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SHINING03Theater und Film, Peter Handkes "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten", ein wortloses Schau-Spiel von 1992, in dem erschienen, agiert und gegangen wird, und Stanley Kubricks Horror-Klassiker "The Shining" (1980) verschränkt der Theatermacher Ernst Kurt Weigel zu einem weiteren, hier allerdings erstmalig immersiven Mashup für sein bernhard.ensemble. Durch alle Räume seines OFF-Theaters treibt er sein Publikum, und in mancherlei überraschende Theater-Erfahrung.

Das abgelegene Hotel in den Bergen Colorados, das jeden Winter geschlossen und in der Romanvorlage von Stephen King dieses Mal einem ehemaligen Lehrer als Interims-Hausverwalter überlassen wird, bezieht dieser mit Frau und hellsichtigem Sohn. Das Hotel wird zum pandemiebedingt geschlossenen OFF-Theater, der Irrgarten des Overlook-Hotels wird zum komplett, auch alle normalerweise für BesucherInnen nicht begeh- und sichtbaren Räumlichkeiten öffnenden Kulturhaus, der Lehrer zum verkrachten Literaten Peter, die Frau Winnie ist Schauspielerin und die Tochter Dany leidet unter besonderen Begabungen. Und sprachlose Erscheinungen hat man in Hülle und Fülle.

Im Foyer versammelt erlebt das erwartungsfrohe Publikum den auch fürderhin nicht ausnüchternden Kellner (Ernst Kurt Weigel). In dessen fein gereimte torkelnde Proklamation der Regularien von Haus und Spektakel bricht die Ankunft der Familie, mit sofortiger Einweisung des neuen Hausmeisters durch den aktuellen, den Kosovaren Hallorani (Kajetan Dick). Fenster schließen, denn die Tauben kommen, wie allerlei Getier wohl sonst auch noch. Und welche Berühmtheiten schon alles auf den Bühnen des Theaters hier gestanden haben, das auf dem Friedhof von St. Ulrich errichtet wurde. Kaum angekommen, wird einem leicht mulmig zu Mute. Auch wegen der konfliktbeladenen innerfamiliären Beziehungen. SHINING05

Unter den Stahlgitter-Stiegen schlägt eine riesige Taube mit den Flügeln (Bernhard Jammernegg), der markant gemusterte Teppich weist den Weg durch das Haus und die Vorstellung. Dieser in allen ihren Bestandteilen zu folgen ist nicht möglich, zu viel Parallelität lässt manchmal nur die Ohren wahrnehmen, dass irgendwo, geschrien oder Klavier gespielt wird nicht ohne Grund, etwas oft Unheilvolles eintritt oder seinen Lauf fortsetzt. Aber das ist Teil des Konzeptes, keinesfalls seine Schwäche. Rotes Licht signalisiert den Zusehenden, aufzubrechen zum nächsten Schauplatz, die Wege von DarstellerInnen immer wieder kreuzend, nie ernst-lich behindernd.

Die Begebnisse des Horror-Originals übersetzt der Regisseur, Autor und Schauspieler Ernst Kurt Weigel in tatsächlich stattgefundene Anekdoten aus der fast 20-jährigen Geschichte des Hauses unter seiner Leitung. Skurriles, Tragisches, Brand-Gefährliches, Animalisches, Vulgäres, Respektloses, Fischiges, das mit Thun zu tun hatte, Menschenrechtliches auf Inlinern, Totschlägerisches, Knofliges, Augustinisch-Verpestetes, Federviehisches, Catserisches, Wurzelndes, Metabolisches, Serbisches und Suchendes, Rächendes, Geheimnisvolles, Kühlendes, Wässriges, Schrumpfendes, Statistisches, Blumiges, Schlängelndes, Blutiges, Misstrauisches, Häusliches, Akustisches. Womit das Gros der in dieser Arbeit irgendwo und irgendwann erkenn- oder wenigstens erahnbaren OFF-Geschichtchen kurz und klar beschreiben sei. Einige der vielen Anekdoten hat der Chef im Programmheft versammelt. Bei der Nachlese erhält manch Gesehenes seinen Sinn.

SHINING06Ein Geist schleicht durch die Gänge, nähert sich mit gesenktem Blick bedrohlich den BesucherInnen. Tamara Stern brilliert als verschreckende Untote, später dann singt sie in perfekter Harmonie mit ihrem Musiker-Kollegen Mathias Krispin Bucher am Kontrabass auf der Eck-Bühne des Zimmers 237, dem Saal der WHITE.BOX, allerlei Lieder, von stammelnden Lauten bis zu „Bang Bang“.

Doch auch King und Kubrick shinen durch. Wenn die Zwillinge (Leonie Wahl und Yvonne Brandstetter) nackt in der Wanne gemeinsam eine Choreografie baden und eine von ihnen zum Erschrecken nicht nur des geilen Hausverwalters sich als eine der Verwesung übergebene Greisin offenbart. Oder die röchelnd präsentierten Würgemale an Dany`s Hals, oder eben jener mysteriöse Raum 237, dessen Modell in seiner Mitte steht.

Eine das alles bindende Handlung aber gibt es auch. Eine haarsträubende. Die Beziehung zwischen Peter (Gerald Walsberger) und Winnie (Isabella Jeschke), seiner Frau, zerfällt im Laufe der Monate, die sie in dem Haus verbringen, zu einer hasserfüllten, von angedrohter und angewandter psychischer und physischer Gewalt geprägten Ruine einer vielleicht einmal gewesenen Liebe. Die Tochter Dany (Rina Juniku) spürt gegenwärtiges und zukünftiges Unheil heftig. Die Gewalt des Vaters, die Sorge der Mutter und die Angst der Tochter kriechen einem die Beine hoch. Und das auch, weil der im ganzen Haus drohende Sound von Bernhard Fleischmann dunkle Wege findet in die gezähmte Furcht vor der Gewalt.

Wenn die Mutter die Tochter das Weinen lehrt mit „Du musst es behaupten“, gruselt es einen. Auch, wenn ein Schwein (Albane Tröhler) die Geschichte vom geilen Wolf und dem Schweinchen-Puff mit Kindertheater-Stöckchen-Puppen in der Werkstatt spielt. Oder wenn die Zwillinge ein diabolisches Knoblauch-Süppchen im Wasserkocher anrühren und mit einer Stimme feilbieten. Oder bei Peter Handke und den Serben ...SHINING04

Die Gewalt eskaliert. Die Mutter versucht ihre Tochter und sich zu retten. Doch Vater rückt den Schlüssel nicht raus. Das Haus bleibt ein Gefängnis. Am Schluss kommen sie alle zusammen. In 237. Taube, Wolf, Gorilla, Katze, Zwillinge, Kellner und Bedienstete im roten Livree, acht stehen dem humpelnden Hausverwalter Spalier, sein Baseballschläger hängt in seiner Hand. In einer Choreografie von Leonie Wahl tanzen die Geister, die das OFF-Theater immer noch durchstreifen mit denen, die hinzugetreten, mitgebracht durch Menschen und ihre Kunst, den synchronisierten Theater-Wahn. Hallorani stürzt herein, bewaffnet. Zeitgefüge geraten aneinander. Und die Haustür war doch nur von außen zu. Eine Tiefkühltruhe wird von Grünmann-gekleideten Frauen gebracht und zum frostigen Grab für den Nestroy-geehrten Literaten. Der kühle, korrektest gegenderte Kommentar von Tamara Stern tritt in gesellschafts-diskursive Weichteile.

„DIE.STUNDE.SHINING“ ist eine äußerst aufwändige Produktion mit verschlungener dramaturgische Linie, die durch dieses räumlich, zeitlich, inhaltlich und technisch ungemein komplexe Stück (500 Meter Kabel verlegt der Techniker Julian Vogel durchs Haus) führt. Das berhard.ensemble agiert mit einer Professionalität, die begeistert. Und die Freude am Spiel springt über. Manchmal aber läuft einem ein Schauer über den Rücken. Ein dichtes Konzept mit der eingeflochtenen Vorstellung eines Kunsthauses, seines Direktors und deren ereignisreicher Geschichte. Theater hautnah. Ein ganz besonderes Erlebnis.

„DIE.STUNDE.SHINING“ am 03. März 2023 im OFF Theater Wien. Weitere Vorstellungen: 11., 14., 17., 18., 21., 24., 25., 28. und 31. März 2023.

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