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exile1Als 2004 der Film „Rhythm is it“ herauskam, fiel der „Community Dance“ in Deutschland (und Österreich) quasi vom Himmel. Dass Royston Maldoom, der charismatische Choreograf dieser Dokumentation, bereits 20 Jahre zuvor in Duisburg regelmäßig zu Gast war, blieb hingegen weitgehend unbemerkt. Nun kehrte er nicht nur mit der Wiederaufnahme seines Stückes „Exile“ mit 90 Performern dorthin zurück, sondern zeigt im Oktober erstmals in Deutschland auch Choreografien, die seit den 1970er Jahren für professionelle Compagnien entstanden sind.

Als choreografischer Direktor der „Europäischen Jugendtanzfestivals“ setzte Royston Maldoom in der Stadt im Ruhrpott von 1990 bis 1997 wichtige tanzpädagogische Akzente. Unter anderem studierte er dort auch seine Version des „Sacre du printemps“ ein, die ihn später mit dem Projekt mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle und dem dazu entstandenen Film berühmt machte. Die treibende Kraft hinter dem Duisburger Jugendtanzfestival war Ulla Weltike. Nun, fast 20 Jahre nachdem das Festival Sparzwängen zum Opfer gefallen war, ist es der überaus engagierten und durchsetzungskräftigen Tanzpädagogin gelungen, wieder ein großes Projekt auf die Beine zu stellen. 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen Ursprungsländern, Altersgruppen und sozialen Backgrounds haben drei Monate an dem Abend unter dem Gesamttitel „Tanzen für ein besseres Leben“ zusammengearbeitet und brachten die bemerkenswerten Ergebnisse am vergangenen Wochenende im Theater Duisburg zur Aufführung, begleitet von den dortigen Philharmonikern.migrationbirds

Auf den Programm standen vier Stücke von verschiedenen Choreografen. Max Bilitzas Choreografie „deFence“ eröffnete den Abend mit einem Befreiungskampf von vier Tänzerinnen zu „Marimba Spiritual“ für vier Schlagzeuger von Minoru Miki. Die Schlagwerker hatten einen weiteren Auftritt mit Graham Fitkins „Hook“. In der gleichnamigen, humoristischen Choreografie von Royston Maldoom lieferten sich die Tänzerinnen und Tänzer der Tanzmoto Dance Company einen Schlagabtausch der Eitelkeiten. Dazwischen landeten die poetischen „Migrationbirds“ von Tamara McLorg getanzt von Mitgliedern des Jugendtanztheaters und des Duisburger Tanztheaters Ulla Weltike. Da werden die Arme zu Flügeln, die die Körper in eine Spirale zum Versammlungsort der Wandervögel führen, von wo aus sie wieder mit wallenden Federn (sprich: Haaren) zu anderen Destinationen aufbrechen, ganz im Einklang mit der lyrischen Musik von Ludovico Einaudi für Violoncello und Klavier, die diese schwingende Reise durch fließende Formationen begleitet.

exileHöhepunkt des Abends war freilich Maldooms „Exile“ mit 90 „Menschen aus Duisburg – Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Beheimatete und Heimatsuchende“ und den Duisburger Philharmonikern unter der Leitung von Ville Matvejeff, die im Bühnenhintergrund Platz nahmen und den schimmernden Klang von John Adams „Harmonielehre“ stimmig interpretierten. Es war eng, als die Exilsuchenden auf die Bühne strömten, mit Koffern, die ihre Erinnerungen bergen, die ihnen Trost spenden. In bildgewaltigen Szenen wird hier dem Leid nachgespürt, das Menschen auf der Flucht durchleben: enttäuschte Hoffnungen, Bedrohung, Unterdrückung der Frauen, die Suche nach vermissten Angehörigen, Stationen der Flucht, der Migration, die in der subtilen Lichtregie von Pete Ayres berühren … Am Ende jedoch werden die Entwurzelten ihre neuen Herausforderungen mit gegenseitiger Unterstützung bewältigen. Maldoom überbringt diese zutiefst humanitäre Botschaft mit einer klaren Bewegungssprache, die von „den Duisburgern“ mit großer Integrität umgesetzt wurde.

„Crossing the Lines“ zwischen Community und Profis

hook1Diese eindeutige choreografische Handschrift sowie großes musikalisches Verständnis zeichnen auch jene Arbeiten aus, die Maldoom für professionelle Tänzer kreiert hat. Ein informelles Showing im Tanzstudio Ulla Weltike gab am Folgetag einen Eindruck von dem Programm „Crossing the Lines“, das am 7. Oktober im Theater Marl seine Erstaufführung im deutschsprachigen Raum haben wird. Getanzt werden die fünf Stücke von der Tanzmoto Dance Company unter der künstlerischen Leitung von Mohan C. Thomas, einem Absolventen der Folkwang Universität der Künste in Essen, Tänzer von Sasha Waltz & Guests und Leiter nationaler und internationaler Community Tanz-Projekte.isobel

Ein besonderes Juwel im Programm ist Maldooms erste Choreografie „Adagietto Nr. 5“ aus Mahlers 5. Symphonie, die er im Rahmen des Royal Ballet Open Workshop kreiert hat. 1975 gewann er damit den Preis beim internationalen Wettbewerb in Bagnolet und erhielt den Preis der Fondation de France für herausragende künstlerische Leistungen. Dieses Trio ebenso wie das Solo „Black Earth“ aus dem Jahr 2011 für das Ballett San Marcos in Lima, Peru kreiert (und nun großartig getanzt von dem jungen schottischen Tänzer Joel Wilson), sind Musterbeispiele für eine Ökonomie der Choreografie. Es gibt hier keine überflüssige Bewegung, jeder Move führt direkt zum nächsten, bedingt ihn. Diese Reduktion auf das Wesentliche erlaubt den Zuschauer sich ganz auf den emotionalen Content einzulassen. Hier muss nichts decodiert werden. Der Choreograf tritt mit dem Publikum in einen direkten Dialog. Gleichzeitig ist dieses "Adagietto" voll tänzerischer Herausforderungen – komplexe und spektakuläre Hebungen, trickreiche Übergänge, akrobatische Manipulationen. Verständlich, dass „Adagietto Nr. 5“ 30 Jahre im Repertoire des Dance Theatre of Harlem zu finden war.

joelDiese Methode wendet Maldoom auch bei den anderen  Stücken an, die gleichzeitig seine choreografische Vielseitigkeit beleuchten. In „Time Flies! / Zeit rennt!“ zu Igor Strawinskys drei Stücke für Soloklarinette überstürzt sich ein in Hektik verwickeltes Duo förmlich. Die beiden hechten übereinander hinweg, versuchen sich nicht in die Quere oder doch miteinander in Kontakt zu kommen – immer mit dem Blick auf die vermeintliche Uhr. In dem verspielt-witzigen „Hook“ zeigt Maldoom seinen Sinn für Humor, während beim Gruppenstück „The Confession of Isobel Gowdie“ mit Musik von James MacMillan die dramatische Geschichte den tänzerischen Aufbau dominiert. Die komplexe Choreografie behandelt das Schicksal der letzten als Hexe angeklagten Frau in Schottland im Jahr 1662. Die Tänzer verwenden lange Holzstangen, die immer wieder zu neuen Funktionen wie Waffen oder Tragegestellen oder Symbolen wie Kreuze zusammengesetzt werden. Die Anforderungen an die Profis in diesen Choreografien sind enorm. Maldoom fordert seine Tänzer entsprechend ihrer Fähigkeiten – und hat in der Tanzmoto Dance Company kongeniale Interpreten gefunden. Ein Spaziergang sind seine Arbeiten also weder für Laien noch für Profis.hook2

Der Brücke zu den Community Tanzprojekten ist mit diesem Programm gebaut. Die Gegenüberstellung ist überaus spannend, weil daraus ersichtlich wird, wie die choreografischen Grundsätze für beide Arbeitsfelder gelten. Die Gegenüberstellung stellt außerdem die Frage nach der künstlerischen Qualität in sozial engagierten Projekten zur Diskussion, eine Frage, die sich mit der wachsender Beliebtheit des „Tanzes für alle“ in zunehmendem Maße stellen wird. „Der Nebeneffekt des eigentlich künstlerischen Prozesses leistet … einen aktiven Beitrag zur Integration und zur Prävention gegen weitere soziale Ausgrenzung“, ist im Programmheft für „Tanzen für ein Besseres Leben“ zu lesen. Sehr oft jedoch wird der Prozess des Community Dance hauptsächlich vom sozialen Standpunkt aus gesehen und ihm dadurch nicht gerecht.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Debatte auch anderorts geführt wird. Die Tanzmoto Dance Company ist jedenfalls tourneebereit und bietet mit dem Programm „Crossing the Lines“ (auch) eine choreografische Qualität, wie sie heute viel zu selten auf den Tanzbühnen zu sehen ist.

„Tanzen für ein besseres Leben“, 24. September 2016 im Theater Duisburg

„Crossing the Lines“ Tanzmoto Dance Company tanzt Choreografien von Royston Maldoom. Premiere am 7. Oktober im Theater Marl; Folgevorstellungen am 9. Oktober in den Scheidt’schen Hallen Essen-Kettwig

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