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travelogueDie Namensgebung gestaltet sich unbedarft. „Travelogue“ heißt die aktuelle aks-Tanzproduktion, welche in der Theaterhalle 11 ihre Uraufführung beging. Unerwähnt bleibt, dass unter demselben Titel Sasha Waltz, eine der großen deutschen Choreografinnen, mit ihrer Kompanie 1993 den Durchbruch feierte. Bedauerlich, denn so scheint der Abend entkoppelt von Tradition und Tanzentwicklung.

Was man auf Tanzebene verabsäumt, passiert musikalisch wohltuend ausdrücklich. „Travelogue“ will als Hommage auf John Cage gelesen werden, dessen kompositorische Einbindung von Stille, Zufall und Alltagsgeräuschen die Musikwelt revolutionierte. Die Umsetzung des Vorhabens gelingt. Die 60minütige Performance gleicht einem experimentellen Konzert mit hoher Körperpräsenz.

Das Publikum sitzt locker im Raum verteilt, dessen Ausstattung mit Screens, an Schnüren baumelnden MP3-Playern, einer Video-Kamera, einem alten Schreibtisch, Holzbarren, Toy Piano und Technikpult an ein Labor erinnert. Obwohl die Agierenden nie in direkten Kontakt treten, sind sie über eine minutiös getimte Partitur verbunden. Sie hantieren auf ihnen zugeordneten Rauminseln oder dazwischen. Fernando und Simona Piroddi tanzen in gegenüberliegenden Ecken, als wollten sie ihre Körper klanglich vermessen. Ihr Drehen, Gleiten, Stampfen, Hinwerfen, Rollen und ihr Atem verbindet sich organisch mit dem Klackern der Kieselsteine von Laurent Ziegler, dem Spiel am Toy Piano von Aureliusz Rys und mit Eleonore Schäfers Stimme. Schäfers Zeitungsartikel über privatisierte öffentliche Strände kontrastiert stimmig die atmosphärische Aufführung mit den Auswüchsen des Neoliberalismus. Carlos Osatinsky projiziert seinen Live-Mitschnitt abwechselnd auf Papier, Vorhänge oder eine kleine Leinwand und verbreitet Bilder wie Schallwellen im Raum. Andrea K. Schlehwein strukturiert das Treiben, indem sie alle sechs Minuten andere Koordinaten via Megaphon ruft: „Wien, 48 Grad, 12 Minuten, 32 Sekunden, Nord!“

„Travelogue“, ursprünglich ein Fachbegriff für die Sammlung von Reiseberichten, lässt sich tatsächlich als behutsame Reise in die Welt John Cages lesen. Und natürlich auch als eine Hommage an Merce Cunningham, Cages langjährigen Lebensgefährte, dessen choreografische Zusammenarbeit mit dem Ausnahmekomponisten den Grundstein zu so sensiblen Arbeiten wie dieser vom Netzwerk aks legte.

Netzwerk aks „Travelogue“ am 10. Oktober 2012, Theaterhalle 11/Klagenfurter Ensemble, Weitere Aufführungen: 14. Oktober

Dieser Artikel ist ein Originaltext der Kleinen Zeitung vom 11. Oktober 2012