„Claude Hofers Publikation ist die erste dieser Art, die beide international bekannte Tanzarten – den japanischen Butoh und den zeitgenössischen Tanz – erforscht und dokumentiert. Im Laufe von zehn Jahren hat der Schweizer Fotograf Länder rund um den Globus bereist und dabei über einhundert Künstler:innen aus beiden Tanzgenres getroffen, die größtenteils eigens für seine Kamera performten. Im Mittelpunkt seiner intensiven Schwarz- Weiß-Fotos stehen unmissverständlich die Menschen selbst. Mit einem beeindruckenden Gespür für den richtigen Augenblick hat Hofer in seinen stark emotionalen Aufnahmen jene Momente der Tanzenden festgehalten, in denen eine einzigartige und tiefe Verbindung zwischen Körper und Geist zu Tage tritt.“
Sagt der Verlagstext. Das Werk ist mit seinen mehr als 300 Seiten grandiosen schwarz-weißen Fotos höchst beeindruckend. Um so (ver-)störender, dass die Eigenaussage suggeriert, es handele sich hier um eine grundlegendere Unterscheidung der beiden Tanzarten. Vielmehr zeigt es nur all zu deutlich, wie sehr Butoh und Zeitgenössischer Tanz starke gemeinsame Ausprägungen haben. Und: Die Bilder zeitgenössischer Tänzer befinden sich gegenüber den Butoh-Tänzer:innen schon rein numerisch stark in der Minderheit.
Wäre alles kein Problem, würde man nicht bei Interessierten vielleicht den Eindruck erwecken, es handele sich um ein Kompendium, das tatsächlich Unterschiede der Genres sichtbar macht.
Für Butohisten in Theorie und Praxis - wie Ihren Rezensenten – natürlich eine Freude, zwei seiner Lehrer bildlich (Shinichi Iova-Koga und Motoya Kondo) sowie seinen allerersten Butoh-Dozenten (Ko Murobushi) in vielfältiger Zitierung wieder zu finden.
„Ich habe versucht, nicht an der Oberfläche zu schwimmen, sondern einzutauchen in die Welt des Butoh und des zeitgenössischen Tanzes“, erklärt Bildkünstler Hofer in seinem Textbeitrag. Daher habe er auch selbst an mehreren Butoh-Workshops teilgenommen.
Meist klug und aufklärend
Shinichi Takeshige nimmt in seinem Text verdienstvollerweise die Unterschiede von zeitgenössischem und Butoh-Tanz ins Blickfeld: Butoh, der „Zeitkunst“ in „Raumkunst“ verwandle. Grundsteine habe u.a. schon zuvor Vaclav Nijinsky mit seinem „L’Après-midi d’un faune“ gelegt, mit seiner Achsenfixierung auf den Körper.
Mai Burns schreibt über Butoh-Pionier Kazuo Ono, er habe den „Tanz als Schnittstelle zwischen Individuum und Welt, zwischen Mikro- und Makroebene“, gesehen. Was sowohl realiter als auch spirituell verstanden werden könne.
Romina Achatz zitiert unter anderem in ihrem Beitrag den großen Ko Murobushi: für ihn liege der Tanz nicht im Akt des Tanzens selbst, sondern wird dann geboren, wenn wir während unseres Lebens ein Loch zu einem „Außen“ graben.
Alice Baldock beschreibt als Wissenschafterin ihren Weg von der gedanklichen Beschäftigung mit Butoh bis hin zur eigenen, körperlichen Teilnahme und Auseinandersetzung.
Sebastian Altermatt, Kunstgeschichtler und freier Künstler, hat auch einen Beitrag geliefert. Leseprobe: „Der Biomorphismus ist dahingehend als phobischer Reflex zu verstehen, dass der Akt des Verknüpfens keine Transformation des Verknüpften in ein kosmisches Bild im Sinne eines Symbols zur Folge hat, sondern sich lediglich fantastisch vollzieht.“ Wer das versteht, wird auch mit diesem Beitrag seine Freude haben. Ich nicht.
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Claude Hofer: "Emotional Waves: Butoh and Contemporary Dance", 2025: Kehrer Verlag, Heidelberg