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MtoM0Mit der letzten Premiere seiner Direktionszeit beim Wiener Staatsballett öffnete Marin Schläpfer den Vorhang für die nächste Choreografengeneration, die in “Kreationen” ihr Wien-Debut geben. Alessandra Corti arbeitete mit den Tänzer*innen der Volksoper an ihrer Kreation “Aerea”, während Louis Stiens zur spezielle kreierten Komposition von Lisa Steich Tänzer*innen der Staatsoper ins bedrohliche “High” führte. In “M to M”, einer Hommage an den scheidenden Chef, ließ Martin Chaix Max Bruchs 1. Violinkonzert verkörpern und führte damit den Abend und Schläpfers Wiener Zeit zu einem lustvollen Ende.

Die berufliche Beziehung von Martin Chaix zum Wiener Ballettchef geht auf seine Zeit als Tänzer beim Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg als Martin Schläpfer die Compagnie leitete. Mittlerweile ist er ein gefragter Choreograf für Ballettensembles und -schulen. MtoM

MtoM2Sinfonische Ballette zu ikonischen Werken der Musikliteratur zu schaffen fordert von Choreograf*innen Mut und Selbstbewusstsein. Beides hat der Franzose, der überzeugende Bewegungsbilder zu und ganz im Einklang mit Max Bruchs Violinkonzert findet. Drei Solopaare für die Violinsoli – wunderbar gespielt von Benjamin Herzl –, das Ensemble für den Orchestereinsatz. Alle Kompositionen werden an diesem Abend überzeugend vom Orchester der Volksoper unter der Leitung von Jean-Michael Lavoie musiziert. 

Die komplexen Pas de deux werden von Hyo-Jung Kang und Masyayu Kimoto eröffnet. Emotionale Tiefe bringen Ketevan Papava und Rashaen Arts, während Ioanna Avraam und Timoor Afshar eine heiter-verschmitzte Stimmung verbreiten. Chaix arbeitet mit Schattenspielen, Echos, Verdoppelungen und Spiegelungen, neben den Hauptpaaren treten immer wieder weitere Duette in Erscheinung.

Wenn das Ensemble die Bühne erstürmt, scheinen die Dimensionen der Volksoperbühne zu eng um der kollektiven Energie gebührend Platz zu bieten. Die in Grautönen schattierten Trikots von Aleksandar Noshpal unterstreichen gleichzeitig Individualität wie Gruppenzugehörigkeit und bringen Chaix’ Bewegungssprache plastisch zur Geltung. Diese ist der Danse d’école verpflichtet, “M to M” wird als einziges Ballett an diesem Abend auf Spitze getanzt. OLYMPUS DIGITAL CAMERA

OLYMPUS DIGITAL CAMERAGanz anders der Einstieg in den Abend mit “Aerea” von Alessandra Corti. Hier liefert Michael Gordon mit “Rewriting Beethoven’s Seventh Symphony” den musikalischen Rahmen, doch nicht nur. Tainá Ferreira Luiz singt – durchaus berührend – “Wild is the Wind” nach Cat Power und verankert das Stück damit in einer Art Nachtclub-Atmosphäre. Diese wird durch köperbetonte Moves sowie glamouröse gender-übergreifende Kostüme von Lucia Vonrhein unterstützt – Andeutungen, die das Geschehen im Identitätsthema verorten, das die zeitgenössiche Performance schon seit längerer Zeit dominiert. Den Titel “Aerea”, so die Italienerin, hat sie gewählt, weil es ein Palindrom ist, das sich von vorne und hinten lesen lässt. Das mag erklären, dass keine choreografische Richtung erkennbar ist. Der bedingungslose Einsatz der Tänzer*innen eröffnet interessante Momente, die sich jedoch in einer allgemeinen Beliebigkeit verlieren. High

Sie sind wunderschöne Menschen, die Tänzer*innen des Wiener Staatsballetts. Doch wenn sie zwischen Tüll auf der Leinwand herumliegen, suchend, fragil, unsicher, evozieren sie Hoffnungslosigkeit. Davor steht ein silberner Kranz, wie für ein Begräbnis dekoriert. In einem späteren Video wird eindeutig, dass es in dem Stück “High” von Louis Stiens zur Musik von Lisa Streich um den fragilen Zustand zwischen Sucht, Verlangen und Befriedigung von Junkies geht. 

High2Choreografisch-musikalisch beginnt das Stücke mit dem Höhepunkt: einer Gruppenszene, in der sich die Tänzer*innen in einer Linie bewegen, ohne Hierarchie, ohne Unterschied, tragen sie doch alle das gleiche, pyjamaartige Outfit (Bühne, Kostüme und Video: Bettina Katja Lange). In der Dekonstruktion straffer Strukturen wird der Weg der Drogensucht spürbar, besonders eindrucksvoll wird der emotionale Aufruhr in einem Duo mit Rebecca Horner und Helen Clare Kinney nachgezeichnet. High3

Martin Schläpfers verabschiedete sich mit einer großzügigen Geste von Wien, in dem er diesen Ausblick auf die Zukunft des Balletts uneingeschränkt der jüngeren Generation überließ. Ob diese Zukunft von seiner Nachfolgerin Alessandra Ferri ähnlich gesehen wird, bleibt nun abzuwarten.

Wiener Staatsballett: “Kreationen”, 2. Vorstellung am 20. Juni 2025 (Uraufführung am 17. Juni) an der Volksoper Wien. Weitere Vorstellungen am 24. und 27. Juni.