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unspelling0Von der Zerlegung der Grundbausteine. Im Tanzquartier Wien waren an einem Doppel-Abend die Performances „Unspelling“ von Andrea Maurer und „I'm Gonna Need Another One“ von Jen Rosenblit zu sehen. Erstere frönte ihrem Hobby und brach die Sprache auf und um, letztere zerbröselte symbolträchtig Schaumstoff-Quader.

Andrea Maurer: „Unspelling“

Nach ihrem Konzept erarbeitete die in Wien lebende bildende Künstlerin, Performerin und Choreografin Andrea Maurer gemeinsam mit Sara Manente (Choreografin, Performerin), Lissie Rettenwander (Musikerin) und Bruno Pocheron (Visual Artist) ihre in den TQW-Studios aufgeführte Performance „Unspelling“, in der sie, sich und dem Objekt ihrer künstlerischen Betrachtung treu bleibend, Sprache seziert. Mit dem Stanley-Messer, im direkten wie übertragenen Sinne, schneidet sie sich in die Worte, macht sie zu Objekten, an und mit denen sie operiert. Sie zerstückelt die uns so vertraute Basis der Sprache, die Worte selbst, ordnet diese neu an und erlaubt so, mehr noch, sie erzwingt eine distanziertere Wahrnehmung und Hinterfragung der eigenen Rezeptions- und Kommunikations-Muster und -Strategien.unspelling1

Mit zwei großen Planen aus zusammengeklebten Zeitungen entwickelt sie Bilder. Maurer und Manente liegen zugedeckt, wie beschützt und gewärmt unter ihnen, hüllen sich dann komplett ein damit und verharren lange in diesen Skulpturen, knüllen schließlich die eine, falten die andere zusammen. Aus sicherer Vertrautheit mit Worten und daraus generierten Informationen wird ein Überflutet- und Eingeschlossen-Sein davon, ein bis zur Unsichtbarkeit und Unkenntlichkeit darunter verborgener (menschlicher) Geist. Und jene Gering- und Wertschätzung als polare Werte-Kategorien der Glaubens-Lehre vom Wort.

unspelling2Aus den Buchstaben- und Wort-Schnipseln, aus deren Wiederholung und Variation schälen sich erkennbare Inhalte. Maurer und Manente reden von Jacques Chirac, Trump, China, Kampagne, Sekretär, Investments, Selenski, Party, Macht. Die Musik der Lissie Rettenwander, sie erzeugt auf einer Zither und mit elektronischen Effekt-Geräten leise gebrochene Akkorde, kratzt, loopt den Sound wie die anderen Beiden die Worte, steigert sich schließlich in ein infernalisches Dröhnen und Krachen. Weil es darum geht, diese Schleifen zu durchbrechen.

In „Unspelling“ dekonstruiert und rekomponiert Andrea Maurer Sprache. Ihr Destabilisieren von Worten, Sprache, Inhalten und Bedeutungen stellt sie der Desorientierung, Verwirrung, Verflachung und Simplifizierung nicht nur der politischen Kommunikation gegenüber. Das Ergebnis ist ein mehrdimensionales: Es spricht unsere Sinne an, es wird partiell geradezu sinnlich, es fordert Geist, Fantasie und ein Sich-darauf-Einlassen heraus, es analysiert und antizipiert Wirkungen auf die Kommunikation, das Weltbild, auf unsere Kompetenz, Entscheidungen zu treffen und deren faktisch-informatorische Grundlagen. Und es ist ein Spiel. Eines mit Tiefgang.

Jen Rosenblit: „I'm Gonna Need Another One“

Die Bühne der Halle G ist begehbar, schwarze Vorhänge trennen sie von den Tribünen. 13 auf dem weißen Bühnenboden verstreut liegende grüne Schaumstoff-Quader, Kettenhemd, Lederschürze, Stangen-Sellerie, zwei Pferdefüße, ein aufgerolltes Schachbrett, Besen, Bürste und eine Vogelfeder am Bein sind die symbolträchtigen Utensilien, mit denen die in New York und Berlin lebende und arbeitende Künstlerin Jen Rosenblit ein mit viel Text und Live-Sound arrangiertes Stück über die eigene Identität gestaltet.

Anfangs sind die Zuschauer noch auf einer Ebene mit der Performerin, die aus den Quadern Mauer und Fläche erschafft. Sie zieht sich einen Pferdefuß an. Cheiron, der gerechteste unter den Kentauren, Freund der Götter, Erzieher der Heroen, dreht sich auf einem Bein und weist das Publikum an, auf der Tribüne hinter dem heruntergerissenen Vorhang Platz zu nehmen, als nun distanzierter Zuschauer.rosenblit

In bilderreicher Sprache redet sie von ambivalenten Befindlichkeiten, inneren Widersprüchen, von der Definition seiner Selbst als ständige Veränderung. Vom zwangsneurotischen Möbelrücker, der die Organisation der Familie stören will. „Du bist widersprüchlich, nie zufrieden.“ Sie buchstabiert das Alphabet. Das bewusste Lernen, mit den kleinsten Bausteinen der Sprache, beginnt, gleichzeitig Kultivierung und mit ihr die Anpassung. Unbeholfen eine Hose über ihre bis dahin nackten Beine ziehend, Hackenschuh dazu, rollt sie eine Schachbrett-Plane aus. Um Strategien zu entwickeln, während sie beginnt, die grünen Quader zu zerbröseln und den Abfall verstreut.

„Ihr seid ein Wolfsrudel, ohne Angst! Ein Oktopus, lokal und sentimental ungebunden.“
In der imaginierten Rolle eines Souschef isst sie Sellerie, das Symbol für Fruchtbarkeit und Lebenskraft, in Slow Motion, und der live spielende Sound-Designer Gérald Kurdian tanzt ein Ständchen very slowly. Und sie schneidet und bröselt die Quader. Mit dem Schachbrett rollt sie auch die Strategien ins Abseits. „Ihr kultiviert die Oberfläche!“ Sie steckt Ähren in einen der verbliebenen Quader.

„Ich mag den Löwen im „Zauberer von Oz““. (Der ist ängstlich, wünscht sich mehr Mut.) Ihr Analytiker sprach ihr von Selbstsabotage. „Das Mohn-Feld kann alles sein.“ (Der metaphorische Tiefschlaf nicht nur der verirrten kleinen Dorothy, der ihr Verstand von einer Universität bescheinigt wurde, und ihrer Freunde. Nur der große Zauberer von Oz kann ihre Rückkehr 'nach Hause' ermöglichen.) „Es ist ein schmerzhafter Prozess, ein ganzes Ding, man selbst zu werden.“ Sie wäre gern ein Möbelbauer, der auf alle Winkel achtet. „Und all das würde in das Bewusstsein eingebaut werden.“ Vorhänge mag sie nicht. Nachbarn sollen schauen können. Aber sie mag Privat-Sphäre.

Und sie startet eine lockere Konversation mit dem Publikum über Dinge, die wir gern haben, mit Fragen über Vorhänge, Allein leben, Kochen für Freunde. Wir haben viel Spaß, es ist so angenehm leicht, weil oberflächlich und unverfänglich, während sie die letzten Quader in Staub verwandelt. Das Crescendo der Musik verhindert weiteres Geplauder.

Ihre grünen Schaumstoff-Blöcke stellt Jen Rosenblit wie die Bausteine einer fremdgeformten, also verformten Seele zur Disposition. „I'm Gonna Need Another One“ ist eine tiefenpsychologisch fundierte, mit zuweilen schwierig zu entschlüsselnder Metaphorik durchsetzte Arbeit über das Aufbrechen der deformierenden Prägungen der menschlichen Psyche, über den Weg zu sich selbst, zu einer integrierten, voll verantwortlichen Persönlichkeit. Gerade die finale Leichtigkeit wird zu subversiver Anklage des Konsenses bezüglich der allgemeinen Werteskalen. Am Ende zieht sie das Kettenhemd wie eine Egge über die grünen Krumen. Die Aussaat kann beginnen!

„Unspelling“ von Andrea Maurer am 14., 15. und 16., „I'm Gonna Need Another One“ von Jen Rosenblit am 14. und 15. Nov. 2019 im Tanzquartier Wien.

 

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