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UlrikeRauch2Kulturpolitisch und damit die Kulturförderung in der Steiermark Bedrohendes stand in den Monaten vor Beginn dieser Ausgabe der „Theaterfeste der Regionen“ im Raum. Gegen Ende des Festivals zeichnete sich eine Wende ab; die Petition „KULTURLAND RETTEN“ hatte sich Gehör verschafft – allzu dramatische Änderungen blieben aus. Dass es bei „Theaterland Steiermark“ nach gut zwanzig erfolgreichen Jahren dennoch zu einer Änderung kommt, war erwartbar.

Peter Fasshuber, der zusammen mit Wolfgang Seidl diese mutige Initiative 2004 gründete und diese nicht nur ausnahmslos mit engagierter Offenheit allen performativen Wünschen und Aktionen gegenüber leitete, sondern auch mit so manch Innovativem aufhorchen ließ, übergibt mit Ende des Jahres an ein jüngeres Zweier-Team. UlrikeRauch1

„Alt“ präsentierte sich diese letzte von ihnen geleitete „Premierenwoche der Freien Theater in Graz“ deswegen aber ganz und gar nicht. Vielmehr bot die Auswahl der präsentierten fünf Produktionen, die die beiden Schweizer Juroren Beatrice Fleischlin und Anton Kuzema gemeinsam mit Fasshuber aus all den eingereichten Projekt-Konzepten zur Umsetzung in diesem Rahmen ausgewählt hatten, eine breite künstlerische Palette; in formaler Hinsicht wie auch in der thematischen Perspektivenvielfalt; also einen guten Einblick in das, was sich zurzeit im Performativem an Bemerkenswertem in der Region tut. 

Zeitgenössischer Tanz trifft Alte Musik – oder doch nicht?

UlrikeRauch3Dazu zählt der zeitgenössische Tanz; insbesondere auch, weil er immer noch oft um gebührende Aufmerksamkeit zu kämpfen hat. Die ausgebildete Tanzpädagogin Cathrin-Marie Fuchs versucht in ihrer Choreografie „Frequencies of Space“ Gegensätzliches in seiner jeweiligen Eigenständigkeit und doch auch im Miteinander zweier Kunstgattungen – zeitgenössischer Tanz und Alte Musik – erfahrbar zu machen. Diese Zielsetzung stellt sich allerdings als zu hochgesteckt heraus. Die jeweils zwei Tänzerinnen und Musikerinnen sind einander zum Teil zwar Begleiterinnen, zum Teil einander Fremde, verwurzelt in der ureigenen Kunst-Welt. Das Thema verortet sich derart also nicht wirklich. Und doch fordert diese puristische Darbietung den Rezipienten zur Auseinandersetzung mit weniger bekannter Körpersprache heraus; lässt ihn – vielleicht - seine Sensibilität für eine eher unspektakuläre Bühnen-Präsenz entdecken.: Lässt ihn – idealerweise - offen für und neugierig auf ein Mehr sein.

Kreativ-optimistische Anstöße

Gängiger Erwartungshaltung widersetzt sich auch die Performance-Installation „Feelings are not Enough“. Wenig überraschend, denn die interdisziplinär arbeitende Performancekünstlerin und Sexualpädagogin Hanna Rohn ließ sich auch in ihren bisherigen Arbeiten in keine Schublade stecken. In diesem Projekt ist sie gemeinsam mit Emma Berentsen und Julia Rohn für Konzept und Installation verantwortlich. Alle drei gestalten als Performerinnen eine Art sich bewegendes und manchmal auch sprechendes Gemälde. Eines, das mit unterschiedlichem Pinselstrich das aufzuzeigen versucht, was Emotionalität und Intellekt zum Thema zwischenmenschlicher Beziehung bereitstellen können und wollen so wie vor allem sollten. 
Im gegebenen Fall zu verletzten, gebrochenen, in Scherben gegangene Beziehungen. Die in einer Ecke angehäuften Keramik-Bruchstücke versinnbildlichen gegebene Realitäten. Sie fordern aber auch auf, sich ihnen zu widmen – nach allen oder auch keinen Regeln der (Performance-)Kunst. Vielmehr mit Achtsamkeit und Einfühlungsvermögen. Und über dieses Potential verfügen die Künstlerinnen, nutzen es mit viel Fantasie. Oder aber sie reflektieren gemeinsam, lassen KI denken, um reagieren zu können. Sie nehmen damit nicht nur wahr, reden nicht nur, sondern kommen ins Tun, um Ge- oder Zerbrochenes wieder ein klein wenig oder auch tatsächlich zueinander finden zu lassen. Allem unwiederbringlich Getrenntem, allem feinfühligen Aufwand, allen verbleibenden Bruchspuren zum Trotz. Welch provokanter, welch naheliegend kreativ-optimistischer Anstoß! Mutante

Ein Anstoß, der mit grundsätzlich gleicher Intention – „Shape your tomorrow“ lautet es im Programm - auch in der Produktion „Aktion Mutante“ vorgeführt wird. Lediglich radikaler. Es ist das Erstlingswerk des Duos Angelina Schallerlund Tanja Peball und spielt doch schon in mitreißend berührender Form alle Stücke: Zusammengesetzt aus Problembewusstsein und ironisch-ernsthaftem Überzeichnen beim Vorführen von weitgehend totgeschwiegenen Gegebenheiten. Von jenen im Umgang mit an den Rand der Erfolgsgesellschaft geschobenen Gruppen, zu denen Menschen mit Einschränkungen zählen. Und zwei von diesen, authentisch umgesetzt von Christina Hofer und Dominik Ertl, proben nun den Aufstand, drehen den Spieß um. Sie übernehmen kompromisslos und entsprechend der bislang erlebten und ertragenen Form die Führung vom Rollstuhl aus. Der Gutmensch und Menschenexperte wird nach einem Schwall schöner Worte geknebelt und so behandelt, wie es in absurder Weise so manch Ausgegrenzter erfährt. Der vorgehaltene Spiegel ist messerscharf. Ansätze von Abwehr mögen im einen oder anderen Zuseher ob so mancher Brutalität in Sprache und Handeln auftauchen. Allein: Das so Erfahrene prägt sich ein; dank auch der eingestreuten Emotionalität und der einprägsamen Argumente und Schlussfolgerungen. 

(Galgen-)Humor und ernsthafter Witz

Kra1Die alternativlose Ermunterung zu notwendigen Veränderungen wird als roter Faden auch vom Kunst- und Performanc-Kollektiv KRA aufgenommen. ‚KRA resolves every conflict‘ lautet konsequent ihr Motto seit dem Beginn ihrer Missions vor nunmehr zwei Jahren. Und weil niemand mehr etwas von Klimakrise hören will, widmen sie sich (wie immer bislang: Nora Köhler so wie in diesem Falle Vera Kopfauf) dem lauten Weghören, prangern sie das untätige Zusehen der vielen hoch ironisch an. In „Mission Arnold Schwarzenegger“, einer Performance, die im Rahmen eines Filmdrehs unter Beteilung aller Zuseher in einer Grazer Nebenstraße startet und mit der Intention, alle Batterien von entsprechenden Autos zu entfernen, erste klimaschützende Schritte zu setzen versucht. Die international erfolgreiche Drehbuchautorin und Regisseurin Dana Crosa konnte als Mitarbeiterin gewonnen werden. Mit Lust und (Galgen-)Humor wird die Ambivalenz, die mit dem bekannten Steirer verbunden wird, unterhaltsam, in den allgemeingültigen Passagen aber auch todernst ins Spiel gebracht. So ungewöhnlich, so großartig kann ein thematisches „Im-Hals-Steckenbleiben“ selten erlebt werden.TiB1

Erstmals großartig zu erfahren war auch eine unterhaltsame, immer wieder zusätzlich denkanregende Verbindung von Gaming und Theater; zum Teil ganz besonders interessant für die rare Spezies der Nicht-Gamer. In engster Zusammenarbeit vom Gaming-Performance-Kollektiv Total Refusal und dem Theater im Bahnhof entwickelt sich inLet’s Play I am Old and Tired“ ein Miteinander von realer und digitaler Welt. Wobei sich das Faszinosum des einfach möglichen Ausstiegs aus der ziemlich fordernden Gegenwart in eine heile irreale Welt als Avatar bekanntlich ganz und gar nicht nur Altgewordene anspricht.

TiB2Aber dieses hier ins Zentrum gestellte Thema, das Jacob Banigan mit seinem unvergleichlich ernsthaften Witz ebenso ‚bezaubernd‘ verkörpert wie Lorenz Kabas, der als Art Spielverlaufs-Erzähler das zu erlebende Spiel-Geschehen mit großer Würde in Worte fasst, hat durchaus was: Eine Verstärkung der Absurditäten, die allerdings so manches Mal geradezu erschreckend vertraut sind. Nicht immer neu, aber immer wieder bedenkenswert sind die angestellten Überlegungen, welchen Platz das Gamen im Heute in derart wesentlicher Art eingenommen hat; und warum. 

Letztlich eine Thematik, die mit dem markanten roten Faden dieses wiederum sehr gut gelungenen Festivals sehr wohl auch, und zwar einiges zu tun hat.

NEWS OFF STYRIA, Die Premierenwoche der Freien Theater in Graz, 9.bis 12. September 2025