Hauptkategorie: Kritiken

babelsidilIm Festspielhaus St. Pölten zeigte Sidi Larbi Cherkaoui „Babel (Words)“ , nach „Myth“,  die Vollendung einer Trilogie über menschliches Zusammenleben und Kommunikation, die 2003 mit „Foi“ ihren Anfang nahm. Nicht nur mit der Sprache des Körpers, auch der des gesprochenen Wort und der der Musik hat Cherkaoui gemeinsam mit Damien Jalet einen bunten Abend geschaffen, an dem auch fröhliches Schenkelklopfen erlaubt war.

Zuerst das Wunderbare. Zum Beispiel der Beginn mit dem japanischen Trommler Shogo Yoshi und der verbalen und nonverbalen Erklärung, dass vor dem Wort die Geste stand. Doch bald erstarrt die Geste zur abgezirkelten Bewegung der Arme und Hände – eine Flugbegleiterin erklärt wo die Notausgänge zu suchen sind. Die ArbeiterInnen am Turm zu Babel messen das Territorium aus, doch gut geht das nicht lange. Unter den rhythmischen Schlägen der Trommel und Percussion (Gabriele Miracle) entwickelt die Truppe steigende Aggressivität. Es herrscht Krieg.

Genial ist auch dasvisuelle Konzept der Bühne von Antony Gormley. Die Kuben und Quader aus Alugestänge führen ihren eigenen Tanz auf. Sie werden verschoben und ineinander geschachtelt,  aufgetürmt und umgelegt, sie dienen als Käfige und Tore, als Haus und Himmel. Cherkaoui liebt nicht nur die Bühne und das Tanztheater sondern auch den A-Capella-Gesang und so hörte man auch in Babylon die wunderbaren Stimmen von Patrizia Bovi (bereits aus „Myth“ und als Gründerin des Ensembles Micrologus bekannt) und Christine Leboutte, die in zahlreichen Choreografien Cherkaouis und mit dem korsischen Vokalensemble A Cumpagnia das Publikum begeistert. An den musikalischen Passagen, meditativ, zärtlich, tiefsinnig, wirken auch die indischen Musiker Mahabub Khan und Sattar Khan mit.

Doch mit den feierlichen, zum Nachdenken anregenden Momenten ist es nicht getan. Die Show (so bezeichnete Festspielhaus-Intendant Joachim Schloemer im anschließenden Gespräch mit Mitwirkenden den Abend) muss weiter gehen und das Publikum dabei bleiben. Also wird ihm auch allerhand zum Juchzen und Lachen serviert. Die Flugbegleiterin wird zur steuerbaren Roboterin (Merksatz: Der Mensch ist manipulierbar) und weil’s mit den Gesten nicht getan, werden dem Publikum auch die - nicht mehr gar so neuen - neurowissenschaftliche Erkenntnisse erklärt (Merksatz: Wir lernen durch Nachahmung und fühlen, was wir sehen). Dann wird das alles von der, zugegeben fulminanten Truppe nachgespielt. Ein Gewirr aus Beinen und Armen, Köpfen und Hälsen türmt sich zur bewegten Maschine. Wer da antreibt und wer angetrieben wird ist nicht mehr zu erkennen. Doch dann kommt der Urmensch, nähert sich dem weiblichen Android und hat seinen Spaß mit ihr.  Das Publikum freut sich mit, lautstark. Nicht fehlen darf in so einem globalen Rundumschlag auch deutliche Kapitalismuskritik. Das kommt immer gut an. Die Kritik am „belgischen Tanz der 80er“ geht unter. Vielleicht war's ja auch Cherkaouis eigene Art von Humor.

Bis zum endgültigen Schluss nach Friedensgesang und einem, riesig hoch, aus dem Gestänge und auch aus den Körpern gebildeten Turm, nach Beugen und Schlenkern und Drehen der Gliedmaßen, nach tranceartiger Raserei und stillem Schreiten, dauert es nach dem Höhepunkt der Show (ich bleibe bei dem Begriff, weil er so falsch nicht ist) noch eine zerdehnte Weile. Das tänzerische Erlebnis beschert ein Pas de deux, bei dem nur zwei Füße auf dem Boden sind, die des Mannes. Die Tänzerin umschlingt ihn, hängt mit nacktem Oberkörper auf seinem Rücken, krallt sich in seine Brust, biegt sich in alle Richtungen, die Schlange lässt dem Mann keine Chance. Ein ekstatischer Tanz, dessen Sprache, wie eben am unfertigen Turm zu Babel (Gott war ja so wütend, dass die Menschen sich geeinigt hatten und dieses Meisterwerk bauen wollten, dass er einfach drein gefahren ist. Turm zerstört, Sprache verwirrt), ganz anders ist als das vorhergegangene  Bewegungsvokabular. Die beiden Choreografen haben, so scheint es, einfach genommen, was herum liegt, mehr oder weniger zusammenhängende Szenen daraus gebaut und versucht, das Publikum nicht zu langweilen.

Das ist gelungen. Aber zufrieden gestellt? Zufriedengestellt hat mich das zum Choreografiewunder hochgelobte Genie Sidi Larbi Cherkaoui nicht. Nicht nur, weil ich mit dem Entwirren und Deuten der hineingestopften Symbole und Metaphern nicht nachgekommen bin. Nicht nur, weil der schicke Titel mit der hochgestellten Erklärung (Worte) Beliebigkeit vermittelt. Nicht nur, weil das Schielen nach dem tanzfernen Publikum die Tiefe der Gedanken geschmäcklerisch abgeflacht hat, sondern vor allem, weil der Abstieg vom erschütternden aus dem Schock nach 9/11 entstandenen Stück „Foi“ über das innige „Myth“ (2007) zu „Babel (Words)“ mit Wiederholungen, Botschaften und Belehrungen gepflastert ist und auch vor Klamauk nicht halt macht.

Sidi Larbi Cherkaoui ist „Artist in Residence 2010/2011 im Festspielhaus St. Pölten“, steht im Programmheft. Was immer das zu bedeuten hat, bei der Aufführung war er nicht anwesend.

Sidi Larbi Cherkaoui / Damien Jalet: „Babel (Words)“, Festspielhaus St. Pölten, 30. Oktober 2010