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dialoguescarmelitesNach der erfolgreichen Aufführungsserie vor zwei Jahren kam Francis Poulencs Oper „Dialogues des Carmélites“ im April erneut auf den Spielplan des Theaters an der Wien. Unverändert blieb die großartige Inszenierung, großteils neu war die Sängerbesetzung.

Dialoge aus dem Kloster - nicht gerade der Stoff, aus dem Opernlibretti gemacht sind. Eigentlich ist bei „Dialogues de Carmélites“ nichts, wie man es von der Oper gewöhnt ist - kein Drama, keine Arien, keine strahlend tragischen HeldenInnen, kein Pomp, keine großen Gesten. Francis Poulenc hat das Libretto aus Texten des gleichnamigen Schauspiel von Georges Bernanos (auf Deutsch: „Die Letzte am Schafott“) verfasst und ganz auf die musikalische Macht der Emotionen gesetzt, die in keiner Minute ihre Wirkung verfehlt. Drei Stunden lang entfaltet sich in den Dialogen eine Spannung wie in einem Thriller, über die die Musik ihre tröstlichen Schwingen ausbreitet. Am Ende steht der kollektive Tod, das religiöse Martyrium als Erlösung aus der existenziellen Angst in einer sich grundlegend verändernden Welt - Parallelen zum Heute drängen sich auf, und werden doch nicht greifbar.

Auf den zweiten Blick also: ein heikler, konfliktreicher und gewagter Stoff, den Gertrud von Le Fort in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, in der Zeit des aufkeimenden Nazismus, als Roman verfasste und den Poulenc in den 1950er Jahren, unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs für seine Oper verwendete.

Das französische Libretto wird durch die Übersetzung auf Overhead-Projektionen verständlich – allerdings muss man mitlesen, um der Handlung folgen zu können. Einerseits bedeutet das eine ungewohnte Situation für Opernbesucher. Andererseits ist eine Übertragung des Gesangs in eine andere Sprache unvorstellbar, da Poulenc Musik und Sprache in dieser Oper untrennbar aufeinander abgestimmt hat.

Die Geschichte spielt zur Zeit der Französischen Revolution, als die Trennung von Kirche und Staat in ihrer schmerzvollsten Phase war. Priester und Ordensleute bekamen von der neuen Nationalversammlung Berufsverbot, und ihre Verfolgung endete oft auf dem Schafott. In diesem Ambiente beschließt die junge, von panischen Angstattacken geplagte Blanche, Tochter des Marquis de La Force, in den Karmeliterorden einzutreten.

Die Gespräche zwischen den Schwestern über ihr Glaubensverständnis und ihre Angst in einer unsicheren Zeit prägen den ersten Akt, der mit dem Tod der Priorin endet, die in ihrem verzweifelten Todeskampf die Zerstörung des Klosters vorhersieht. Dem Glaubenszweifel ihres einsamen Todes wird am Ende die Leichtigkeit des letzten Weges der Schwestern gegenüberstehen, die sich in Bewahrung und Ausübung ihres Glaubens dafür entschieden haben, gemeinsam in den Tod zu gehen.

Als die Revolutionäre in das Kloster eindringen, legen die Schwestern - gegen den Willen der neuen Priorin - das Gelübde des Märtyrertods ab. Sie werden aus dem Kloster vertrieben und müssen ihr Ordensgewand gegen bürgerliche Kleidung tauschen. Blanche entflieht auf das Gut ihres Vaters, der vor ihrer Ankunft hingerichtet worden war, und arbeitet dort als Magd. Die anderen Schwestern verzichten nicht auf die Messe und treffen sich weiterhin zum Gebet. Sie werden gefangen genommen und zum Tod durch die Guillotine verurteilt. Blanche eilt zu ihren Mitschwestern, um mit ihnen im Tod vereint zu sein.

Ein derartiger Stoff erfordert höchstes Augenmaß bei der Umsetzung und bei der Inszenierung dieser Oper im Theater an der Wien war ein wahres Dreamteam am Werk, das ganz im Sinne der Musik und des Librettos am Werke war: Robert Carsen führte eine einfühlsame Regie, Michel Levine konzentrierte sich bei seinem Bühnenbild auf wenige, essenzielle Versatzstücke, Kostümbildner Falk Bauer fand einfache und doch effektvolle Lösungen für die Kostüme, das Licht von Christine Binder und Jean Kalman unterstützte das Bühnengeschehen in unaufdringlicher Art und Weise. Ein großes Lob gilt der Choreografie von Philippe Giraudeau, die die Bühnenumbauten der DarstellerInnen und vielen StatistInnen rhythmisch koordiniert und für das Schlussbild eine ungewöhnliche, und ungewöhnlich berührende, Lösung findet.

Im Sängerensemble stachen Patrizia Petibon als Blanche, Deborah Polaski als Madame de Croissy und Hendrickje van Kerckhove als Constance heraus. Überiridisch schön und eindringlich spielte auch diesmal wieder das Radio-Symphonieorchester unter der Leitung von Bertrand de Billy.

Dialogues des Carmélites, Theater an der Wien, 27. April 2010

(Teile dieses Textes erschienen anlässlich der Aufführung am 31. Jänner 2008 auf tanz.at/Vintage)