Eine hinreißende Regie mit einer zündenden Choreografie, hervorragende Sänger und ein Traum-Orchester – „Platée“ von Jean-Philippe Rameau im Theater an der Wien ist ein Opernerlebnis der Superlative. Regisseur Robert Carsen hat die Geschichte der hässlichen, aber eitlen Sumpfnymphe, mit der Jupiter und seine Götterkonsorten ihr übles Spiel treiben, in die bunt glitzernde Mode- und Popwelt von heute verlegt.
Jean-Philippe Rameaus hat sein satirisches Tanzdrama über eine Ausgestoßene, die nicht in die Gesellschaft passt, 1745 für den französischen Hof geschrieben. Die faux pas, die die aus sumpfigen Niederungen stammende Platée im gehobenen Milieu der Götter begeht, wurden von der Hofgesellschaft freilich gleich als solche erkannt. Heute erreicht dieser Witz kaum noch das Publikum. Was liegt also näher als die Handlung in die heutige, vom Fashion Diktat geprägten Gesellschaft zu verlegen, die jeden Außenseiter sofort erkennt und brandmarkt. So frönt Platée in einem noblen Wellness-Hotel ihren Schönheitsbehandlungen in aller Öffentlichkeit und passt so überhaupt nicht in den Kreis der Schönen und Reichen. Was immer sie tut, sie benimmt sich daneben und tritt von seinem Fettnäpfchen ins nächste. Und doch hält sie sich für unwiderstehlich und natürlich auch eines Jupiters würdig, der sie für die Ehe auserkoren hat. Dabei will dieser seiner Gattin Juno doch nur zeigen, wie lächerlich ihre dauernde Eifersucht sei. Platée ist sein Showcase, denn wer könne sich schon in einen Trampel wie sie verlieben. Das grausame Spiel geht auf, Juno bricht in Lachen aus, als sie den angeblichen Ehebruch ihres Gatten entdeckt und Platée wird in ihrer Selbstüberschätzung gedemütigt. Und selbst wenn die Geschichte nicht durchwegs Sinn macht, so stört das nicht, denn es ist ja nur eine neue Theaterform, die hier geprobt wird. Im Prolog hatten Thalia, die Muse der Komödie, Momus, die Personifikation der Satire und Thepsis haben bei einem Bacchus-Fest in Weineslaune beschlossen, eine neue Art des Dramas zu erfinden. Wenn sie sich am Ende Amors Pfeil selbst ins Herz stößt, wird aus der Komödie doch noch eine Tragödie, und man fühlt Mitleid mit diesem plumpen Wesen, dem der wunderbare Tenor Marcel Beekman noch dazu so sympathische Züge verleiht.
Kalt und unnahbar ist hingegen Jupiter alias Karl Lagerfeld, der mit weißer Kuschelkatze im Arm auftritt (Edwin Crossley-Mercer). Er ist der Superstar in einer verrückt-schrillen, gefühllosen und hektischen Mode- und Popwelt, die sein perfides Spiel widerspruchslos mitspielen. Ausstatter Gideon Davey hat für seine zahlreichen, bunten, fantasievollen und witzigen Kostüme aus dem Vollen geschöpft. Das Hotel als Ort der Handlung glitzert dazu in Silber. Jupiter hat seine Auftritte vor Platée in einer Modenschau von Wolken (die Tänzer tragen Wolken-Anzüge) und Eulen (mit abstrusen Irokesen-Haarstilen), die Figur der Folie, die Tollheit (Simone Kermes), evoziert mit ihren Auftritte Popgrößen wie Madonna oder Lady Gaga.
Cithéron, der Erfinder der Intrige ist der Barmann im Nobelhotel (Marc Mauillon), die Abwicklung managt Mercure (Cyril Auvity), der gschaftlhuberisch immer mit Handy am Ohr im Einsatz ist, assistiert von Mommuss (João Fernandes). Juno, das „Publikum“ des Ränkespiels, ist als zickige Coco Chanel personifiziert (Emilie Renard). Sie alle sind ideal besetzt. Neben Simone Kermes, die mit ihren Koloraturen die Bravourstücke der Oper singt, setzen die Männer ihr Timbre zur Charakterisierung der jeweiligen Rolle ein.
Apropos Rollenspiel: selten wurde eine Oper so locker und selbstverständlich gespielt. Nicht nur von den Solisten, sondern auch vom Arnold Schönberg Chor, dessen Mitglieder sich (fast) ebenso wendig zur Barockmusik bewegen, wie das 10köpfige Tänzerensemble unter der Leitung von Nicolas Paul. Dessen Arbeit in dieser Ballet-bouffon macht neugierig auf Mehr von diesem französischen Choreografen. Die Ballette am Ende jedes Aktes zeugen von einer sehr interessanten und eigenständigen Tanzsprache, die alle stilistischen Einflüsse von klassisch über zeitgenössisch bis Hip Hop integriert.
Dem Team Robert Carson und Nicolas Paul ist hier jedenfalls eine schnelle, rockige Barockoper gelungen, die auch in der zweiten Vorstellung Anlass zu frenetischem Jubel gab. Last but not least auch aufgrund des großartigen Klangkörpers von Les Arts Florissants unter der Leitung von Paul Agnew, die der beseelten Orchestrierung Rameaus so temperamentvoll neues Leben einhauchten.
„Platée“, Ballet-bouffon von Jean-Philippe. Eine Koproduktion des Theater an der Wien mit der Opéra Comique Paris. Gesehene Vorstellung im Theater an der Wien am 19. Februar. Weitere Vorstellungen am 24., 26. und 28. Februar 2014.