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Andrew Wien22016 wurde die „European Foundation Dance & Creative Wellness“ von Clare Guss-West und Andrew Greenwood gegründet, die seither eine Reihe beachtlicher Initiativen gesetzt hat. Nach einer zweitägigen Konferenz in London gab es im Dezember in Wien mit Andrew Greenwood eine Initialzündung für die Tanzarbeit mit Menschen, deren Gesundheit und Wohlbefinden durch Alter oder Krankheit beeinträchtigt ist. Ende Dezember folgt sein fünftägiges Ausbildungsmodul in Berlin.

Immer mehr Tänzer stellen ihren Beruf, ihre Berufung und ihre Leidenschaft in den Dienst der Gemeinschaft, erregen damit die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern und werden von ihnen mit zielgerichteten Untersuchungen unterstützt. So gibt es mittlerweile eine Reihe empirischer Studien, die die Benefits von Tanzpraxis zum Beispiel mit Multiple Sklerose, Parkinson oder Demenz-Patienten belegen. Eine bahnbrechende Langzeitstudie des Albert Einstein College in New York kam sogar zu dem Schluss, dass Tanzen die beste Prävention gegen Altersdemenz ist. Es ist freilich dennoch ein langer Weg bis der Tanz als präventive Maßnahme vom Gesundheitssystem anerkannt wird. Doch das ist eines der Ziele der „European Foundation Dance & Creative Wellness“.Andrew Wien5

Tanz kann einen Unterschied machen bei den globalen Herausforderungen von Gesundheitsepedemien wie Alzheimer, Depression oder Übergewicht oder beim Umgang mit einer zunehmend alternden Gesellschaft. Der Ruf nach neuen Strategien und Innovation im Gesundheitsbereich wird von der Weltgesundheitsorganisation oder in der EU Gesundheitsstrategie gefordert und auch zunehmend gehört und in Aktionen umgesetzt. Vorreiter-Beispiele wie „Kunst auf Krankenschein“ gibt es bereits in skandinavischen Ländern oder in Großbritannien. Immer mehr Ärzte und Gesundheitsmanager räumen alternative Präventionsmethoden Platz ein, um das Gesundheitssystem mittelfristig zu entlasten. Die „European Foundation Dance & Creative Wellness“ bietet dafür eine fundierte Austausch-Plattform.

Der Begriff „Wellness“ mag in diesem Zusammenhang harmlos klingen. Doch er wurde sehr bewusst gewählt. Tänzer, Tanzlehrer und Künstler sind keine Therapeuten oder Mediziner. Ihr Ziel ist es, durch kreative Bewegung die Lebensqualität der Teilnehmer zu steigern.

Danielle London„Dancing Wellness in London“

Mit unterschiedlichen Zielgruppen zu tanzen ist in Großbritannien seit den 1970er Jahren künstlerische Praxis. Und so bot sich der Austragungsort für die Konferenz „Dancing Wellness“ im Londoner Tanzhaus Sadler’s Wells und in den Studios der Rambert Dance Company quasi an. Mit einem dynamischen Mix aus Workshops, Vorträgen, Debatten und Präsentationen wurde das Konzept von „Wellness“ durch Tanz beleuchtete und dabei Initiativen aus verschiedenen Ländern vorgestellt.Tänzerinnen und Tänzer boten Einblicke in ihre Arbeit mit kranken, behinderten und älteren Menschen und entwickelten damit ein Szenario für „angewandten Tanz“. So unterschiedlich ihre Ansätze und Backgrounds auch waren, eines stand immer im Mittelpunkt: die künstlerische Intention und kreative Auseinandersetzung mit Tanz, Körper und Bewegung. Diesem Aspekt geht etwa Danielle Teale nach, die ihre Studie „Artistic Integrity in dance and health based practice presentation“  über unterschiedliche Leadership-Modelle in der Tanzarbeit präsentierte.

Mitglieder des English National Ballet und von Rambert leiteten je eine Session „Dance for Parkinson’s“ beziehungsweise „Dance for Dementia“. Beide Compagnien nehmen ihr Repertoire zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit, etwa Akram Khans neulich uraufgeführte „Giselle“ oder Christopher Bruces „Rooster“. Andrew Greenwood präsentierte seine langjährige Arbeit mit MS-Patienten, die er in den Niederlanden entwickelt hat. Filipa Pereira-Stubs legte in ihrem Workshop den Focus auf die Verbindung von „Dance, Mind, Brain and Body“. Die Tänzerin hat im Cambridge University Hospital ein Tanzprogramm entwickelt, an dem Patienten mit Beeinträchtigungen etwa durch Unfall oder einen Schlaganfall teilnehmen. Die sensible „Placebo“–Arbeit – wie sie sie selbst betitelt – entsteht bei ihr durch künstlerische Interventionen auf wissenschaftlicher und therapeutischer Grundlage.ichbinok london

Hana und Atilla Zanin und ihre Gruppe „Ich bin O.K.“ aus Wien vermittelten in einer Präsentation und einem Workshop ihre langjährige Erfahrung mit behinderten Menschen. Mit im Team waren drei Tänzer der Compagnie Ich bin O.K., die beim inklusiven Workshop assistierten. Damit demonstrierte die Gruppe ihre Ausbildungsarbeit mit Menschen mit Down-Syndrom, die im nächsten Jahr voraussichtlich einen „offiziellen“ Ausbildungsstatus erhalten wird.

companyofeldersCompany of Elders und das Tanzen mit Senioren

Simona Scotta hat sich auf die Arbeit mit Senioren spezialisiert, leitet ihre eigene Senioren-Gruppe und ist Probenleiterin der Company of Elders, die ihren Sitz in Sadler’s Wells hat. In den 1990er Jahren von Royston Maldoom gegründet nimmt sie heute im ständig wachsenden Community-Programm von Sadler’s Wells eine zentrale Stellung ein. Für die Aufnahme gibt es lange Wartelisten, die Mitgliederzahl ist auf 28 beschränkt. Somit ist die Company of Elders eines der nachhaltigsten Community-Dance-Projekte überhaupt. Das Programm besteht aus einer wöchentlichen Tanzstunde unter der Leitung von Simona Scotta und Aufführungsprojekten. Abendfüllende Performances bestehen aus Kurzstücken, die auch außerhalb des Theaterkontextes in anderen Settings gezeigt werden: in Nachbarschaftszentren, bei Feierlichkeiten, in Spitälern oder in Museen, aber auch im Parlament haben die begehrten Senioren schon Auftritte gehabt.

Unter dem Titel „Art of Age II“ präsentierte die Company of Elders am Abend der Konferenz "Dancing Wellness" ihr neues Programm mit drei eigens für die Company kreierte Choreografien und drei Tanzfilmen. Mit Michela Meazza, ehemalige Tänzerin bei Matthew Bourne, Jade Shaw aus dem Musicalfach und der Barathanatyam Tänzerin Seeta Patel ging die Einladung an drei junge und relativ unerfahrene Choreografinnen, die das Potential der Senioren durchwegs etwas unterschätzt zu haben scheinen. Dennoch: die Tänzerinnen und Tänzer zeigten sich auch an diesem Abend als gestandene Vollprofis.

Andres hingegen die Erfahrung von Jo Meredith, die mit den Konferenz-Teilnehmern eine Choreografin einstudierte, die sie mit älteren Menschen in einem Community Setting erarbeitet hatte. Sie demonstrierte dabei, wie sie den persönlichen Input ihrer Tänzer in ein künstlerisches Ganzes überführte. In ihrer Erfahrung sind die Senioren keineswegs daran interessiert, eine ruhige Kugel zu schieben. Im Gegenteil, sie liebten die physische und mentale Herausforderung, die Meredith mit ihrer Choreografie an sie stellte.

Die „European Foundation Dance & Creative Wellness“, Initiator und Veranstalter der Konferenz, hat es sich also einerseits zum Ziel gesetzt, die Lebensqualität von Menschen mit oder ohne Tanzerfahrung zu verbessern und bei der Gesundheitsprävention anzusetzen. Andererseits bietet die Plattform Weiterbildungsangebote für Tänzer und Bewegungspraktiker.

Andrew WienWeiterbildung für Creative Wellness Tänzer

Im Dezember dieses Jahres gab Andrew Greenwood in Wien einen Einführungsworkshop in seine Methode Switch2Move für die inklusive Tanzpraxis, „a celebration of life through movement“. Seine Methode beruht auf einem bio-psycho-sozialen Modell und bietet Guidelines für eine ganzheitliche Betrachtung von Wohlbefinden.

Die zweitägige Weiterbildung fand in Zusammenarbeit mit dem Wiener Staatsballett statt. Sieben Tänzer und Tänzerinnen der Compagnie sowie 19 TeilnehmerInnen aus unterschiedlichen Tanzbereichen erlebten eine spannende und motivierende Einführung in ein relativ neues Berufsfeld.Andrew Wien3

„Wir arbeiten mit Menschen mit Beschwerden, aber unsere Arbeit dreht sich nicht um diese Beschwerden, sondern will den gesunden Anteil stärken und fördern“, sagt Greenwood. Mit Bewegungsbeispielen, Aufgaben und einer Klasse mit Parkinson- und MS-Patienten erhielten die Teilnehmer einen Einblick, wie der ehemalige Balletttänzer und Ballettmeister seine Stunde strukturiert und dabei keine künstlerischen Abstriche macht. Die kreative Tanzpraxis steigert die Vitalität, ist ein Lernprozess, hilft Entscheidungen zu treffen, steigert das Selbstvertrauen, fördert die soziale Anbindung sowie das körperliche und emotionale Gleichgewicht und trägt zu einem verbesserten Wohlgefühl bei. Well-being, Wohl-Sein, bedeutet „den kritischen inneren Dialog mit sich selbst abzuschalten“ und beim Tanzen „einen Zustand der Freude, Verbundenheit und des Wachstums zu erreichen“.

Andrew Wien4Doch Greenwoods Stunden sind kein Relax-Programm. Als Tänzer weiß er, dass man an der Herausforderung wächst. Seine Stunden sind ein ununterbrochener Bewegungsflow. Doch es geht nicht um das perfekte Meistern einer Bewegung, sondern so lange daran zu arbeiten, bis der Funke überspringt. Das, so meint er, erreicht man bei seinen Tänzern am Besten, wenn man ein Muster anschneidet, dann wieder sein lässt um später erneut darauf zurückzukommen. Wie er diese Methode mit Amateuren, Menschen mit physischen oder psychischen Einschränkungen wie Multiple Sklerose, Parkinson, Demenz oder rheumtischer Arthritis entwickelt und einsetzt, wird er Ende Jänner 2017 in seinem fünftägigen Intensivkurs beim Berliner Staatsballett im Detail erläutern. Das Motto: „The Living Body is Incomprehensibly Intelligent. The Last Unexplored Wilderness“.

Nähere Informationen und Anmeldung zum fünftägigen Intensiv-Weiterbildungsmodul von 23. bis 27. Jänner 2017 beim Staatsballett Berlin auf www.switch2move.com