Hauptkategorie: Kritiken
nurejewgala_gross
Mit der sorgfältig programmierten und vom Publikum heftig akklamierten „Nurejew Gala 2011“ verabschiedete sich das Wiener Staatsballett in die Sommerpause. Davor gab es noch einmal „Giselle“ mit Neubesetzungen und in einer Matinee gaben die SchülerInnen der Ballettschule der Wiener Staatsoper eine eindrucksvolle Talentprobe im Haus am Ring ab.

Als Manuel Legris im September 2010 das Wiener Staatsballett übernahm, wollte er vor allem eins: die Begeisterung des Publikums für das Ballett wieder erwecken, diese „Art von Hysterie“ im positiven Sinne, die er als Tänzer bei seinen Auftritten in Wien selbst erfahren hatte.

Das ist ihm bereits in der ersten Saison gelungen. Auch ohne Stars wie der singuläre Rudolf Nurejew einer war, wurde die Gala zu dessen Ehren heftig akklamiert und bejubelt.

Obwohl - der „Star“ dieses Abends war freilich Ballettchef Legris selbst, der in zwei Pas de deux aus Jerome Robbins „In the Night“ und Kenneth McMillans „Manon“, beide Male an der Seite von Nina Polaková, brillierte. Seine tänzerische Teilnahme gab den Extra-Funken in einem bereits strahlenden Abend. Wen hervorheben, wen besonders erwähnen, wenn auch bei dieser Gala alle, die im Laufe dieser Saison schon zig-Mal begeisterten, wieder mit vollem Einsatz tanzten? Und das ist das gesamte Ensemble.

Was an dieser vier Stunden langen Aufführung aber ebenso überzeugte wie die tänzerische Verve war die abwechslungsreiche und kurzweilige Programm-Zusammenstellung aus Repertoirestücken und speziell für die Gala erarbeiteten Choreografien. In den vor dem Vorhang projizierten Videoclips wurde vor jedem Stück jeweils auf die Verbindung mit Nurejew hingewiesen sowie die SolistInnen in Probenaufnahmen vorgestellt, während dahinter der Bühnenumbau wie am Schnürchen vor sich ging. Mit diesem eleganten und gediegenen Abend machte das Wiener Staatsballett dem Namensgeber Nurejew jedenfalls alle Ehre.

Der erste Teil bestand aus ein Mix aus klassischen Variationen (der Pas de six aus Rudolf Nurejews Choreografie nach Bournonvilles „Napoli“, der Pas de deux aus Pierre Lacottes Version von „Paquita“ und der Pas d’action aus „Schwanensee“ aus Nurejews Pariser Fassung) und modernen Stücken. Speziell für diese Gala wurde der 2. Satz aus Niels Christes „Before Nightfall“, Maurice Béjarts „Arepo“ und der Pas de deux aus „Notre Dame de Paris“ einstudiert. Zusammen mit Forsythes „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ bot jedes dieser Stücke eine besondere, interessante Variante der neoklassischen Tanzsprache.

Im zweiten Teil wurden zwei Choreografien zur Gänze getanzt: John Neumeiers „Bach Suite III“, das in der nächsten Saison ins Repertoire des Wiener Staatsballetts übernommen wird, und Robbins „In the Night“.

Im dritten Teil dominierten zwei Choreografien von Rudolf Nurejew: der Pas de six aus „Raymonda“ sowie die 2. Szene aus dem dritten Akt von „Don Quixote“, die noch einmal das gesamte Ensemble auf die Bühne brachte. Ebenso animiert wie die TänzerInnen spielte das Orchester unter der Leitung von Vello Pähn und Igor Zapravdin als Klaviersolist bei "In the Night".

Vorhang auf für den Nachwuchs

Eleganz ist auch das Wort für die gelungene Matinee, in der sich die Ballettschule der Wiener Staatsoper mit einem neuen Gesicht unter der Leitung der Geschäftsführenden Direktorin Simona Noja präsentierte. Die ElevInnen stellten sich nicht wie in vergangenen Jahren in einem bunten  Nummernprogramm vor, sondern hatten drei Choreografien einstudiert, die jeweils unterschiedliche Aspekte der Tanzausbildung in den Vordergrund rückten.

„Concerto en Ré“ von Claude Bessy, das seit Generationen von ElevInnen an der Ballettschule der Pariser Oper getanzt wird, ist eine Paradestück für den Ausbildungsweg im klassisch-akademischen Tanz. In einer Art Defilee tanzt jede Klasse auf ihre Leistungsstufe  zugeschnittene Variationen zum Klavierkonzert in d-Moll von Johann Sebastian Bach und übt dabei perfekte Auftritte und Abgänge.

Boris Nebyla hat in dem Stück „Re: Composition“ die Schwerkraft ins Spiel gebracht, die der klassische Tanz bekanntlich zu überwinden bestrebt ist. Viel Bodenarbeit und deutliche Bewegungsimpulse stehen im Focus dieser Arbeit, für die Oliver Peter Grabner ein Cello-Solo geschrieben hat.

David Lichines „Kadettenball“  in der sorgsamen Einstudierung von Eveline Téri brachte den heiter-beschwingten Abschluss der Matinee, wobei die SchülerInnen besonders in der Rollengestaltung und mit einigen Variationen solistisch gefordert waren.

Eine deutliche Aufwertung erfuhr die Leistungsschau durch das Orchester der Wiener Staatsper, das erstmals eine Matinee der Ballettschule musikalisch begleitete. Rémy Ballot dirigierte umsichtig und schwungvoll, als SolistInnen waren Roberta Pili am Klavier und Berhard Naoki Hedenvorg am Cello zu hören.

Die neue Art der Ballettschul-Präsention ist auch ein Indikator dafür, dass in der Schule nun besonderes Augenmerk auf die Ensemble-Arbeit gelegt wird. Die Stücke waren alle perfekt einstudiert. Speziell „Concerto en Ré“ ist eine Visitenkarte für sorgfältige Corps-Arbeit.

„Giselle“ mit Neubesetzung

Wie wichtig diese ist, zeigte auch die letzte Vorstellung von „Giselle“, in der das Corps de ballet die vielleicht wichtigste Rolle spielt. Das Ensemble des Wiener Staatsballetts agierte auch zu Saisonende wieder in der nun schon gewohnten, perfekten Synchronizität, Natalie Kusch und Andrey Teterin gaben als Giselle und Herzog Albrecht ihr Rollendebut. Kusch verkörperte im zweiten Akt eine schwerelose Wili, konnte sich aber (noch) nicht ganz in die Rolle des Bauernmädchens einleben, das etwas blass und eindimensional wirkte. Andrey Teterin hat das Zeug zum Danseur noble, war aber ob seiner Nervosität bei seinen Sprungvariationen sichtlich angespannt. Dennoch haben die beiden HalbsolistInnen ihr Debut glänzend bestanden, wofür Natalie Kusch im Rahmen einer Reihe von Avancements, die Manuel Legris am Ende der Saison vorstellte, auch mit der Ernennung zur Solistin belohnt wurde.

Marie Claire D’Lyse war eine überzeugend strenge Myrtha, die Rollen des Bauernpaars waren neu besetzt. Die talentierte Prisca Zeisel, die bereits im Alter von 15 Jahren engagiert wurde, scheint doch noch sehr jung für solistische Auftritte (zwei Tage später tanzte sie bei der Gala auch die Erste Brautjungfer im „Don Quixote“), die sie zwar charmant und fehlerfrei, aber - im Gegensatz zu ihrem Partner Alexander Tcacenco - noch nicht ganz sicher meistert.

Wiener Staatsballett in der Wiener Staatsoper: „Giselle“ am 26. Juni, „Nurejew-Gala 2011“ am 28. Juni

Matinee der Ballettschule der Wiener Staatsoper am 26. Juni 2011

www.wiener-staatsoper.at