Das biennale Festival „Werkstatt. Das Festival der Uraufführungen in Oberzeiring“ präsentierte heuer elf Theaterprojekte, neun davon als Uraufführung. Zusätzlich zu diesem außergewöhnlichen Angebot ist es immer wieder auch ein mehrtägig lebendiger Austausch von Künstlern untereinander sowie eine konzentrierte Begegnung von Kunstinteressierten mit diesen; es ist ein Crossover lokaler und nationaler Provenienz sowie von performativen Sparten, Stilen und Inhalten.
Das Festival in der Obersteiermark ist ein Abbild zeitgenössischer, oft experimenteller Theaterformen mit und zu zeitimmanenten oder -relevanten Inhalten. Letztere verbindet diesmal anhand mehrerer Produktionen ein roter Faden, der ebenso erschreckend wie doch auch „beruhigend“ ist: Einer, der sich um insbesonders rechtspopulistische Politik, um ihre Erscheinungsformen und Auswirkungen schlingt und sich damit - was das „Positive“ daran ist – aufmerksam kritisch auseinandersetzt; noch dazu mit vor allem jungen, letztlich optimistischen Elan.
Dass zu diesem Thema im Prolog des Festivals die famose Performance von Marta Navaridas und Alex Deutinger „Your Majesties“ aus dem Jahre 2010 wiederum bzw. für manche erstmals zu erleben war, fügte sich hervorragend: Stellt sie doch grundsätzlich die schon damals zunehmende Divergenz zwischen politischer und gelebter Realität mit klug sarkastisch-absurder Gestik in den Raum; beunruhigend ergänzt durch all das, wodurch ihre Inhalte in Form aktueller globaler Gegebenheiten noch „bereichert“ werden.
Nicht parteipolitisch, aber sehr wohl tief menschlich und letztlich ideologisch passt sich in diesen inhaltlichen Rahmen die gleichermaßen unterhaltsam-charmante wie ernste Geschichte von Electrico 28 ein: über das Fremde, den Fremden und Kommunikation in „Full House“ - für alle ab Kindesalter.
Monika Klengel ist es, die in ihrer fiktiven EU-Rede mit zielstrebiger Unbarmherzigkeit zur Sache kommt: Bei aller spürbar ernsten Intention verleiht insbesondere auch ihre professionell-lockere Authentizität ihrem kurzen Auftritt einprägsame Kraft. Ein Merkmal, das in seiner Weise für alle Beteiligten dieses Experiments im Rahmen ihrer bislang internen Reihe von „Share your Darlings“ grundsätzlich gilt; hier und nun benannt als „Schwingen“, womit die Kommunikation zum Publikum angesprochen sein sollte und in direkter Weise erstrebt war: in Form einer Reaktion auf ihre kleinen, ihnen als künstlerische Idee wertvollen, aber noch unausgearbeiteten Sequenzen. Vereinzelt wurden tatsächliche „Antworten“ gegeben; eher aber doch zu wenige, um diesen Versuch als voll gelungen bezeichnen zu können.
Ziemlich schräg und letztlich sehr passend verzahnt mit dem glamourösen Rahmen des Song Contests, sind die thematischen Zugänge in der TaO! Produktion „Heute ist ein guter Tag“ auch sonst nicht alltäglich; umso aufschlussreicher allemal und bei aller Ernsthaftigkeit mit erfrischender Leichtigkeit und Humor ins reale Leben gesetzt: in das von Jugendlichen, von 4 Mädchen (!), die den Aufstand proben. In der Tat nur ‚proben‘, denn sie sind nicht nur wirklich eingesperrt, sondern auch eingesperrt in ihrer Gedankenwelt, geprägt durch ihr Alter, ihre Lebensumstände und Kultur. Sowohl die Inszenierung als auch das darstellende Spiel der Jugendlichen zählt zu den Höhepunkten des Festivals.
Dramatisch gesteigert wird die Form des Anprangerns von bedrohlicher Engstirnigkeit respektive politischen Extremismus‘ noch von der Gruppe Das Planeten Party Prinzip in ihrer Produktion „Aufwachen“. Schade, dass unter der Quantität der kritikreichen Aspekte die Qualität ihrer Aussagen etwas leidet.
Werner Halbedl, und Alexander Kropsch richten das kalte Licht ihrer Regie-Spots in „Drei Tage in der Hölle“ punktgenau auf das, was das Leben in Minsk und an manch anderem derartigen Ort ausmacht bzw. ausmachen könnte. Gemeinsam mit Ninja Reichert hauchen sie dem beschreibenden Text nachhaltige, tief berührende Griffigkeit ein; und ab und zu auch ein klein wenig von dem, was (Mit-)Gefühl in diesen Menschen, in dieser Situation sein mag. Man möchte all das eigentlich nicht sehen – man ist dankbar, es so gesehen zu haben. Eine Produktion von TheaterQuadrat.
Dass zeitgenössisches Theater thematisch auch ganz anderes kreativ gestaltet, macht der künstlerische Leiter des Festivals und von theaterland steiermark, Peter Fasshuber, in seiner gelungenen Auswahl der Künstler und Stücke in den außerdem gezeigten Darbietungen klar. So widmen sich Marta Navaridas und Alex Deutinger gemeinsam mit Christoph Szalay dem sinnlichen Bewegungsfluss im Miteinander, der erträumten zwischenmenschlichen Harmonie von Geben und Nehmen. Dass sie in der außergewöhnlichen Unterwasser-Choreographie „Oktopus“ deswegen aber nicht ihr kritisches Oberwasser verlieren, beweist spätestens und unbarmherzig gut die Schlusssequenz.
Wenn Theater Feuerblau ihr Publikum auf eine „Lost-Land Expedition“ mitnimmt, verlieren sich diese hingegen trotz aller heiterer Strukturierungen ein wenig in ihren Intentionen zwischen nicht immer verorteten ortspezifischen Geschichten, Dokumentarischem und performativen wie tänzerischen Chiffren.
Als nicht ganz so voller "Lust" wie erwartet entpuppt sich die im Titel vorgegebene thematische Auseinandersetzung mit Mitteln des cirque nouveau. Der Verein Momomento hat sich damit freilich etwas schwierig zu Definierendes und damit kaum zu Fassendes vorgenommen; und so genießt man nichtsdestotrotz sehr wohl die zahlreichen geglückten und überraschenden Einfälle zum Thema sowie ihre Bewegungs-, Jonglage und insbesondere ihre Balance-Variationen sowie nicht zuletzt die live Musik.
Ein hoch gestecktes Ziel liegt auch der Performance „5&20 Udarcev/Schlagzeilen“ von Theater Šentjanž zugrunde: Die Künstler wollen das anmaßende Verhalten von „instant-Einstellung“, dass also alles ‚sofort‘ möglich sein müsse, bewusst machen, einerseits; andererseits wollen sie Aufmerksamkeit für und Wissen um die slowenische Sprache erreichen. All das anhand von 25 Sätzen in eben dieser Sprache. Die Rechnung geht nicht wirklich auf, aber man lässt sich gerne ein auf das lebendige, freilich weitgehend unverständliche Bühnen-Spiel.
Der dialogische Monolog "Ort.Los" von und mit Daniel Doujenis umkreist als darstellerische Spitzenproduktion mit offenherzigem Intellekt tiefsinnig-humorvoll und mit ein wenig von der clownesken Grundeinstellung des Poetisch-Traurigen eine fundamental zentrale Frage jedes Theater-Festivals – und dies ganz und gar nicht schulmeisterlich: Was ist Kunst? Wer oder was ist der Künstler – Objekt und/oder Subjekt? Die Sensibilität für diese und andere Fragen hat diese Werkstatt überzeugend vergrößert.
WERKSTATT. Das Festival der Uraufführungen in Oberzeiring, 25. bis 29.September 2018