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Gruwez1Das erste Mal arbeitet die belgische Tänzerin und Choreografin Lisbeth Gruwez mit klassischer Musik. Gemeinsam mit der Pianistin Claire Chevallier begibt sie sich anhand bekannter und sehr selten gespielter Werke des französischen Komponisten Claude Debussy (1862-1918) „in den Raum zwischen den Noten“.

Gruwez spricht von „Piano Works Debussy“ als einem Aquarell, will den fortwährenden Farbauftrag wie eine Dramaturgie dieses Stückes verstanden wissen. Und in der Tat zeichnet sie zuweilen Linien, hebt die noch feuchte Farbe wie einen Faden in die Höh'. Wichtiger aber sind die Schichten aus Musik und Tanz, die sie über- und nebeneinander legen und daraus ein detailreiches Gesamtkunstwerk schaffen.

Wie sehr diese Arbeit ihre gemeinsame ist, zeigen die Beiden schon am Beginn. Die Tänzerin begleitet die Pianistin an ihren Arbeitsplatz. Der Bösendorfer rechts wird auch zur Requisite für schöne Bilder später. Beide schauen sich über den Flügel hinweg an und agieren. Oder als sich die Tänzerin zur Pianistin setzt, beide aneinander gelehnt. Emphatisch verbunden, nicht nur durch die Musik. 

Der spielerische Umgang mit dem Regelwerk der klassischen Kompositionslehre, der Claude Debussy, wichtigster Vertreter des Impressionismus in der Musik, zu einem Wegbereiter in die musikalische Moderne macht, wird durch Lisbeth Gruwez, die nach einer klassischen Ballett-Ausbildung ihre Bestimmung im zeitgenössischen Tanz fand, gespiegelt. Gruwez2

So wie Debussy seine inspiratorischen Impulse zu rhythmisch wie tonal komplex strukturierten Werken verdichtet, entwickelt Gruwez für „Piano Works Debussy“ eine Formensprache, die von wiederholt eingesetzten markanten Gesten ausgehend differenzierte choreografische Bögen zeichnet. Gesten wie auf einem Bein stehend, das andere angewinkelt erhoben, oder gestreckt mit erhobenem Arm stehend setzt sie wie wiederkehrende Akkorde in ihren Tanz, der manchmal die Stimmung der Musik versucht aufzugreifen und in Bewegung zu gießen, manchmal auch konterkarierend, vorwegnehmend oder nacheilend zu sein scheint. 

In feinen Details zeigt sich die Nähe und die Meisterschaft beider Künstlerinnen. Wenn Claire Chevallier flirrende Linien im Diskant auf wuchtige Bässe setzt, antwortet Lisbeth Gruwez mit zitterndem Oberkörper, im festen Stand auf leicht gewinkelten Beinen. Überhaupt ist die Sensibilität, mit der die beiden Frauen aufeinander schauen und hören, beeindruckend. Die Dramaturgie des Stückes wird geprägt von den unterschiedlichen Charakteren der gespielten Werke Debussy's, deren Stimmungen von fast verträumt bis hochdramatisch reichen. Mit feinem Gespür für die Musik durchsetzt Gruwez ihren Tanz mit angedeuteten Zitaten klassischen Vokabulars, des spanischen Flamenco und des zur selben Zeit, da einige der späteren Werke Debussy's entstanden, sich entwickelnden Ausdruckstanzes. Auch Bauhaus-Ästhetik schimmert durch. Stolz und hingegeben, beschwingt und niedergeschlagen, kämpferisch und entmutigt, voller Lebenskraft und erschöpft. Emotionale und physische Zustände als Spiegel facettenreicher Musik. Sie verbinden Impressionismus und Expressionismus, Klassik und Moderne, lassen viel Raum für Assoziationen und Entwicklungen. Zwei Erneuerer im Zwiegespräch.

Das im Hintergrund an einer halbkreisförmigen Schiene aufgehängte großformatige Bild, abstrakt mit goldenem Grundton, wirkt wie ein Vorschlag. Begonnen vielleicht von Klimt, malen sie weiter an dem Werk mit Musik und mit Tanz. Und am Ende wird daraus Schönheit. Poetisch, zärtlich, kraftvoll und zerbrechlich zugleich. Harmonisch und sich gegenseitig befruchtend von einer großartigen Tänzerin und ihrer Partnerin am Klavier meisterhaft interpretiert auf die Bühne gebracht. 

Lisbeth Gruwez und Claire Chevalier: „Piano Works Debussy“ am 21. und 23. Juli 2021 im MuTh im Rahmen von ImpulsTanz