Als Donnerhall eilt Aain Platels jüngstem Stück, „tauberbach“, seit der Premiere in München im Jänner 2014 der Ruf eines Wunderwerks voraus. Prompt wurde ihm auch der Orden einer Einladung zum Berliner Theatertreffen verliehen. Dementsprechend jubelnd toste der Applaus nach der ImPulsTanz-Premiere im Volkstheater. Und das großartige Ensemble der Compagnie les ballets C. de la B. mit der Schauspielerin Elsie de Brauw (NT Gent) hat die Ovationen mehr als verdient.
Bach beruhigt. Der Titel, „tauberbach“ beruht auf der Musik, die Platel einsetzt – Johan Sebastian zieht immer. Auch wenn Gehörlose eine Kantate intonieren, findet man ein paar schmeichelnde Takte. Schließlich soll das Publikum nicht mit dem Heulen und Brüllen der gehörlösen SängerInnen im Chorprojekts des Videokünstlers Artur Zmijewski schockiert werden. Damit sich das geneigte Auditorium so wirklich wohl fühlt, spielt der französische Jazzmusiker und Akkordeonist Richard Galliano die sattsam bekannte Air aus der Orchester Suite Nr. 3 und Steven Prengel lässt die Orgelversion des Chorals „Jesus bleibet meine Freude“ aus Kirchenkantate BWV 147 erkllingen. Von einer perfekten Anlage oft nur als Hintergrundmusik eingespielt, schleichen sich die bekannten Noten ins Ohr, mehr noch ins Gemüt. Um das Kapitel Musik abzuschließen: Auch live ist Bach zu hören: Das Ensemble selbst vereint sich immer wieder zum Gruppengesang und lullt uns am Ende gar mit dem lieblichen Terzett aus Mozarts Oper „Così fan tutte“ „Soave sia il vento“ ein. Wenn das nicht schön ist, ist gar nichts mehr schön zu nennen.
Schön ist auch der Haufen gewaschener Kleiner und Stofffetzen, der gern als Müllhalde interpretiert wird, weil sich Alain Platel am 2004 entstandenen Film von Marcos Prado über die damals 63jährige schizophrene Brasilianerin Estamira orientierte, die 20 Jahre auf einer Müllhalde nahe Rio de Janeiro überlebt hat. Prado hat Estamira, die ab 2000 in psychischer Behandlung war und 2011 gestorben ist*), vier Jahre lang mit der Kamera begleitet und hat sowohl Estamiras psychotische Zustände wie auch ihre klaren Momente eingefangen. Ihre Ansichten über den bösen Gott und den Zustand der Welt, könnten als Spiegelbild einer apokalyptischen Wirklichkeit interpretiert werden.
Platel hat sich also inspirieren lassen und gemeinsam mit zwei Tänzerinnen und drei Tänzern eine sehr appetitliche (Elsie de Brauw in der tragenden Rolle kommt in gebügelter Hose, gewaschen und gekämmt auf die Bühne) abwechslungsreiche, auch humorvolle Performance gestaltet. Zu Bach lässt sich ja gut tanzen und wenn sich die TänzerInnen aus den bunten Kleiderbergen erheben, Arme und Beine zum Himmel strecken, die Glieder verrenken und auch im Bewegungskatalog des klassischen Ballett kramen, ist es schwer an einen Misthaufen zu denken. Das schwerblütige Feuilleton tut es unentwegt, geheimnist in die, wie am Lachen im Publikum festzustellen war, recht unterhaltsame Vorstellung allerlei Gefühlstiefes von Menschenwürde und Weltzustand hinein und erspart so Alain Platel jegliche aufwändige Marketingmaschine.
Sei’s drum. Der 90 minütige Abend war zu genießen, auch wenn kaum Überraschungen wachgerüttelt haben. Die Platelsche Zitterpartie , wie üblich; jegliche Art von Selfie-Sex und auch im Duo, unvermeidlich; Körperbemalung, diesmal in Schwarz (de Brauw mit Paste um Mund und Kinn erinnert an Conchita Wurst), schon bekannt, auch die nackten Hinterteile und in Schwingung versetzte Pendel-Mikrofone sind unverzichtbar. Manchmal geht das Licht aus und es wird geklatscht, aber zu Ende ist die Performance deshalb nicht. Ein wenig straffende Disziplin hätte da nicht geschadet.
Artig verbeugen sich mit Elsie de Brauw, Bérengère Bodin, Elie Tass, Lisi Estaras, Rameu Runa und Ross McCormack. Der Amsterdamer Musiker und Komponist Steven Prengels verdient Applaus für die perfekte musikalische Dramaturgie, Platel für die adrett bunte Bühne samt Schubkarren und zwei beweglichen Scheinwerferbalken.
*) Platel bekennt im Interview mit Wolfgang Kralicek / Falter, dass er keine Ahnung hat, wie es Estamira jetzt geht.
Alain Platel / les ballets C de la B. „tauberbach“, 17. Juli 2014, Voklstheater im Rahmen von ImPulsTanz.
Weitere Vorstellungen 19., 20. Juli