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schlemmerDer Moderne verpflichtet: Ausstellungskatalog zum Werk Oskar Schlemmers. „Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt“ hat die Staatsgalerie Stuttgart eine große, hervorragend bestückte Ausstellung überschrieben, die bis April in der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt zu sehen war. Wer sie verpasst hat, sollte sich an den im Hirmer Verlag erschienenen Katalog halten. Es lohnt sich!

Natürlich ist das Werk des in Stuttgart geborenen und lange am Bauhaus tätigen Oskar Schlemmer keine Neuentdeckung. Im Gegenteil. Regelmäßig sind in den vergangenen Jahren Ausstellungen zu seinem Oeuvre zu sehen gewesen, seine Werke wurden von zahlreichen anderen Institutionen präsentiert. Doch haben sich deren Kuratoren zumeist nur für einen Teilaspekt von Schlemmers facettenreichem Schaffen interessiert. Sei es für seine Arbeit im Theater und Ballett, sei es für seine Bühnenbilder oder seine Malerei. In dem von Ina Conzen herausgegebenen Band aber ist nun bewusst darauf verzichtet worden, einen speziellen Bereich herauszugreifen. In den kenntnisreichen, informativen Beiträgen dieser reich bebilderten Publikation wird gerade die Vielseitigkeit Schlemmers akzentuiert. Eine Vielseitigkeit, die die künstlerische Arbeit durchaus bestimmte. Schlemmer fühlte sich oft unsicher, welcher Kunstform er den Vorzug geben solle, welche die richtige sei. So hat der 1888 geborene Künstler beispielsweise nach der Übersiedlung des Bauhauses nach Dessau (1925) die Malerei zugunsten einer fast ausschließlichen Beschäftigung mit Tanz, Theater und Pantomime zunächst aufgegeben. „Die Krise der Kunst hat mich erfasst. Bühne! Musik! Meine Leidenschaft.“ Aber nur drei Jahre später, 1928, formulierte er den klaren Vorsatz, den Faden der Malerei nicht mehr abreißen zu lassen. Letztlich wertete Schlemmer die Malerei mit ihrem statischen Werkcharakter immer als die höhere Kunstform. Das Theater aber kam seinen künstlerischen Intentionen entgegen. Bot es doch, im Sinne einer aktualisierten Konzeption des Gesamtkunstwerkes, eine Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten: Plastik, Bühnenbildnerei, Raumgestaltung, Sprache, Musik und vor allem die vom Historischen unabhängige Ausdrucksform von Tanz, Bewegung und Pantomime.

Einen guten Überblick über Leben und Werk Schlemmers findet man in Ina Conzens Erläuterungen zur Kunstauffassung und den wesentlichen Schaffensphasen. Die Autorin unterteilt dabei in vier Abschnitte: Die Studien- und Kriegsjahre (1906-1920), Oskar Schlemmers Wirken am Bauhaus in Weimar und Dessau (1921-1929), seine Tätigkeit als Lehrer in Breslau und Berlin (1929-1933) sowie die Jahre als verfemter Künstler (1933-1943). Ein umtriebiges, der Suche nach der richtigen Formsprache gewidmetes Leben, ein unbedingter Anspruch auf Modernität. Und schon in den frühen Versuchen kristallisiert sich Schlemmers zentrales Thema heraus. Die Beziehung von Figur und Raum, die Position der Figur im Raum lotet er praktisch wie theoretisch von Anfang an und von vielen Seiten aus. Um dieses Thema kreist sein ganzes Werk, angeregt und unterstützt durch den regen Austausch mit vielen Künstlerfreunden, mit Klee, Gropius, Kandinsky, Feininger, Baumeister und anderen Bauhäuslern. Blättert man den fast 300 Seiten starken Katalog durch und lässt sich ein auf dieses von Strenge und Offenheit zugleich ausgezeichnete Werk, dann erkennt man, wie zentral und wichtig die Auseinandersetzung mit Raum, Architektur, Figur und Proportionen für Schlemmer war. Und auch in den durchweg gelungenen Textbeiträgen wird dies deutlich. Susanne M. I. Kaufmann hat Biographisches zusammengefasst, Friederike Zimmermann hat sich mit Schlemmer als Wandgestalter beschäftigt. Birgit Sonna mit Facetten der Körperkultur in Schlemmers Werk und Wolf Eiermann untersucht die Bedeutung von Schlemmers Lektüre, aber auch die von seinem Schreiben und Notieren. Karin von Maur, langjährige Kennerin von Schlemmers Werk und Organisatorin der letzten Retrospektive in Stuttgart 1977, erläutert in ihrem Beitrag zum Katalog Oskar Schlemmers Arbeit als Tanzgestalter und Bühnenbildner. Im Mittelpunkt stehen dabei das Triadische Ballett und die so genannten Bauhaustänze. Früh schon hat Schlemmer den Tanz für sich entdeckt. Nach einer Teilaufführung des Triadischen Balletts 1916 lobte er in einem Brief an Otto Meyer-Amden die Möglichkeiten auf dem Gebiet des Balletts und der Pantomime. Im Vergleich zum Schauspiel und der Oper könnten von diesem kleineren, aber auch freieren Gebiet der Bühnenkunst entscheidende Neuerungen ausgehen. Und diese Neuerungen spiegeln sich in Schlemmers kunstvollen Kostümen und den abstrahierten Bewegungen seiner Choreographie. Das Triadische Ballett, in dem Schlemmer anfangs sogar selbst auftrat, ist getanzte Geometrie, ist das Zusammenspiel bewegter Formen im Raum. Kostüme wie der Taucher und die Tänzerin sind detailliert entworfen und inszeniert.tribal

Den Zuschauern ermöglichte das Triadische Ballett zweifelsohne ein spannendes Bühnenerlebnis, für die Tänzer indes war das Auftreten in den sperrigen Kostümen schwierig und schweißtreibend. Wie sehr, davon berichtet auch Tribal, der Tänzer im Ringelkostüm, all jenen Kindern (und Erwachsenen), die sich in den schmaleren, ebenfalls vom Hirmer Verlag zur Ausstellung herausgegebenen Band für die jüngeren Museumsbesucher vertieft haben. „Tribal tanzt“ heißt diese Zusatzpublikation. Sie bietet viele gut ausgewählte Abbildungen und eine ansprechende Gestaltung. „Komische Nummer, was ist denn das? Zwei stramme Wattearme, zwei Wattebeine und dazwischen ein Ringelkörper – wie soll ich denn da hineinschlüpfen? Boxsäcke sind nichts dagegen, so anstrengend ist es, sie überzustreifen.“ Aber hat man es einmal geschafft, ist man doch begeistert: „Kaum zu glauben, endlich mal Klamotten, die so richtig cool sind.“

PS: Im Rahmen eines zweiteiligen Programms zeigt das Bayerische Staatsballett eine Rekonstruktion des Triadischen Balletts zusammen mit Le Sacre du printemps im Prinzregententheater wieder am 10., 11. und 12. Juli 2015 sowie am 12. und 14. April 2016.

Ina Conzen: „Oskar Schlemmer: Visionen einer neuen Welt“. Katalog zur Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart. Hirmer Verlag 2014, 300 Seiten mit 352 meist farbigen Abb.

Anne Funck: Tribal tanzt – In der Welt von Oskar Schlemmer. Hirmer Verlag (Klinkhardt & Biermann) 2014, 32 Seiten mit 35 Farbabb.

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Oskar Schlemmer: Visionen einer neuen Welt

 

 

 

Tribal tanzt - In der Welt von Oskar Schlemmer

 

 

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