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dagmar_kronbIn Boris Eifmans neoklassischem Tanzdrama zeigte Dagmar Kronberger als „Anna Karenina“ im gleichnamigen Ballett von Boris Eifmann, dass sie mehr kann als feenhaft elegant über die Bühne zu schweben. Im Interview erzählt sie von ihrer Freude am Tanzen und ihrer Karriere – nicht nur als Ballerina.

Dagmar gibt eine Privatvorstellung im Wohnzimmer. Noch geht sie nicht in die Schule und tanzt schon zur Radiomusik. Die Mama ist begeistert. Und sie schickt ihr Mäderl in die Ballettschule und die kleine Dagmar hat viel Freude an den Bewegungsübungen. Als sie ins Gymnasium kommen soll, empfiehlt die Tanzlehrerin, die Heranwachsende doch in der Staatsopern-Ballettschule anzumelden. Die Familie tut es, ohne eine Bühnenkarriere im Sinn zu haben

Umso überraschter war die junge Dame, als sie den Bescheid erhielt: „Kandidatin hat bestanden.“ Die Mama ist schockiert: Jetzt wird es ernst. Die Zehnjährige ist in die Ballettschule der Wiener Staatsoper aufgenommen. Ob sie das wirklich will? Ob sie weiß, was auf sie zukommt? Ob das harte Training nicht zu viel für die zarte, schüchterne Dagmar ist? Die Zweifel der Mama bleiben ungehört, die Tochter hat bereits Feuer gefangen. Sie wird Balletttänzerin werden. Acht Jahre später hat Dagmar Kronberger ihr Ziel erreicht. Als verlässliche Halbsolistin zählt die Wienerin zu den Stützen der unter der Direktion von Manuel Legris so richtig aufgeblühten Compagnie. Erst kürzlich begeisterte sie als Fliederfee im Tschaikowsky-Klassiker „Dornröschen“ nicht nur das Publikum.

„Ich fühle mit dieser Frau, die auf einmal die Liebe erlebt, dabei sogar ihr Kind verlässt und zwischen Moral und Gefühl, zwischen Pflicht und Neigung zerrieben wird.“ Damals, 2006, als der russische Starchoreograf Eifman in Wien war, um die Proben für die Wiener Erstaufführung – der ersten von einem anderen als Eifmans eigenem St. Petersburger Ensemble getanzten Aufführung überhaupt –  an der Volksoper zu überwachen, wurde Dagmar Kronberger gefragt, ob sie denn die Gefühle einer Mutter, die ihr Kind zurücklässt, um mit dem Geliebten aus dem Ehegefängnis zu fliehen, nachempfinden könne. Dagmar konnte. Heute aber spürt sie wirklich, welche schwere Entscheidung Anna Karenina getroffen hat. Die dreijährige Lea hätte da ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Und natürlich der Gefährte und Vater, Eno Peci, ebenfalls. Dennoch liebt die Tänzerin die Rolle, nicht nur weil es eine große Hauptrolle ist – „Ich bin ja fast die ganze Zeit auf der Bühne“ –, sondern auch weil sie die Rolle als „durchaus heutig“, die Geschichte als „zeitlos, voll Leidenschaft und Leiden“ empfindet. „Eine junge Frau, unglücklich verheiratet, von gesellschaftlichen Regeln eingezwängt, wirft alle moralischen Bedenken über Bord, weil sie sich verliebt hat, sich geliebt fühlt. Dann scheitert sie, weil eine Beziehung zu führen, ist ja etwas ganz anderes als eine heftige Liebe.“ Aber auch die Choreografie von Boris Eifman kommt der Kronberger entgegen. „Ich mag zwar die Feen auch, aber die klassischen Rollen liegen mir weniger als moderne Choreografien mit Figuren, die ich gestalten kann. Am Pirouettenwettbewerb bin ich nicht interessiert. Die Anna erlebt ja in rasantem Tempo so unterschiedliche Gefühlszustände, vom glücklichen Verliebtsein bis zum Wahnsinn. Das alles kann man im Tanz ausdrücken.“ Von den Schwierigkeiten der komplizieren Schrittkombinationen, der schnell wechselnden Positionen in den Pas de deux und den nahezu akrobatischen Verrenkungen samt hartem Aufprall auf dem Boden, die Eifman von seiner Tänzerin verlangt, spricht sie nicht. Eifman, der für seine „Anna“ den renommierten „Prix Benois de la danse“ erhielt, hat sich in seiner Choreografie ganz auf die Titelfigur konzentriert und sie wie ein Psychoanalytiker untersucht. Als „psychoerotische Analyse ihrer Persönlichkeit“ hat Eifman auch den 1877 entstandenen Roman seines Landsmannes Lew Tolstoi gelesen. Mit stupenden Ensembleszenen  zeigt Eifman im Zeitrafferfilm Annas weite Reise vom behüteten Heimchen bis zum bitteren Ende einer Verzweifelten und  spielt zugleich virtuos auf dem Gefühlsklavier.

Ihre ersten Tanzschritte machte Dagmar Kronberger vor dem Fernsehapparat. „Ich bin ja in der Zeit der großen Fernsehshows mit aufwändigen Balletteinlagen aufgewachsen. Davon war ich fasziniert.“ Die Mama ist entzückt. Dagmar gibt eine Privatvorstellung im Wohnzimmer. Wiegt sich im Takt, schwingt die Beine, hebt die Arme, hüpft und dreht, dass die Mama beschließt, sie in eine (private) Ballettschule zu schicken. Dagmar hatte Freude daran, wollte Elfe und Prinzessin sein. Noch war alles Freude an der Bewegung, Spaß am Rollenspiel. „Dann musste die Entscheidung getroffen werden in welches Gymnasium ich gehen sollte und weil die Ballettschule der Staatsoper Schülerinnen suchte, habe ich halt die Aufnahmsprüfung gemacht.“ Weder Mutter noch Tochter sind von brennendem Ehrgeiz gebeutelt und waren deshalb beide überrascht vom positiven Ergebnis. Die Mutter gar erschrocken. Aber die Würfel waren gefallen. Dagmar arbeitete sich mit Freude und Ernst an der Stange hoch. „Das harte Training hat ich nicht gestört. Später habe ich schon manchmal Sehnsucht bekommen, mit den anderen Mädchen und Buben meines Alters in die Disco zu gehen, Party zu feiern oder einfach nur herum zu blödeln. Aber ich wollte auch die Ausbildung beenden.“ Das Durchhalten hat sich gelohnt. Gleich nach der Matura und der ebenfalls bestandenen Abschlussprüfung, wurde Dagmar Kronberger Mitglied des Wiener Staatsopernballetts. Als der italienische Tänzer und Choreograf Renato Zanella 1995 Ballettdirektor wurde, begann eine wunderbare Zeit für sie: „Ich habe Renatos eigene Choreografien geliebt, er hat meinen Geschmack geprägt, ich habe erkannt, was mich wirklich interessiert, was mir liegt. Die Prinzessinnen sind es nicht.“ Dennoch hat sie sich gefreut, als die bisherige Trägerin (Jolantha Seyfried) des „Fanny Elßler-Ringes“, der an die jeweils führende Tänzerin „wienerischer Note“ verliehen wird, die Ehrung an sie weiter gereicht hat. Jetzt denkt sie manchmal nach, wem sie den Ring vermachen soll, wenn sie endgültig von der Bühne abtritt. Noch ist sie aber voll da und noch einmal blitzen die dunklen Augen der Dagmar Kronberger, wenn sie von „Renato“ schwärmt: „Er war unvergleichlich“. Nachdem Zanella das Ensemble verlassen hatte, erschienen ihr die Zeiten nicht mehr so rosig: „Die Familie, die wir unter Renato waren, löste sich auf. Freundinnen und Freunde verließen das Ensemble oder mussten es verlassen.“ Die Bühne rückte aus dem Lebenszentrum der Kronberger: „Mir wurde bewusst, dass noch mehr gibt als Tanzen und Applaus. Ich bekam Sehnsucht nach einer Familie, nach einem Kind.“ Für Eno Peci, den Lebensgefährten, war Vater zu werden ohnehin höchstes Glück. Der Wunsch ging in Erfüllung, die Tänzerin übersiedelte vom Ballettsaal ins Kinderzimmer. In den zwei Karenzjahren, so erzählt sie, habe sie mehr gewonnen als verloren. „Ich war erstaunt, wie schnell ich wieder in Form war. Aber diese Pause war notwendig. Jetzt bin ich wieder voller Freude und Engagement dabei “ Und unter dem (nicht mehr gar so) neuen Direktor Manuel Legris hat auch das Ensemble gewonnen, wird allmählich wieder zur Familie, die viele TänzerInnen mitunter vermissen. Einfach haben sie es mit dem gestrengen und anspruchsvollen Probenleiter nicht, doch weiß er Qualität zu schätzen: „Legris ist sehr genau und präzise und feilt an jedem Detail. Die Proben sind oft anstrengend. Doch der Erfolg gibt ihm Recht.“

Die wichtigsten Rollen neben der „Anna Kareninan“ im gleichnamigen Ballett von Boris Eifman: Fliederfee in Peter Wrights „Dornröschen“, Fee des Nordens in Renato Zanellas „Nussknacker“, Lescauts Geliebte in Kenneth MacMillans „Manon“, Titelrolle in Joseph Hassreiters „Puppenfee“, Solopartie in Jirí Kyliáns „Petite Mort“, sowie in Renato Zanellas „Empty Place“, „Movements“, „Elements“, „Alles Walzer“ und „Bolero“ und die Kreation von Rollen in Renato Zanellas „Mythos“, „Sensi“ und „Duke’s Nuts“.

Das Interview-Porträt ist in verkürzter Form am 16. März 2012 im Schaufenster / Kultur Spezial 2 der Tageszeitung „Die Presse“ erschienen.