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brigittefuerleFinale der ersten Saison von Brigitte Fürle im Festspielhaus St. Pölten. Die künstlerische Leiterin setzt einerseits auf Kontinuität und bringt gleichzeitig neue Akzente im Programm ein. Ausverkaufte Vorstellungen im Großen Saal geben ihr ebenso Recht, wie ein boomendes Community-Dance-Programm. Auch in Hinblick darauf wählte Fürle das Batsheva-Ensemble, die Junior-Compagnie der berühmten israelischen Formation unter der Leitung von Ohad Naharin, als Saisonabschluss.

„Mit den zwei Stücken und mit der jungen Compagnie, dem Batsheva Ensemble, wollte ich etwas Familientaugliches und Community-Verbindendes zum Saisonende anbieten“, sagt Brigitte Fürle. „’Kamuyot’ (am 2. Juni, Anm. d. Red.) ist ein unglaublich tolles Stück, in dem diese jungen Tänzer auch ihr Publikum – das kann von 6 bis 80 Jahre alt sein – einladen mitzutanzen. Gleichzeitig geht es auch um Pubertät. Es ist sexy, frisch, mutig, ein Stück, das Ohad Naharin für 20-jährige choreografiert hat.“naharindeca

Deca Dance. Das zweite Stück „Deca Dance“, zu sehen am 5. Juni, entstand ursprünglich für die Hauptcompagnie und ist eines der beliebtesten Batsheva-Stücke. In ihm reflektiert Ohad Naharin seine eigene Arbeit, setzt Teile aus vorangegangenen Produktionen immer wieder neu zusammen. „Deca Dance“ befindet sich im Repertoire renommierter Ballettcompagnien, zuletzt feierte es beim Leipziger Ballett Premiere. Brigitte Fürle hat es aber auch deshalb eingeladen, „weil darin die Tänzerinnen wieder das Publikum auf die Bühne holen und das Publikum auf der Bühne selbst tanzt. Für mich ist das als Geste, als Gedanke ein sehr schöner Abschluss. Die Bühne gehört im Festspielhaus nicht nur den Künstlern, sondern auch den Zuschauern und den Communities und das machen wir wirklich auch in allen Facetten ziemlich vortrefflich.“

Die Tanzcompagnien, die Fürle nach St. Pölten einlädt, bestreiten dort auch ein engagiertes Kulturvermittlungsprogramm. Fürles Vorgänger Joachim Schloemer hat seine Arbeit im Bereich des Community Dance mit der Produktion „alles bewegt“ zu einem fulminanten Höhepunkt geführt. „Ich verzahne es noch viel mehr mit dem künstlerischen Programm“, sagt Fürle und: „Was ganz toll funktioniert, ist das Angebot an die Studierenden der Tanzinstitutionen (von Linz, Salzburg, Wien) mit den Masterclasses und die Jugendclubs. Das hat sich richtig gut durchgesetzt.“

Gaga Idiom. Diesmal werden die TänzerInnen Bekanntschaft mit dem Gaga-Stil machen, den Ohad Naharin im Laufe seiner choreografischen Arbeit entwickelt hat. Er verbindet darin die Zartheit kleiner Gesten mit einer harten Dynamik. Diese Art der Bewegungsforschung ermöglicht es den TänzerInnen täglich über ihre Grenzen hinauszuwachsen und mit ihrer Fantasie zu arbeiten (Spiegel sind in den Batsheva-Studios übrigens verboten). Es geht Naharin nicht um die Athletik des Tanzes, sondern um die „Seele“, also den persönlichen Ausdruck. Denn Ausgangspunkt ist das Material, das der Tänzer selbst mitbringt.

„Das ist spannend, es wird in einer unglaublichen Präzision und Brillanz eingesetzt, aber es entsteht nicht aus einer körperfeindlichen Haltung und strapaziert den Körper nicht. Auch da ist der Community Gedanke drin. Es ist ein Tanz, den jeder machen kann. Der Tanz ist nicht etwas, was man seinem Körper anzüchtet, in dem man ihn drillt, sondern was im Körper drin ist“, sagt Fürle.

„Wer fragt heute noch, was ein Künstler braucht?“ Batsheva ist aber auch ein unerschöpfliches Reservoir für interessante Tanzpersönlichkeiten. Ein ehemaliger Batsheva-Tänzer ist Hofesh Shechter, der in der kommenden Saison bereits zum zweiten Mal Artist in Residence ist. Diese Residenzen und die damit verbundenen Möglichkeiten sind das Herzstück in Fürles Programm-Gestaltung: Sie will das Festspielhaus St. Pölten wieder zu einem Haus für die Kreation zu machen. (Wieder, denn Anfang der 2000er Jahre war es ja Produktionsstätte der hauseigenen abcdancecompany)

„Wir sind dafür sehr toll aufgestellt“, findet Fürle, „mit den zwei Studios, mit der Technik, mit dem kleinen, überschaubaren urbanen Raum, mit Hotels, die die Hälfte kosten als in einer großen Stadt. Hofesh Shechter liebt es mittlerweile heiß und es ist kein Zufall, dass er das zweite Mal kommt. Wir können uns durch unsere  Struktur völlig auf die Künstler konzentrieren. Das ist ein Aspekt, den ich mit großer Vehemenz einfordere, dass wir die Künstler wieder aus dieser Beschleunigung, aus diesem Präsentationsdruck entlasten und sie nicht nur mit diesen merkantilen Aspekten ansprechen, sondern wirklich wieder mit ihnen arbeiten wie ‚human beings’.

Ich gebe den Raum, die Struktur und unsere Gastfreundschaft; meine Denke, die nicht mehr dahin strebt, wem schnappe ich zuerst die Premiere weg, sondern sich darin manifestiert zur fragen: was braucht der Künstler? Wer von diesen ganzen Festivalleitern und diesen hoch bezahlten Theaterleuten fragt eigentlich heute noch, was Künstler brauchen? Die fragen sich doch nur, was sie selbst nehmen können.“

Alleinstellungsvorteil. Dennoch, das Festspielhaus St. Pölten ist es ein großes Haus und 100 Plätze wollen gefüllt sein. Dafür braucht man großformatige Sachen, zum Beispiel auch das Ballett – „zeitgenössisches Ballett“, wie Fürle betont. Damit habe sie auch „eine gute Marktlücke“ gefunden. „Die großformatigen Sachen haben nirgendwo anders einen Platz, denn das Festspielhaus hat schon einen Alleinstellungsvorteil. Es hat seine eigene Urbanität im Spannungsfeld mit einer Kleinstadt, aber Wien ist quasi vor der Tür“, sagt sie.

Wenn das Ballett am Rhein im nächsten Jahr wiederkehrt (das Ensemble gastierte bereits in dieser Saison), hat es zwei Stücke von Martin Schläpfer zur Musik von Ligeti und Schnittke im Gepäck. Dann habe sie schon auch „Angst vor meinem eigenen Mut“, gibt Fürle zu, „aber dann weiß ich auch, dass das einen hochgradigen Anspruch an eine zeitgenössische Haltung hat.“

Ein weiterer Vorteil im Festspielhaus St. Pölten ist für die künstlerische Leiterin die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich. Dieses wird nicht nur beim erwähnten Gastspiel des Ballett am Rhein, sondern auch bei „Roméo et Juliette“ von Josette Baïz, einer weiteren Residenzkünstlerin, spielen. Die von ihr geleitete Groupe Grenade wird die Choreografie zusammen mit jungen TänzerInnen aus St. Pölten und Umgebung auf die Bühne im großen Saal bringen. Für Fürle ist dieser Saisonabschluss im Juni 2015 „ein perfektes Projekt“, denn es wird das ganze Jahr mit 30 Kindern gearbeitet, um sie für den Auftritt fit zu machen.

Vorschau über die Saison 2014/2015 im Festspielhaus St. Pölten

Brigitte Fürle: Kurzbiografie.Vor ihrer Bestellung zur künstlerischen Leiterin im Festspielhaus St. Pölten war Brigitte Fürle 14 Jahre im Ausland, vor allem in Deutschland, tätig. Von 2006 bis 2012 leitete sie die Programmreihe „spielzeit! europa“ bei den Berliner Festspielen. Zuvor war die promovierte Theaterwissenschafterin unter anderem Mitglied des Leitungsteams am Schauspiel Frankfurt, Programmdirektorin des „Young Directors Project“ bei den Salzburger Festspielen, Dramaturgin beim Bayerischen Staatsschauspiel sowie Programmdramaturgin für neue Theaterformen bei den Wiener Festwochen.