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BS NightEinen Dreiteiler brachte das Bayerische Staatsballett vor der Weihnachtsferien auf die Bühne: mit einer Uraufführung der Kanadierin Aszure Barton, Balanchines „Sinfonie in C“ und Robbins „In the Night“. Wobei bewiesen wurde: Gender-Theorien hin oder her: Gefühle scheren sich nicht ums Geschlecht. Sie ergreifen Menschen – egal ob Mann oder Frau. Brechen sich jedoch Stimmungen Bahn, heißt es (re)agieren. Und hier fangen die Unterschiede an …

Kaum raus aus den Kulissen schwingt Cyril Pierre seine Kumpanin hoch über den Kopf gen Himmel. Doch statt vor festlich funkelnden Sternen in liebestrunkener Harmonie mit dem Partner durch die Nacht zu schwelgen – wie Ivy Amista und Javier Amo als erstes, sich innigst zugetanes Paar – geht Lucia Lacarra mit vorwurfsvoll abweisenden Armbewegungen auf emotionale Distanz. Fern liegt ihr auch der in militärisch-feudale Etikette gepackte Touch des zweiten Duos in Jerome Robbins bewegungselegantem Nachtstück „In the Night“. Dessen vertraulich-abgeklärtem Umgang miteinander verleihen Ekaterina Petina und Tigran Mikayelyan glaubhaft-souverän Gestalt.

In Lacarras Körper wütet Sturm und Drang. Wie schon vor 13 Jahren gibt Münchens Primaballerina die empörte Drama Queen. Natürlich ohne Fehl und Tadel. Dass sich bei ihrem fragil auf Spitze tobendem Gebaren der Mann kurzfristig in die Kulisse verzieht, führt schließlich zur versöhnlichen Besinnung. Lacarra spielt dies mit großer Allüre immer tiefer zu Boden sinkend aufs Neue vollendet aus. So erhaben einfach und zugleich empfindungsintensiv kann Ballett sein. Die richtigen Interpreten vorausgesetzt. Schön gelingt den Sechs auch das gegenseitige Sich-Taxieren im vierten Chopin-Nocturne (Klavier: Maria Babanina). Mehr Blicke als Tanz, bevor jedes Paar in eine andere Richtung entschwindet.

Die Neueinstudierung des 1970 uraufgeführten Stücks durch Christine Redpath vom Jerome Robbins Trust ist gelungener Mittelpunkt des Premierenabends. Und dabei ein denkbar großer Kontrast zu George Balanchines 23 Jahre älterer „Sinfonie in C“, die den neuen Ballettabend eröffnet.BS Sinfonie

Ohne jegliche zwischenmenschliche Inhalte stützt sich diese Choreografie ganz auf Bizets gleichnamige Komposition. Mitreißend durch den klaren, dynamischen Duktus, der für die 38 Damen und 12 Herren in einem Allegro Vivace gipfelt. Undankbar schwer aufgrund des ästhetischen Zwangs zu kollektiv einheitlicher und allein technischer Brillanz. Für die Weitergabe der virtuosen Tanzstruktur sorgte Balanchines ehemalige Solistin Colleen Neary. Gegen die verbliebenen konditionsbedingten Unschärfen hilft jetzt nur noch eins: viele weitere Aufführungen!

Als Richtschnur fürs Ensemble an der Rampe: die Ersten Solistinnen Ekaterina Petina (die sich mit Erik Murzagaliyev und Potenzial zur Steigerung tapfer durchs erste Mal schlug), Lacarra (die mit Ehemann Marlon Dino arriviert den Adagio-Satz anführte), Ivy Amista (klassikstark, mit Maxim Chashchegorov) und Daria Sukhorukova, von Adam Zvonař vorbildlich exakt durchs Finale geleitet.

BS AdamWie erwartet ist Aszure Bartons abschließende Uraufführung ein ästhetischer Ausreißer. Ein zeitgenössisches Manifest für die Macht der Sprache Tanz. Als wollte sie Balanchines Tempowirbel und Robbins Nachtidylle aufgreifen, taucht die 40-jährige Choreografin ihr Publikum zu Beginn filmisch in einen farblosen Blätterwald. Dann befinden wir uns in der schummrigen Rückzugshöhle einer neunköpfigen Tänzerhorde.

Schnell kommt Gruppendynamik auf zwischen Nicola Strada, Matej Urban, Shawn Throop, Ilia Sarkisov, Erik Murzagaliyev, Nicholas Losada, Léonard Engel, Javier Amo und Jonah Cook. Mit geballten Fäusten, ausgebreiteten Armen, nach hinten gekippt, mit wie über eine Couch gegossener Körperstatur oder breitbeinigen Luftsprüngen versichern sie sich immer wieder ihres potenten Daseins. Eine muntere Orgie gefleckter Kater mit glatt nach hinten gegeltem Haar (Kostüme: Michelle Jank) vor der Kulisse eines überdimensionalen Teddy-Bären.BS Adam2

Komponist Curtis Macdonald, der dem Halbstünder „Adam is“ mit perkussivem Jazz und rhythmischem Schnauben vom Band akustisch Leben einhaucht, lässt das kuschelige Monster mal tröstend grunzen, mal irritierend greinen. Immer wenn die Tänzer ihm in intimen Momenten bedrückende oder pochende Herzensangelegenheiten offenbaren. Am Ende gelingt es Barton, zwei ihrer Figuren weg von äußerem Gehabe in berührende Zweisamkeit zu führen. Ein Pas-de-deux von Matej Urban und Jonah Cook, der in gegenseitigem Verstehen verklingt. Sehenswert, auch wenn die Burschen in der spärlichen Beleuchtung schwer zu erkennen sind.

Bayerisches Staatsballett: „Sinfonie in C“, „In the Night“, „Adam Is“. Premiere am 20. Dezember im Nationaltheater München. Weitere Vorstellungen: 29.1.2016, 21. und 23. Februar, 19. April 2016

Tipp: Das Bayerische Staatsballett gastiert am 20. Jänner mit Richard Sigals Choreografien "Model" und "Metric Dozen" im Festspielhaus St. Pölten