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Gervasi1Trisha Brown war eine der herausragenden TänzerInnen- und ChoreografInnen-Persönlichkeiten des zeitgenössischen Tanzes im 20. Jahrhundert. Was ihr Erbe für eine junge TänzerInnen-Generation heute bedeuten kann, untersucht Elio Gervasi in seiner neuesten Arbeit, hier als Weltpremiere gezeigt, auch anhand von Brown'schen choreografischen Methodiken.

Frei von Erzählung und Handlung ist "Brown-1" pure Lust am Tanz. Und ein interaktives Spiel mit dem Raum, der Positionierung des Einzelnen, der Gruppe und der Objekte darin. Dazu der Sound als weiterer, selbstständiger Akteur. Abstrahiertes Bewegungsmaterial wird zum Werkzeug für die Freilegung von bislang unentdeckten tänzerischen und Ausdrucks-Möglichkeiten. Elio Gervasi in seinem Element.Gervasi2

Er fand die TänzerInnen im Rahmen einer zweiwöchigen Audition im Sommer dieses Jahres in der Nähe von Rom. Die für "Brown-1" zusammen gestellte Kompanie, zehn PerformerInnen aus acht Ländern, beeindruckt mit dem hohen tänzerischen Niveau jedes Einzelnen. Die künstlerische und kulturelle Diversität seiner zehn TänzerInnen führt Gervasi in eine ungemein geschlossene, hochklassige Ensemble-Leistung.

Der Fluss von ständig etablierten Strukturen und deren Auflösung, variantenreich auf der als große weiße Fläche wie ein klar begrenzter Performance-Raum strukturierten Bühne inszeniert, erzeugt eine Dynamik, die mit der fließenden Integration und Desintegration des und der Einzelnen, die in den Pausen, in denen sie nicht im Einsatz sind, am Rand stehen, fasziniert.

Gervasi3Hinten hängen drei großformatige Zeichnungen von Trisha Brown, schwarze Linien und Kleckse auf weißem Grund, wie Notationen von choreografischen Sequenzen. Brown schuf ihre bildende Kunst aus Bewegungen auf liegendem weißem Papier, visualisiert damit Tanz auf limitiertem Territorium. Gervasi übersetzt diese Arbeitsweise in sein gemeinsam mit Leo Kuraite entwickeltes Bühnen- (und Licht-) Design. Den Raum bespielt das Ensemble von chaotisch bis diagonal oder geradlinig aufgereiht. Zwischen Freiheit und Ordnung. Alles jedoch ist wie eine flüchtig sich manifestierende Verkörperung von beinahe grenzenloser kreativer Energie.

Dramaturgisch führt Gervasi seine Kompanie von einer "instabilen molekularen Struktur", Trisha Browns gleichnamiges Konzept inspirierte den ersten Teil, in eine Zwiesprache mit geometrischen Objekten: hölzerne Latten, formschlüssig gebaute Dreiecks-Elemente, kurze Pfosten sowie eine rote, hohle Faszienrolle.

Am Beginn eine Phase, in der die Elemente aufgebaut, umgelegt und schließlich in den Hintergrund verfrachtet werden. Später dann: Einer balanciert die Röhre auf dem Kopf, ein anderer stakst, mit Latten in seinen Händen, hörbar stampfend durch den Raum, Dreiecke und Holzquader werden geschichtet und umgestellt, einer spreizt ein Bündel zu Strahlen von Stäben in seiner Hand, führt es über seinen Kopf. Und immer wird getanzt von verschieden Vielen in einem fließend sich ändernden Setup. Die Objekte, mit denen anfangs individuell interagiert wird, entwickeln sich zu Förderern und Formenden von Gemeinschaften. Sie sind Initiatoren einer Entdeckungsreise durch einen Kosmos voller Möglichkeiten.Gervasi6

Einen solchen Kosmos erschafft Elio Gervasi auch choreografisch. Das Bewegungsmaterial der Altmeisterin ist allgegenwärtig, ist von Trisha Brown inspiriert, ohne es ausschließlich kopieren zu wollen. Ihre choreografische Methode des wechselseitigen Vorschlagens und Adaptierens von Gesten und Sequenzen zieht sich mit unaufdringlicher Konsequenz durch die Performance. Gestreckte Arme, wippend, geschwungen und kreisend, gerade Beine nach vorn, Hebungen und Drehungen, Sprünge, Beugungen, stilles Liegen und Tanz am Boden, alles zwischen weich fließend, akrobatisch und abstrahiert.

Gervasi4Die zehn TänzerInnen choreografiert Gervasi vornehmlich solistisch. Kurze Duette und Gruppen-Sequenzen entstehen so unvermittelt, wie sie vergehen. Sie bewegen sich wie frei in einem Gas schwirrende Atome, die auch kurz einmal kollidieren oder temporäre, schnell wieder zerfallende Bindungen eingehen. Die Brownsche Molekular-Bewegung. Dieser (Robert) Brown aber hatte mit Trisha nichts zu tun ...

Der Sound von Alessandro Vicard - mit zwischen Rauschen und Zwitschern, aus vier Noten komponierten - von Horn und Streichern in den Raum gestoßenen - frei gesetzten Tonreihen und repetitiv arrangierten rhythmischen Passagen - stellt sich neben den Tanz, der damit weder rhythmisch noch strukturell verwoben scheint. Auch Elio Gervasi's Stimme ist zu hören. Wie im Probenprozess mitgeschnitten und in Fetzen über elektronische Klänge gelegt. Der Sound führt sein Eigenleben, fügt sich wie ein weiterer Performer ein in das Bühnengeschehen.

Was bleibt? Es verschwimmen alle Methoden und Prinzipien, deren Mechanik Elio Gervasi in höchst lebendige Tanzgeschichte transformiert, präsentiert von jungen, dennoch bereits ausgeprägten, beeindruckenden TänzerInnen-Persönlichkeiten, deren immenses Potential bei ihm in den besten Händen ist. In „Brown-1“ verschmelzen Ästhetik, Kreativität, Virtuosität und Präzision zu einem Tanzstück, wie man es in Wien leider sehr selten zu sehen bekommt. 

Tanz Company Gervasi mit „Brown-1“ am 25.10.2023 im Wiener Odeon.

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