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ivovenedigTanzende Bücher, poetische Clowns. Mit einem zweiteiligen Abend eröffnete die 8. Ausgabe der Tanzbiennale in Venedig ihr Programm: Ismael Ivo choreografierte das Stück „La biblioteca del corpo“ für die 25 Biennale-Stipendiaten. Virgilio Sieni brachte sein „De anima“ zur Uraufführung.

Ismael Ivo, bei Impulstanz in Wien künstlerisch beratender, bei der Tanzbiennale von Venedig (Biennale Danza) in künstlerisch leitender Funktion dem zeitgenössischen Tanz verpflichtet, durfte sich jetzt an der Lagune zu Recht feiern lassen: Sein Stück zur Eröffnung des 8.Internationalen Tanzfestivals der Biennale, „La biblioteca del corpo“ hat (fast) alles, was einen großen Abend ausmacht und begeisterte im riesigen, ausverkauften Teatro alle Tese des Arsenals.

Verdient haben den Applaus aber auch Ivos 25 Biennale-Stipendiaten, die sportlich-virtuos die theatralisch spannend angelegte, von Borges’ babylonischer Bibliothek inspirierte  Choreografie ausführten. Zur  klaren, von Ivo typgerecht verfassten körperlichen Artikulation gesellen sich Freiräume, in denen die vorwiegend klassisch trainierten, nur teilweise jungen Talente alles auspacken, was sie jeweils so drauf haben. Zunächst aber leuchten aus dem tatsächlich an eine Bibliothek erinnernden Regal-Bühnebild von Marcel Kaskeline nackte, hinter Glas gezwängte Körper. Dazu verfremdete Choralklänge, mystisches Licht. Plötzlich bricht ein „Buchkörper“ aus seinem Platz , dann fallen auch die übrigen „Bücher“ in klirrendem Scherbenregen zu Boden, um sich zu pulsierendem Sound (Fedele, Ligety, Eto, Ishii) zu „öffnen“. In großteils ansprechender Technik und durchgehender, meist eleganter Dynamik krachen die Körper auf den mit projizierten, knisternden Glassplittern bedeckten Boden. Man versucht sich in verschiedenen Formationen, erzählt kleine Geschichten in unterschiedlichen (Körper)sprachen – Babel eben. Gegen Ende tritt Ivos Choreografie zugunsten rasanten Drauflostanzens zurück, großteils mit recht schulmäßigem, (neo)klassisch-modernem Vokabular.

Kongenial, wenn auch ganz anders, die zweite Uraufführung des Abends: „De anima“ von Virgilio Sieni lieferte ohne Bühnenbild, dafür mit starken Tänzerpersönlichkeiten und in minutiöser Choreografie zu Bach-Klängen Poesie pur. Pate stand hier Picassos Interesse für die Welt der Gaukler und Clowns, vor allem hinter der Bühne, wo sie ihre Seelen für die Augenblicke zwischen den Auftritten öffnen: in zurückhaltend-schöner Kindlichkeit zwischen Commedia dell’Arte und Picassos  blauer und rosa Periode. Mit raffinierten und simplen Darstellungen, je nachdem wer gerade von der Bühne kam und wer vor den Vorhang  musste. Ein stetes Pendeln zwischen echten und künstlichen Emotionen, ein buntes Häuflein Menschen, rührend zerbrechlich, so „nebenbei“ und selbstverständlich akrobatisch, so traurig lustig. Eine kleine getanzte Wunderwelt. Sehenswert.  

8.Internationalen Biennale-Tanzfestival, Eröffnung am 8.Juni 2012