Hauptkategorie: Magazin

doris_portraitDoris Uhlich, häufig gesehener Spitzengast bei nationalen und internationalen Festivals, wird in der kommenden Saison als Artist in Residence im Festspielhaus St. Pölten arbeiten. Davor zeigt sie bei den Wiener Festwochen im Tanzquartier ihr Zukunft. „Uhlich“ heißt die Performance, in der Gertraud Uhlich das Ereignis ist.

Doris Uhlich will es immer wissen. Nicht nur wie es ist, sich einen Spitzenschuh zu kaufen und in den Armen eines Prinzen zu landen. Doris Uhlich will auch heute schon wissen, wie sie morgen sein wird. Der stellvertretende Körper für die Bühnendarstellung ist bald gefunden. Die Zukunft wird zur Gegenwart, Gertraud Uhlich zu Doris und bleibt dennoch Gertraud.. „Uhlich” von Doris Uhlich mit Gertraud Uhlich wird bei den Wiener Festwochen uraufgeführt werden. Davor aber taucht der notorische Schwan ins Festivalgeschehen ein. Uhlich, Doris, versteht sich, ist mit ihrer Erfolgsperformance „Rising Swan“ Gast bei „Österreich tanzt“ im Festspielhaus St. Pölten.

Natürlich ist der Schwan, einst in der Choreografie von Michael Fokine ein sterbender, ein ganz und gar heutiger, trägt eine Lederjacke über dem unvermeidlichen Tütü und hört Popmusik. „Welche Träume und Visionen hat dieser Schwan, wenn er nicht von Anna Pawlowa sondern von Doris Uhlich getanzt wird?“ Die Antwort auf ihre Frage, gibt die Tanzpädagogin, Tänzerin und Choreografin auf der Bühne, bei Festivals und Gastspielen von Brüssel bis Bristol, über Lyon und London, von Heilbronn und Hamburg bis nach New York. Der internationale Erfolg könnte einer anderen schon zu Kopf steigen, doch Doris Uhlich bleibt mit den Beinen auf dem Boden, der Kopf ist nebelfrei, was sie sagt ist klar und deutlich. So markant oft, dass ihre Aussprüche (etwa über den eigenen X-Large-Popo) zum gedankenlos wiederholten Markenzeichen hochstilisiert werden. Doch wenn Doris Uhlich etwas gar nicht mag, dann ist es ein Markenzeichen: „Das ist es ja, man kann mich in keine Schublade stecken.“ Doch man kann sie zur Artist in Residence machen. Für 2011/12 im Festspielhaus St. Pölten. Ihr Vorgänger 2010/11: Der international bekannte Star Sidi Larbi Cherkaoui. Hebt sie jetzt vielleicht ab? „Nein. Ich freue mich über die Ehre und auch dass ich dort Probenräume habe. Aber ich kann in St. Pölten keine Gruppenstücke machen, die Entfernung von Wien ist zu weit. Also werde ich Workshops machen und drei kleine Produktionen zeigen.“ Doch weil das „Leben kein Solo sondern ein Ensemblewerk“ ist, will sie demnächst selbst ein Ensemble gründen: „Mit ehemaligen Tänzerinnen aus Wien. Doch mit einer Gruppe kann ich nicht zum Proben nach St. Pölten reisen.“ Die Logistik ist zu aufwändig, das Spesenkonto zu niedrig.

Cygninisches (Cygnus, der Schwan) 

Bevor der Schwan sich in die Höhen der Performance erhob, tanzte Doris Uhlich auf der „Spitze“. Nein, sie will nicht Balletttänzerin werden, aber aus der Kindheit blieb einen Rest Prinzessinnensehnsucht. „Ich glaube, da gab es eine Neugierde :Was war das damals? Was ich dachte war, ich kaufe mir diesen Schuh, den ich immer wollte, und möchte mal probieren, was kann ich mit meinem zeitgenössischen Denken mit diesem Schuh anstellen. Wie weit kann ich es denn treiben? Wie weit kann ich eine ­– (Nachdenkpause) – Schwanenprinzessin sein? Nämlich nicht, so wie es die Menschen gewohnt sind, aber vielleicht auf eine andere Art und Weise. Dann kam gleich die nächste Idee: Ich brauche einen Prinzen, der das Ideal darstellt und der sagt, o.k., ich tanze mit einer X-Large Schwanenprinzessin. Das war der Harald Baluch.“ In der Produktion „Spitze“ wirkte auch Susanne Kirnbauer, Prima Ballerina im Opernballett der frühen siebziger Jahre, mit. Sie erzählt aus dem Arbeitsleben einer Tänzerin und zieht sich auch wieder die Spitzenschuhe an. „Das Schöne an diesem ganzen Projekt ist, es treffen sich drei total verschiedene Menschen, die sich ohne diesen Ballettcode nie kennen gelernt hätten. Ich trete in die Ballettwelt ein und die treten in meine Welt ein Und jeder verlässt ein Stück seiner Biografie. Das macht, glaube ich, dieses elektrische Feld in Spitze aus. Keiner ist ja so ganz sicher in dem, was er tut. Auch für den Harald war das nicht so ganz einfach, zu denken: Ich performe jetzt Ballett, ich tanze nicht auf einer großen Opernbühne, sondern in einer Blackbox und die Zuschauer sind nicht durch einen Orchestergraben getrennt. Und die Susi, die nach 20, 30 Jahren den Spitzenschuh wieder anzieht und versucht, das wieder zu lernen! Genauso wie ich versuche das zu lernen, neu zu lernen. Da war auch während der Proben so ein Lernprozess, das hat uns total zusammen geschweißt. Die Susanne nimmt den Schuh her und denkt, was ist da noch möglich? Einerseits. Und Andererseits: Was ich kann ich auch noch Neues machen?“ In „Spitze“, so Doris Uhlich, geht es „voll drum, was passiert eigentlich hinter dieser Illusionswelt. Das ist ja manchmal bizarr.“ Manchmal sogar zum Schmunzeln. niemals aber parodistisch oder verunglimpfend. „Wir haben alle Vertrauen zu einander bekommen, das war ein schönes Erlebnis.“ Und natürlich hat nicht nur die Doris ihren Prinzen bekommen, sondern auch der Harald eine Prinzessin, wenn auch eine ganz andere als er bisher gekannt hat.“

Biografisches

Auch wenn Doris Uhlich schon eine geraume Weile auf dem Markt ist (realistisch, wie sie denkt, weiß sie, dass Kunst nicht nur im Wolkenkuckucksheim gedeiht), darf ein flüchtiger Blick auf den noch recht kurzen aber dichten Lebenslauf der Vielseitigen nicht verweigert werden. Geboren ist Doris 1977 am Attersee, wo der zeitgenössische Tanz noch keinen rechten Boden gefunden hatte. Im Fernsehen aber durfte die Zehnjährige die Serie „Anna“ ansehen, in der ein Mädchen vom Ballett träumt, obwohl sie im Rollstuhl sitzt. Es wäre keine Weihnachtsserie, wenn Anna ihr Ziel nicht erreichen würde und schließlich als Schwanenprinzessin die Flügel ausbreitet. Doris war fasziniert und tanzte ab nun, was und wo es möglich war. Zuerst im Wohnzimmer, dann in der Landesmusikschule in Seewalchen – von Ballett bis Stepp. Je älter sie wurde, desto weiter streckte sie ihre Beine aus, bis sie nach der Matura am Konservatorium der Stadt Wien landete. „Tanzpädagogik“ wollte sie studieren, „ein schönes Studium mit viel Freiheit und einem breiten Spektrum an Fächern.“ Ans Choreografieren hat sie damals noch nicht gedacht: „Ich wollte Tanz unterrichten, mit Kindern und Erwachsenen im Hobbybereich das machen, was meine Tanzlehrerin gemacht hat.“ Allerdings musste erst eine Zwischenstation eingelegt werden: Die Tore des Konservatoriums öffneten sich nicht gleich: „Zu jung“, lautete der Bescheid, „kommen Sie später wieder.“ Doris empfand die Antwort ermutigend und wandte sich der Sinologie zu. Ausgerechnet? „Na ja, der Grund ist ziemlich banal. Ich war damals erst kurz in Wien, der großen Stadt, direkt vom Land ging ich auf die Hauptuni, um irgendwas zu inskribieren, bis ich reif für mein ‚richtiges’ Studium war. Überall an den Schaltern standen so viele Menschen nur an einem war die Schlange nicht so lang, da stellte ich mich dann an und hab Chinesisch inskribiert.“ Die Anekdote erzählt Doris Uhlich nicht ungern, zeigt sie doch ihren uneitlen aber mitunter hintergründigen Humor. „Chinesisch hat mich echt interessiert, es ist irgendwie wie Mathematik, ich habe aber auch in diesem Jahr echt viel trainiert.“ So nebenbei hatten die Damen und Herren bei der Aufnahmsprüfung auch erwähnt, sie sollte doch mehr auf ihren Körper achten, sprich „abnehmen“. Das hat sie auch getan, „und dann bin ich aufgenommen worden und habe gleich wieder zu genommen.“

Zwischenruf über den erlaubten Körper.

Mit ihrem Körpergewicht hat Doris Uhlich keine Probleme mehr. „Klar, ich bin schon ein Genussmensch. Aber ich glaube, dieses schlanke Ideal, diese genormten Körper in völliger Synchronität, ich glaub, das interessiert mich gar nicht so. Ich habe ja nie Probleme gehabt mit meinem Gewicht oder mit den Gelenken. Ich glaube, das haben die Lehrer in der Ausbildung dann auch verstanden und akzeptiert. Sie haben verstanden, dass die Doris, das ist, was sie ist. Man muss sich doch in seinem Körper auch wohlfühlen, um Leistung zu vollbringen.“ Das Publikum akzeptiert nicht nur sondern ist begeistert, wenn Doris Uhlich in „Mehr als genug“ in barocker Nacktheit auf dem Sessel sitzt und live mit Tänzerinnen, Performern, Freundinnen und Bekannten telefoniert, um über Schönheitsideal und die Schönheit des Nicht-Perfekten zu plaudern. Eine einschneidende Erfahrung war die Begegnung mit der Batsheva Dance Company im Festspielhaus St. Pölten: „ Das war ein Aha-Erlebnis. Ich habe plötzlich bemerkt, he, da gibt es Tänzerinnen, die haben so Oberschenkel wie ich! Es hat doch immer schon andere Tänzerinnen / Tänzer gegeben, die haben genauso eine Energie gehabt und eine wahnsinnige Wucht. Es schaut halt anders aus, aber das ist dann eher eine ästhetische Frage und keine künstlerische. Wenn sich der Tänzer wohlfühlt und auch weiß, wie er mit seinem Körper umgeht, dann meine ich, ist jeder Körper erlaubt. Und das sieht man auch jetzt an meinen Arbeiten, die ich künstlerisch mache. Als ich so viel abgenommen habe, damals, habe ich bemerkt, ich dass ich keine Energie mehr habe und keine Kraft. Ich bin keine Hungerkünstlerin, keine Giraffe. Ich bin die Doris.“

Biografische Fortsetzung

Nach einem Jahr des Sprachstudiums, das sie keineswegs als verlorenes sieht, klopfte Doris Uhlich also wieder an in der Johannesgasse, noch war „Tanzlehrerin“ der Traumberuf. Erst allmählich ist sie „draufgekommen, dass es der zeitgenössische Tanz ist, der mich interessiert.“ Dennoch will sie das Unterrichten nicht aufgeben: „ Ich lerne einfach total viel, wenn ich etwas weitergebe. Ich erhalte auch sehr viel wieder zurück. Wenn man unterrichtet oder etwas weitergibt, dann muss man sehr genau und schlicht das sagen, was man will, wo es hingeht. Man kann nicht herumreden. Die Reaktionen beim Unterrichten sind viel unmittelbarer als bei einer Performance. Und – die Kunst bekommt dadurch so einen Boden. Das gefällt mir so.“ Ob in der „Tanzwerkstatt“ in der Wiener Goldeggasse, beim Sommerfestival ImPulsTanz, oder als Gasttrainerin am Konservatorium (jetzt Privatuniversität) und bei Workshops für Profis etwa in Workshops für den Tanz Tag, Doris Uhlich lehrt und lernt mit vollem Einsatz und größtem Vergnügen. Abgeschlossen hat sie ihr Studium 2001. „Das Glück war, genau 2001 hat das Tanzquartier eröffnet. Es gab ja damals wenig Orte, wo man das Gefühl hatte, das ist so ein Sammelpunkt für die Szene, wo auch Diskussionen und Austausch möglich war. Ich hätte nicht gewusst, wo ich hin soll. Wo kann ich trainieren, wo kann ich Choreografen treffen, mit denen ich vielleicht arbeiten könnte oder wo kann ich mich vorstellen, wo bekomme ich einen Kontakt zu dieser Szene? Wo gehöre ich hin? Nur so Alleinschwimmer zu sein, das gefiel mir nicht. Eigentlich wäre ich gern ins Ausland gegangen, aber ich war so neugierig, was dieses Tanzquartier ist und bin in Wien geblieben.“ Sie findet dort nicht nur Trainingsmöglichkeiten, sondern auch Kontakt. Claudia Bosse vom „theatercombinat“ lädt sie ein, mit ihr zu arbeiten. „Es hat sich dann tatsächlich ergeben, dass ich von 2002 bis 2009 im theatercombinat gespielt habe. Und was da so passiert ist, dass durch die Arbeit im combinat plötzlich auch Sprache oder der Kontakt mit Sprache, mit Text herein gekommen ist, auch das Interesse an anderen Räumen.“ Um 2006 wurde der Wunsch, Eigenes zu schaffen, übermächtig und schon zwei Jahre später ist Uhlichs Name im Jahrbuch des Magazins „Ballettanz“ (heute „tanz“) als „bemerkenswerte Nachwuchs-Choreografin“ notiert. Nachwuchs ist Doris Uhlich schon lange nicht mehr, bemerkenswert wird sie bleiben. Auch wenn (oder eben, weil) sie nicht zu schematisieren ist. Wie würde sie sich denn selbst charakterisieren? Da kehren sich die großen dunklen Augen nach Innen. Doris denkt nach, um dann mit ernstem Blick zu verkünden während sie ihre Worte auf den Tisch klopfend skandiert: „Neugier, die Lust, Menschen kennen zu lernen und das genaue Hinschauen“ – Pause, um die Aufmerksamkeit des Gegenübers nicht zu verlieren – „das, Ditta Rudle, ist typisch Doris.“

Zurück in die Zukunft:

“Das neue Stück, das die Festwochen in Auftrag gegeben haben, heißt ‚Uhlich’. Es ist ein Solo meiner Mutter. Ich entwickle mit ihr mein Solo für 2041. Sie steht stellvertretend für mich auf der Bühne.. Ich will wissen und auch zeigen, wie ich sein werde. Eine körperliche Prognose für die Zukunft.“ Frau Uhlich, Gertraud, ist so eine patente Person, wie Frau Uhlich, Doris. Sie macht mit, reist vom Attersee nach Wien, probt unter der Regie der Tochter, zeigt die (mögliche) Zukunft ihrer Tochter, die ihre eigene (sichere) Gegenwart ist und lernt auch einen Text von Jacques Derrida, der ihr so fremd ist, wie Doris die Zukunft. Der Vortrag „Eine gewisse unmögliche Möglichkeit über ein Ereignis zu sprechen“ hat es Doris angetan. Vielleicht ist sie selbst eine gewisse unmögliche Mögliche. Oder sogar eine mögliche Unmögliche. Sie würde antworten: „Ich bin die Doris. Punkt.“

Doris Uhlich: Rising Swan, 18.5. Festspielhaus St. Pölten, Festival Österreich tanzt

Doris Uhlich: „Uhlich“, Uraufführung im Museumsquartier, Halle G, 3., 4. Juni. in der Performance-Serie „Signed, sealed, delivered“ 31. Mai – 4. Juni, im Rahmen der Wiener Festwochen