Seit 35 Jahren beschäftigen sich Martin Gruber und sein Aktionstheater Ensemble mit den Auswüchsen gesellschaftlicher Veränderungen. In „Alles Normal“ sinnieren sie über Anpassungsstrategien, wie sie im „Vierten Reich“, das in Österreich demnächst womöglich bevor steht, agieren werden können.
Über den Begriff „normal“, der im letzten Jahr von der niederösterreichischen Landeshauptfrau in die politische Diskussion gebracht wurde, wurde über Wochen in den Medien gerätselt. Und nicht nur dort. Martin Gruber befragte die Mitglieder seines Ensembles dazu und diese äußerten ein ziemlich ungewöhnliches Verständnis von „normal“. Isabella (Jeschke) hat die Aufregung über den Begriff gar nicht tangiert, hat sie sich doch schon längst „von den Nachrichten befreit“. Nichts soll sie von der Suche nach (ihrer) Schönheit ablenken. Später wird das Publikum über ihre Busengröße abstimmen dürfen: Zu klein? Richtig? Zu groß? Für Thomas (Kolle) zählt die Penislänge, gerechnet in Euromünzen. Immer wieder. Michaela (Bilgeri) gibt an. Sie sei nicht nur die beste aller Computerspielerinnen, sondern auch eine richtig gute Kellnerin. Sie hat alle Preise im Kopf: was zwei Schnitzel, drei Schnitzel, vier Schnitzel kosten, drillt sie sich in penetranter Wiederholung ein.
Bei aller absurden Komik dieser „Normalität“ wird die Atmosphäre im „Salon d’amour“ immer beklemmender. Wenn Thomas nicht aufhört, Babett (Arens) auf ihr Alter anzusprechen (für das sie noch sehr gut unterwegs sei), kommt es schließlich zu (choreografierten) Handgreiflichkeiten. Das Salonorchester rockt zu den Raufereien.
Apropos Orchester: Immer wieder wechseln Tamara Stern und Monica Anna Cammerlander die Rollen von Musikerinnen zu Schauspielerinnen. Ein jiddisches Lied, gesungen von Tamara ist einer der Höhepunkte der Show.
Ganz still wird es auch, wenn der Schriftsteller Elias Hirschl mit stoischer Ungerührtheit seinen Text über die Grauslichkeiten und Grausamkeiten des österreichischen Brauchtums anhand der Wurstherstellung ausbreitet. "Es ist normal, dass eine Sau geschlachtet wird …" Insgesamt drei Mal tritt er ans Mikrofon und rezitiert unbarmherzig die Rituale. Eine schwarze Geschichte, die am Ende einen besonders perfiden Dreh bekommt.
Bissig, und dann wieder zart, reißt uns die Show in ein Wechselbad der Gefühle zwischen Ernst und Humor, zwischen Nonsense und absurder Realität, und endet mit einem Abgesang an Vienna: Während Zeynep (Alan) „volksnah“ ein Eis isst bzw. sich ins Gesicht schmiert, intoniert die Band Leonard Cohens melancholisch-morbides Lied „Take this Waltz“ (perfekt die sonore Stimme von Gidon Oechsner), während im Hintergrund auf der Videowall Zitate von Herbert Kickl vorbeiziehen.
Das bringt uns alle auf den Boden der Tatsachen. Es stehen düstere Zeiten ins Haus! Möge das Aktionstheater Ensemble uns auch darüber so humorvoll und widerständig wie bisher begleiten.
Aktionstheater Ensemble: „Alles Normal“, Urauffhrung am 5. Dezember 2023 am Spielboden Bregenz. Wiener Erstaufführung am 13. Jänner 2024 im Theater am Werk. Gesehene Vorstellung am 18. Jänner.