Das Opern-Publikum zu G. F. Händels Zeiten liebte es, sich bezaubern zu lassen und staunen zu dürfen: nicht nur über begnadetes Spiel und Gesang, sondern auch über Ballett, eine brillante Theatermaschinerie und raffinierte Effekte. „Alcina“ war 1735 mit herrlicher Musik und virtuosen Tanzeinlagen ein geradezu idealtypisches Werk. Im Theater an der Wien konnte man sich dieser Tage zwar am Concentus Musicus und dem Gesang von Marlis Petersen erfreuen. Von Verzauberung aber kann keine Rede sein.
Diese Zauberinsel mutet eher wie ein Strafgefangenenlager an, denn als Eiland der Zauberin Alcina, die mit Gefolgschaft und Liebhabern in den Tag hineinlebt (Bühne und Kostüme: Katrin Lea Tag). Ludovico Ariost verdanken wir die märchenhafte Erzählung der hässlichen Alten, die sich dank magischer Künste in vollendeter Schönheit zu präsentieren pflegte. Ihre zahlreichen abgelegten Loverboys verwandelte sie in Tiere. Den aktuellen vermisst jedoch seine Verlobte Bradamante und macht sich auf die Suche, als Mann verkleidet, en travesti, wie das gern gemacht wurde im 18. Jahrhundert. Sie findet ihn, und nach diversen Irrungen und Wirrungen kommen am Ende auch die richtigen Paare zusammen. Alcina ist die große Verliererin. Zum ersten Mal hat sie wirklich geliebt und verlor dadurch ihre Zauberkraft. Fortan muss sie in ihrer wahren Gestalt dahin kümmern.
Die Regie von Tatjana Gürbaca findet nicht wirklich eine Linie, im Gegenteil, es wirkt ein wenig wie eine Schulaufführung – wären da nicht die hochprofessionellen SängerInnen. Von Marlis Petersen ist man viel körperliche Energie gewohnt; allerdings war sie bestimmt noch immer von ihrem vor der Premiere erlittenen Hexenschuss gezeichnet. Auch ermöglichte ihr seltsames langes Kleid, das einer Daunendecke ähnelte, kaum Bewegung. Ihr feiner, exquisiter Sopran entschädigte für so manche Langeweile in dieser Inszenierung. Solid sangen Katarina Bradic als Bradamante und Mirella Hagen als Morgana.
David Hansens etwas scharfer Countertenor leistete viel Koloraturarbeit, die auch allen anderen einigermaßen gelang, bestimmt auch durch die Unterstützung des neuen Concentus Musicus-Direktors Stefan Gottfried. Der Gesamtklang der herrlichen Musik Händels, den seine musikalische Leitung entstehen ließ, hätte strahlender sein können. Offenbar lag seine Konzentration auf einer sehr exakten Praxis, und so war sehr viel Feines zu hören. Der Nachteil dessen war, dass der musikalische Part nicht viel zum Gelingen des gesamten theatralen Ereignisses beitrug. Die Musik blieb irgendwie isoliert, aber das kann durchaus auch an der faden Regie liegen.
Schade auch, dass die beiden Balletteinlagen, die Händel hineingeschrieben hatte in die Handlung, nicht in Tanz umgesetzt wurden. Bei der Premiere anno 1735 tanzte sogar ein damaliger Star, die Ballerina Marie Salleé (1707-1756). Sie hat den großen Komponisten maßgeblich inspiriert und man darf annehmen, dass Händel ihren legendären, ausdrucksstarken Tanz im Sinn hatte, während die Oper kreierte. Salleé galt als Konkurrentin von Marie Cupis de Camargo, deren Tanz virtuoser, aber weniger graziös und inhaltlich determiniert gewesen sein soll. Salleé war mit Sicherheit eine Vorläuferin der später von Jean Georges Noverres und anderen initiierten Ballettreform. Bei der Wiederaufnahme der „Alcina“ 1736 ließ Händel die Tänze übrigens selbst weg. Vermutlich deshalb, weil die Salleé nicht mehr dabei war – die Premiere der „Alcina“ verlief für sie persönlich nicht so günstig. Ihr Kostüm als Cupido missfiel vor allem den männlichen Besuchern, und sie verließ daraufhin London sehr rasch.
"Alcina" am 24. September 2018 im Theater an der Wien.