Emese Horti sieht sich mit 999 Flyern konfrontiert, mit gegenstandslosen und muss sich nun den daraus resultierenden Fragen stellen. Biografisch unterlegt hievt sie die Situation in weitgehender Eigenregie auf die Bühne und stellt sich ihr in Form einer tanztheatralen Auseinandersetzung: Warum kam es dazu und wie geht es weiter? Dann, wenn eine Tanz-Produktion kurz vor ihrer Fertigstellung abgebrochen wird, weil Kompromisse nicht eingegangen werden.
Und was also tun mit den kurz darauf gelieferten und nun zwecklos gewordenen Flyern? Mit Flyern, die bestenfalls noch als Metapher dienen. Oder könnten sie als Hilfsobjekte einer Weg-Suche eingesetzt werden?
Emese Horti beginnt ihre Performance mit dem schlichten Bild ihres zusammengekauerten Körpers. Es folgen zahlreiche, ruhig-konzentriert ausgeführte und jeweils sehr korrekt eingenommene Posen: ein visuelles Vergnügen, wiewohl sich gleichzeitig durch sie Nachdenklichkeit, ja Hilflosigkeit vermitteln, was durch die Texte - teils über Lautsprecher, teils live - noch verstärkt wird: zahllose Sätze in der Art von „…dieser Moment, wenn man im falschen Cafe…, dieser Moment …an der Kasse ohne Geld…, dieser Moment… am Flughafen ohne Pass…“, also Situationen, die jeder kennt. Es ist eine feine Idee, um Atmosphärisches zu vermitteln, um Emotionales spürbar zu machen und schließlich auch, um mit dem Publikum in Kontakt zu kommen, es unmittelbar in das Geschehen einzubeziehen.
Sobald sie tatsächlich zu (re-)agieren beginnt, ist es eine emotionale Achterbahn, auf die sie die Zuseher mitnimmt: mit Überzeugungskraft, weil sich der Fluss ihrer Bewegungen in dieser, ihrer 2.Eigenproduktion in Folge, in vergleichsweise weit größerer Selbstverständlichkeit tänzerisch zu entfalten versteht.
Die Informationen zu und rund um Wilhelm Reich sind dann allerdings etwas ausführlich geraten, wenngleich der thematische Bezug sehr wohl gegeben ist: „…manchmal kriegt man es nicht hin“, und damit eine zusätzliche, die Komplexität des Themas „Kompromiss“ in weitesten Sinne bereichernde Ebene eingezogen wird.
Dass Horti auch diesmal wieder ihr Alter Ego Kurtl einbaut, mag vorerst ein wenig irritieren, ist aber letztlich stimmig und witzig auflockernd überdies. (siehe auch die tanz.at-Kritik von „Where the F*** is Emese“ vom 9. Juli 2017.)
Und dass am Ende die Aussagekraft des Körpers, des Tänzerischen im Mittelpunkt steht, auch das fügt sich in mehrfacher Hinsicht gut und mit Fingerspitzengefühl umgesetzt ein, rundet ab: lässt mit der schwungvollen Leichtigkeit des Tanzes, gleich eines Vogels, der sich in die Lüfte hebt, Raum für vieles, für vielerlei Antworten; denn die Frage muss offen bleiben, das steht außer Frage.
Auch wenn Inhaltliches manchmal noch ein klein wenig simpel daherkommt, Formales nicht immer seinen tieferen Grund hat: Da ist viel an unterschiedlichem bewegungstechnisches Können, da ist Kreativität, da ist Bühnen-Präsenz; und da ist vor allem auch ein kraftvoll-zielstrebiges, künstlerisches Wollen.
„999 FLYER“ am 30. September im Kristallwerk Graz