhein und beim Ballett Basel getanzt), bestach am 18. Oktober auch in „Diamonds“ (an der Seite von Masayu Kimoto) mit technischer Perfektion. Ihre Interpretation ist virtuos, direkt und ohne Showeffekt.diamonds

Wie gut sich die „Neuen“ und die StammtänzerInnen bereits nach dieser kurzen Zeit aufeinander einstellen, zeigte auch die Kombination von Liudmila Konovalova mit Marcos Menha (29.10.). Konovalova scheint sich nun endlich ganz auf ihre unbestechlichen Fertigkeiten zu verlassen. Die auftrumpfende Bravour, die sich bei bei ihr zuweilen einschlich, ist nun einer reifen Gestaltung gewichen. Marcos Menha war ihr dabei ein wunderbarer Partner. Dass in seiner Solovariation die Tours à la seconde nicht ganz klappten, mag wohl den Nerven bei seinem ersten Auftritt an der Wiener Staatsoper zuzuschreiben sein – durchaus verständlich.

Rubies GalaJovanovicAuch bei „Rubies“ setzte man auf Gegensätze und wählte für die von vier Männern umworbene Solistin Gala Jovanovic (18. Oktober) und Rebecca Horner (29. Oktober). Die groß gewachsenen Ballerinas legten die Partie präzise und kontrolliert an, ganz im Gegensatz zur quirligen, sexy und frivolen Darstellung von Ketevan Papava, die für diese Rolle prädestiniert ist. Doch auch der Zugang von Jovanovic und Horner funktioniert und zwar besonders in Kontrast zum Solopaar, bei dem die Funken ungebremst fliegen – sei es bei Nina Poláková und Davide Dato oder bei Aleksandra Liashenko und Géraud Wielick. Liashenko ist als Solistin ebenfalls neu im Ensemble. Die Absolventin des State Academy of Culture im ukrainischen Kharkov tanzte zuvor in den Ensembles in Danzig, Posen, Warschau, Hannover und Düsseldorf.Rubies2

Proben zu Mahlers „4“

Die Beobachtungen, die ich bei den Vorstellungen im Oktober machen konnte, wurden auch im Video bestätigt, das das Wiener Staatsballett anlässlich des World Ballet Day am 29. Oktober online stellte. Hier sieht man Martin Schläpfer als Trainingsleiter und bei Proben für seine erste Wiener Kreation „4“ zu Mahlers 4. Symphonie. In seiner künstlerischen Recherche will der Choreograf herausfinden, wie das klassische Ballett modern und zeitgenössisch sein kann, wobei „zeitgenössisch zu sein“ für ihn einen Bewusstseinszustand beschreibt.

Mit zugekniffenen Augen schaut Schläpfer bei den Proben zu, verfolgt die Bewegungen mit einer Art von nach innen gerichtetem Röntgenblick. Der Körper krümmt sich, wenn die TänzerInnen seinen Ideen Gestalt geben. Ob im Training oder bei der Probe, die Tanzarbeit ist für den Ballettdirektor eine Art Meditation, ein spiritueller und gleichzeitig überaus sinnlicher Akt. Dafür ist Virtuosität ein unabdingbares Fundament, aber kein Selbstzweck. Und das ist der Weg, den das Wiener Staatsballett nun geht.

Wiener Staatsballett: „Hollands Meister“ am 8. Oktober in der Volksoper; „Jewels“ am 18. Und 29. Oktober in der Staatsoper. World Ballet Day auf YouTube.

Die Premiere von „Live, Mahler“ ist nun für 4. Dezember an der Wiener Staatsoper geplant.