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vaslav probeNijinsky tanzt seine letzten Schritte. 1. Position, Dévelopé und Fouetté, Grand Jeté und wieder in die Ausgangsposition. Zufrieden dehnt er den Brustkorb, hebt die Arme in die Höhe, sucht mit den Augen den Himmel.  Denys Cherevychko ist für 20 Minuten Vaslaw Nijinksy. Er  wird bei der Nurejew-Gala „Vaslaw“ tanzen, ein Ballett von John Neumeier. Aus Hamburg war Ballettmeister Kevin Haigen in Wien, um mit Cherevychko zu arbeiten.

„Das Licht, das Licht, du siehst das Licht“, ruft Kevin Haigen. Und Denys Cherevychko scheint es tatsächlich zu sehen. Ein Strahlen geht über sein Gesicht, Haigen boxt ihn sanft in den Bauch. „Gut gemacht. Sehr gut!“ Der Lehrmeister ist zufrieden, der Schüler trocknet sich die tropfenden Haare, windet sein T-Shirt aus. Die Probe war anstrengend. Haigen, der gern mit der Stimme seines Herrn spricht, hat als Erster Solotänzer im Hamburg Ballett die Rolle selbst getanzt. Mit Engagement, Akribie und viel Humor studiert er die Rolle, durchzogen von Zitaten aus „Vaslaws“ Choreografien, nun mit dem jungen Ersten Solotänzer ein. Im nächsten Jahr wird Haigen 60 und ist immer noch so springlebendig und energiegeladen wie er als junger Tänzer war und erinnert sich genau, was Neumeier damals seinem Ersten Solotänzer vermittelt hat: „John said“ ist der Refrain, nach dem sich Cherevychko zu richten hat.

Ein neues Fach. Die Rolle verlangt von Cherevychko, der auch in dieser Saison und demnächst während des Sommertanzfestivals in Paris als Basil in „Don Quixote“ Begeisterung hervorruft, einen Sprung in ein gänzlich anderes Fach. Vom verliebten Friseur zum hochsensiblen Genie. Haigen nimmt ihn hart, er macht ihm aber gleichzeitig Mut: „Bravo! Du schaffst das.“ Die Chemie stimmt zwischen dem Ballettmeister und dem jungen Tänzer. Denys Cherevychko gibt auch nicht so leicht auf. Im Gegenteil, die intensive Arbeit an Neumeiers typischer Bewegungssprache (im konkreten Fall „angelehnt an Nijinsky“) gibt ihm Energie. Er weiß, dass es nicht um die hohen Sprünge geht, sondern vor allem darum, ganz in der Rolle aufzugehen. Am Flügel, der einzige Bühnendekoration, sitzt Ballettkorrepetitor Igor Zapravdin und perlt Johann Sebastian Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ – Präludium und Fuge – immer wieder von Neuem. Choreograf Neumeier hat Bach nicht von ungefähr als Begleitung für „Vaslaw“ gewählt. Sergej Diaghilew wollte von Nijinsky ein Ballett zur Musik des Barockmeisters. Zur Inspiration aber auch zur Beruhigung und Erholung nach dem Skandal rund um die Uraufführung des „Sacre“, reiste der Bühnenbildner Alexandre Benois mit Nijinsky im Sommer 1913 nach Baden-Baden. Doch auch Besichtigung der barocken Schlösser und Gartenanlagen, weckten in Nijinsky wenig Lust auf historisierendes Getändel. Das Bach-Ballett-Projekt wurde aufgegeben. Neumeier hat nun die beiden genialen Künstler, den Tänzer und den Komponisten, doch vereint.

Denys Cherevychko will zwar nicht Nijinsky sein, dass er ihn auf der Bühne verkörpern darf, freut ihn. Klar dass er sich mit dem Menschen und Künstler Vaslaw intensiv auseinander gesetzt hat. „Ich weiß jetzt alles über ihn. Ich war auch in Hamburg bei John Neumeier, um an den Bewegungen zu arbeiten.“ Und Bach? Kann der junge Mann auch mit dem alten Johann Sebastian etwas verbinden? Fast bekommt Denys Cherevychko einen Lachkrampf bei dieser Frage: „Auch in der Ukraine hören wir manchmal Bach oder Beethoven“, sagt er mit schelmischen Blick in flüssigem Deutsch. Mit 16 hat er seine ukrainische Heimatstadt Donezk verlassen, um an der renommierten Ballett Akademie (Heinz-Bosl-Stiftung) in München fertig zu studieren. Zwei Jahre später war er in Wien und bald zum Halbsolisten ernannt. Sein Deutsch damals: mangelhaft. Doch das Heimweh war bereits gemildert, die große Schwester hatte ihr Studium in Wien begonnen.

Küken mit Courage. Als Küken von 23 Jahren rückte er im vergangenen Sommer in den elitären Kreis der Ersten Solisten auf. Den bubenhaften Charme hat er sich dennoch bewahrt. Auch an Courage hat er nichts eingebüßt. Die setzt er auch ein, wenn es gilt innerhalb von 24 Stunden eine so schwierige Rolle wie den im Wahnsinn endenden Frédéri in Roland Petits „L’Arlesienne“ zu lernen. Kirill Kourlaev, der die Rolle kreiert hat, war erkrankt, Cherevychko rettete die Vorstellung ohne zu zögern. Der donnernde Applaus tröstete über die kurze Probenzeit. Courage zeigte er auch im Vorjahr als er mutterseelenallein zum renommierten Ballettwettbewerb nach Varna reiste. „Wettbewerbe sind nur etwas für junge Tänzer, deshalb musste ich unbedingt noch da hin. Nach der Nominierung für den Prix Benois wollte ich auch diese Goldmedaille.“ Maître Legris gab ihm nolens volens seinen Segen. Eine Blamage wollte sich das Staatsballett, konnte sich der Erste Solotänzer nicht leisten. Doch Cherevychko scheut kein Risiko: „Ich will immer mehr, dafür arbeite ich.“ Den 1. Preis samt Goldmedaille für eine „fliegende Hummel“ zur Musik von Nikolai Rimski-Korsakow hat er in Varna tatsächlich bekommen. Den unsichtbaren Publikumspreis gewinnt Cherevychko immer wieder für seine Interpretation des verschmitzten spanischen Barbiers in Rudolf Nurejews „Don Quixote“. Auch die Pariser konnte er mit Maria Yakovleva als Partnerin bereits begeistern. Den „Legris-Touch“ ortete ein Kritiker in den Solo-Variationen und bescheinigte ihm auch „Charisma, Virtuosität und Lebensfreude.“

Der bedingungsloser Siegeswille ist mit eiserner Disziplin und ebensolcher Arbeitslust gepaart. „Der Ballettsaal ist nicht alles, ich beobachte auch die Leute auf der Straße, wie sie sich bewegen. Wenn ich etwas Schönes sehe, und mein Beruf besteht ja aus Schönheit, dann versuche ich das zu integrieren.“ Vorbilder? „Natürlich gibt es Tänzer, die ich bewundere, aber ich will niemanden kopieren, ich will nicht besser sein als jemand. Ich will besser sein als ich.“

Mit kräftigen Sprüngen und nie versiegender Energie brilliert Cherevychko auch in zeitgenössischen Choreografien, was ihm noch zum Glück fehlt, sind die klassischen Prinzenrollen. Dass er nicht der geborene „Danseur noble“ – hochgewachsen mit schlanker Silhouette, wie Nijinsky, Nurejew oder Legris – ist, tut er mit einem Lachen ab: „Baryshnikov war auch nicht besonders groß, oder Malakhov. Ich bin noch jung und habe noch viel vor. Die Prinzen werden alle kommen, das ist nur eine Frage der Arbeit.“ Neben blendender Technik, Risikofreude und nimmermüdem Trainingsfleiß ist Denys Cherevychko auch von einer gebührenden Portion Selbstvertrauen beseelt: „Was du wirklich willst, das schaffst du auch.“ Die Proben mit Kevin Haigen geben ihm Recht. Dieser Tänzer, der da nach dem Licht strebt und gedankenvoll Positionen studiert ist weder der verschmitzte Basil aus Sevilla, noch der akrobatischer Mercutio aus Verona und auch nicht der quirlige Puck im Athener Wald – ein Prinz tanzt da in Arkadien, bald nicht mehr von dieser Welt.

Denys Cherevychko in der Wiener Staatsoper: 15. und 17. Juni, „Don Quixote“ mit Maria Yakovlev

29.Juni 2013 „Vaslaw“ in der Nurejew-Gala. Staatsoper.

Paris-Gastspiel des Wiener Staatsballetts: „Les Etés de la Danse“, 4.–27.Juli 2013, Théatre du Châtelet.