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porgy091„Porgy and Bess“ im Theater an der Wien, das heißt eintauchen in die vielschichtige musikalische Welt, die George Gershwin für diese, seine „folk opera“, geschaffen hat. Die musikalische Leitung von Wayne Marshall eröffnet hier völlig neue Hörerlebnisse. Auch wenn die Verlegung der Handlung fragwürdig ist, so ist die Inszenierung von Regisseur Matthew Wild doch in sich stimmig.

Keine Oper scheint heute aktueller zu sein als das 1935 komponierte „Porgy and Bess“. Schließlich befinden wir uns wieder in einer Zeit, da Diskriminierung und Ausgrenzung von Minderheiten für politische Ziele von höchster Stelle befeuert wird.porgy395

Doch das musikalische Werk über die afroamerikanische Community nach der literarischen Vorlage von DuBois und Dorothy Heyward ist heute gleichermaßen umstritten: Einerseits weckt es Empathie für eine Minderheit, andererseits bedient es eine Reihe von Klischees. Die kreativen Geister schauten auf die Slums der schwarzen Bevölkerung eben zwangsläufig (?) aus der Perspektive der weißen Mehrheitsgesellschaft. Daher wird Gershwins Oper heute sehr kritisch gesehen.

porgy075Diesen Vorbehalten wollte sich auch Regisseur Matthew Wild stellen und verlegte also die Handlung in ein europäisches Flüchtlingscamp. (In seiner überaus erfolgreichen Inszenierung an der Cape Town Opera in Südafrika spielte das Stück übrigens zur Zeit der Apartheid.) Katrin Lea Tag hat ein Containerdorf auf die Drehbühne gestellt, die einen Szenenwechsel im Handumdrehen ermöglicht.porgy351

Doch die handelnden Personen wie der verschlagene Drogenhändler Sportin‘ Life, der kriminelle Crown, der verkrüppelte Porgy, die drogenabhängige Bess und die naive und Gott ergebene Gemeinschaft bleiben unverändert. Da hilft auch nicht, dass Clara als einzige Muslimin auftaucht und im Kreise von, bei jeder Gelegenheit Jesus-beschwörenden Christen konfliktfrei aufgenommen wird. Der Kunstgriff der Regie ist ziemlich überflüssig, denn er verändert nicht die Außenperspektive. Auch in dieser Verortung gibt es weder gebildete noch fortschrittliche Flüchtlinge, aber jede Menge gebrochene Typen.

porgy113qDoch abgesehen von den soziologisch fragwürdigen Implikationen, ist Wild eine durchaus stimmige Theaterinszenierung gelungen: Diese „Porgy und Bess“ bietet alles von Tragik bis Komik mit einem Chor, der groovt und von drei TänzerInnen (Edith Morales Sen, Bernardo Ramos Coca und Anderson Pinheiro da Silva) angetrieben bzw. unterstützt wird. Außerdem könnte man die ProtagonistInnen kaum besser besetzen als mit diesen SängerInnen, die eine Mischung aus Belcanto, Gospel und Musical repräsentieren. Allen voran Eric Greene als Porgy, Jeanine de Bique als Bess oder Mary Elizabeth Williams als Serena. Das Wiener KammerOrchester hat Jazzmusiker in seine Reihen integriert um dem Gershwin-Sound gerecht zu werden. Und dieser Kosmos entfaltet sich unter der Leitung von Wayne Marshall zu einem berauschenden Klangfest.

 George Gershwin „Porgy and Bess“ am 20. Oktober im Theater an der Wien. Letzte Vorstellungen am 23. und 24. Oktober