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nagl2Einen der leider so selten gewordenen Abende reinen zeitgenössischen Tanzes präsentierte das Wiener OFF-Theater an zwei Abenden. Zwei sehr unterschiedliche Arbeiten, „Sequitur_caleidoscopia ext.“, ein Solo von und mit Andrea Nagl und „In between“ von Monika Huemer und Natascha Wöss, zeigten einerseits musik-, andererseits innenschau-induzierten Tanz.

Das erste, circa halbstündige Stück dieses zweiteiligen Abends, Andrea Nagls im Mai 2018 im Wiener Tanz*Hotel uraufgeführtes „Sequitur_caleidoscopia ext.“, entstand als choreographische und tänzerische Reaktion auf einen 14-teiligen Zyklus von Kompositionen Neuer Musik für verschiedene Instrumente und Live-Elektronik, „Sequitur“ von Karlheinz Essl, aus dem sie die zwei für Viola geschriebenen Teile IIIb und IVb, hier live gespielt von Judith Reiter, auswählte und "vertanzte". Die Solo-Musik, atonal, arhythmisch, reich an Glissandos, Fermaten und Pausen, wird durch eine eigens für sie entwickelte Software mit verschiedenen Effekten in den Raum gegeben, den Originalklang der Viola nie verdeckend. Die auf die Rückwand projizierten Live-Visuals von Marian Essl (MONOCOLOR), dem Sohn des Komponisten, ergänzen das Setup zu einer akustisch-visuellen Gesamtheit, die natürlich durch den Tanz Andrea Nagls geprägt wird. Sie und die Bratschistin interagieren. Andrea Nagl entwickelt in ihrem Tanz ein Bewegungsvokabular, das, wie die Musik selbst, kontrapunktisch auf sich selbst und die Musik reagierend den Bühnenraum nutzt und füllt. Ihre genauen, kraftvollen, teils skulpturalen Bewegungen werden ebenso wie ihre starke Bühnen-Präsenz vom Lichtdesign (sie wird fast ausschließlich von der Seite beleuchtet) ausdrucksstark in Szene gesetzt.nagl

Diese gelungene Kombination aus Live-Musik, Solo-Tanz und Live-Visuals entfaltet eine Poesie, die gefangen nimmt und lange nachwirkt.

inbetween1In between

Zwei Frauen stehen sich auf leerer Bühne im Lichtkegel gegenüber. Flächiger elektronischer Sound. Sie drehen sich im Halbkreis umeinander, nur die Füße bewegen sich. Die eine, Natascha Wöss in grau gekleidet, beginnt sich langsam rückwärts zu entfernen, unsicheren, suchenden Schrittes erreicht sie die Rückwand, tastet sich zitternd, mit hohem Tonus, an dieser entlang. Die andere, Monika Huemer in blau, erschließt sich indessen den Vordergrund mit weichen, fließenden Bewegungen zur inzwischen rhythmischeren Musik, diese Rhythmik zeitweise aufnehmend. Fast nur am Boden, erschafft sie mit viel Körperspannung harmonische Skulpturen, die, teilweise lange gehalten, den Kraft- und Ruhepol bilden zu der Anderen, die fragil, unsicher forschend und weit entfernt agiert. Taumelnd nähert diese sich wieder der Einen, der Weichen und bei sich Seienden.

Diese im März 2018 in Linz uraufgeführte Arbeit zeigt zwei Frauen auf dem Weg, sehr verschieden in ihren momentanen Befindlichkeiten und psychischen Stati, ihren seelischen Herkünften und identitätsstiftenden Strategien. Ein 20-minütiger Augenblick des entwurzelnden Zweifels und der sicheren Gewissheit seiner selbst, in seiner tänzerischen Präzision, in seiner klaren, konzentrierten Ästhetik und in seiner Intensität auf hohem Niveau.inbetween2

Monika Huemer studierte Tanz lebt seit fünf Jahren in Wien, vordem in Linz, und ist als freischaffende zeitgenössische Tänzerin, Choreografin, Tanz- und Bewegungspädagogin in Österreich und Deutschland tätig.

Die in Linz geborene und dort lebende feie Kostümbildnerin Natascha Wöss (sie studierte in Linz und Berlin Bühnen- und Kostümbild) studierte parallel Butoh-Tanz bei Größen dieser Kunst wie Ko Murobushi und Carlotta Ikeda (u. a.) und ist seitdem in eigenen Produktionen/Solo-Performances und Engagements als Butoh-Tänzerin vor allem in Österreich und Deutschland aktiv.

„Sequitur_caleidoscopia ext.“ von Andrea Nagl und „In between“ von Monika Huemer und Natascha Wöss am 10. und 11. Jänner 2019 Im OFF-Theater Wien