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clugMit anhaltendem Jubel endete der dritte und letzte Ballettabend des heurigen Festival Ljubljana im Freilichttheater Križanke. Als „Hommage à Stravinsky“ zeigte das Ballett des Slowenischen Nationaltheaters Maribor die Choreografien „Songs for the Mating Season“ und „Le sacre du printemps“ des renommierten Ballettdirektors Edward Clug.

Clug erweist sich in „Songs for the Mating Season“ als Spezialist für Kontrollverlust. Zur zeitgenössischen Musik des slowenischen Komponisten Borut Križišnik degenerieren Frauen und Männer in unbequemen Businesskleidern zu grotesken Marionetten. Exakt abgestimmt auf Križišniks schräge Melodiebögen erinnern ihre schlaksigen, abgehackten Bewegungen mehr an Insekten als an menschliche Wesen. Wie unter einer Lupe vergrößert Clug winzige Gesten der dienstbeflissenen Angestellten und entlarvt so humorvoll ihre verborgenen Perversionen, Unsicherheiten und Sehnsüchte.

In Stravinskys „Le sacre du printemps“ fallen schließlich letzte Tabus. Hier wird Sehnsucht zu Mord. Trotz unzähliger, teils brillianter Sacre-Interpretationen gelingt es Edward Clug, neue Wege zu beschreiten. Seine Version der rituellen Opferung einer Jungfrau für ein fruchtbares Erntejahr lässt sich als Reaktion auf den Klimawandel lesen. Anfangs irritiert die Gleichgültigkeit, mit der sein exzellentes Ensemble die Auswahl des Frühlingsopfers tätigt. Wieder und wieder legt sich eine der Frauen – alle in fleischfarbenen Trikots mit weiß gepuderten Gesichtern – bäuchlings auf den Boden und wird aus der Gruppe geschliffen, um binnen kürzesten zurückzukehren. Erst als unvermittelt ein Schwall Wasser von oben auf die Bühne geschüttet wird, versteht man ihre Teilnahmslosigkeit. Wozu sich engagieren, wenn es ohnehin irgendwann regnet, diesmal sogar vor der Opferung? Tropfnass schubsen die Tänzer ihre Kolleginnen so an, dass diese über die volle Länger der Bühne gleiten, als wären sie Schwäne aus einer längst versunkenen Epoche. Am Ende wird doch noch getötet, eher beiläufig, weil es die Legende verlangt.

Im Gegensatz zu Bürowahnsinn und Wetterkatastrophe bleibt die Tanzprogrammierung des Festival Ljubljana vergleichsweise kalkulierbar. Als reine Ballettschiene bediente sie heuer ihr Publikum solide mit dem Neoklassizismus eines Maurice Béjart und zeitgenössischen Werken Edward Clugs und der Newcomerin Kjara Stari?. Mehr Mut zum Risiko, etwa kontroversiellere künstlerische Handschriften, könnte zukünftig nicht schaden.

Dieser Artikel ist ein Originaltext der Kleinen Zeitung vom 7. September 2012