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curtainupFriedliche Sprengkraft. Die Durchsage, wonach man sich im Falle eines Raketenangriffs in den Bunker unter dem Theatersaal begeben soll, ist alles andere als beruhigend. Kurz zuvor waren wir Schlange gestanden, um über eine schmale Wendeltreppe im ersten Rang des Saals Platz zu nehmen. Am Vortag hatte ich selbst am Strand von Jaffa erlebt, wie wenig Zeit zwischen dem Aufheulen der Sirene und der Detonation bleibt. Keinesfalls genügend, um den Bunker zu erreichen.

Allem zum Trotz, das Haus ist voll. Seit 1989 gilt das Suzanne Dellal Center in Tel Aviv als erste Adresse für zeitgenössischen Tanz. „Wir wussten bis zum Schluss nicht, ob „Curtain Up“ heuer stattfindet“, erzählt Ronit Ziv, künstlerische Co-Direktorin des Festivals für junge, aufstrebende israelische Choreographie. „Doch bis jetzt sind wir immer ausverkauft. Als ob die Menschen nicht zu Hause bleiben wollten.“

Das renommierte Curtain Up-Festival gilt als Gradmesser für Trends innerhalb der israelischen Tanzlandschaft. In einem komplizierten Verfahren wählt eine Jury junge Talente aus und unterstützt die Produktion eines kurzen Tanzstückes mit Proberäumen, Technik, Geld und Coaching. Insgesamt elf Duos, Trios und Quartette schafften es von 14. bis 24. November auf die Bühne.

Zeitgenössischer Tanz explodierte in den letzten 15 Jahren. Neben weltbekannten Kompanien wie Batsheva Dance arbeitet inzwischen eine Vielzahl an Tanzschaffenden in freien Projekten. „Curtain Up 2012“ zufolge wirkt die Szene ungemein vital, ausdrucksstark und technisch virtuos. Egal, ob persönliche Kindheitserinnerungen der Choreografin Shlomit Fundaminsky („Fly, Fly, Lie“) oder die aktuelle Asylpolitik („The Unfortunate“ von Idan Yoav) thematisiert werden, Gewalt und Terror schwingen in allen Produktionen des Festivals unterschwellig mit. Zurecht bejubelt wird das Trio „We Do Not Torture People“ von Noa Shadur, in welchem militärisches Bewegungsvokabular zu einem zynischen Sittenbild über Angst, Heroismus und tödlicher Langeweile gerinnt.

„Es brach mir fast das Herz, als der Gaza-Konflikt das heurige Festival gefährdete. Da steckt man monatelang seine Kreativität und Energie in eine Produktion und dann wird der Auftritt womöglich abgesagt. Ich konnte sehen, wie sich diese Anspannung in den Körpern der Tänzerinnen und Tänzer festsetzte“, ist Ronit Ziv erleichtert über den Waffenstillstand.

Nach den Vorstellungen gehe vorsichtshalber zu Fuß nach Hause. Tags zuvor hatte eine Bombe in der Linie 141 achtundzwanzig Menschen verletzt.

Curtain Up, Suzanne Dellal Center Tel Aviv, 14. bis 24. November 2012, gesehene Vorstellungen: 21. bis 24. November

Dieser Artikel ist ein Originalbeitrag der Kleinen Zeitung vom 26. November 2012