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SchlaepferAuch ein Jahr nach seiner Premiere (tanz.at berichtete) wirkt der Dreiteiler „Im siebten Himmel“ taufrisch wie die erste Liebe. Weder hat Schläpfers „Marsch, Walzer, Polka“ an Witz noch Goeckes „Fly Paper Bird“ an Spannung verloren. Balanchines „Symphonie in C“ führt letztlich das Wiener Staatsballett wieder zu seiner gewohnten Harmonie und Eleganz zurück. 

Gezählte drei Walzerschritte gibt es in Martin Schläpfers Ballett, und die werden eher zaghaft gesetzt. Doch insgesamt wird die Wiener Tradition in „Marsch, Walzer, Polka“ konsequent gegen den Strich gebürstet. Keine Spur von Glanz und Salonatmosphäre im Donauwalzer, in "Sphärenklänge", in der Annen- und der Pizzicato-Polka, dafür derb-deftiges Volkstum, versetzt mit Spitzenschuh und Commedia dell’arte, und zum Radetzkymarsch die Doppelbödigkeit der Wiener Seele in einem semi-pantomimischen Solo (Jackson Carroll). 

Schlaepfer3Die Irritation wird gleich am Anfang gesetzt, wenn die Bewegungen der Solistin (Ketevan Papava) in der Einleitung zum Donauwalzer gänzlich „neben der Musik“ sind. Es ist natürlich Absicht, wenn die Arme bereits im Rhythmus des Walzertaktes rudern, während das Orchester sich erst langsam seinen Weg dahin bahnt. Und so geht es hurtig weiter mit Purzelbäumen, Radschlagen und einem Reichtum an Bewegungserfindung in den Partnertänzen, die gleichermaßen amüsieren und verstören. Doch eröffnet der Choreograf hier nicht auch eine neue Sicht auf die Melodien, die sich in die Wiener DNA eingebettet haben? Ist es nicht erfrischend, den Kitsch nicht in süßliche Romantik, sondern in ein bodenständiges Statement verpackt zu sehen? Einmal nicht an Kaiser und den nach ihm benannten Schmarrn zu denken, sondern die unsterbliche Musik mit neuen Bewegungen zu paaren, die zwar das 1, 2, 3 reflektieren, aber nicht als Dreischritt daherkommen?

Goecke2Programmatisch ist „Marsch, Walzer, Polka“ aber auch eine humorvolle Einleitung für Marco Goeckes düsteres Stück „Fly Paper Bird“, das eine weitere Wiener Ikone, Gustav Mahlers 5. Symphonie, in einen neuen Kontext setzt. Dass diese radikale und neurotische Bewegungssprache auf das berühmte Adagietto passt, ist einerseits der intuitiven Musikalität des Choreografen wie auch der Intensität seines Tanzidioms geschuldet. Dieses präzise aufeinander abgestimmte „Gefuchtel“ zieht die Zuseherin in seinen Bann, aus dem es kein Entkommen gibt. Ein spezielles Lob sei hier der Ballettmeisterin Louisa Rachedi ausgesprochen, die dieses für das Ensemble ungewohnte Idiom in deren Körper nach einem Jahr Pause abgerufen und perfektioniert hat.Balanchine

Am Ende ist Entspannung angesagt, mit George Balanchines traditioneller Musikalität. Die strenge, neoklassische Schule der Tänzer*innen begegnet Bizets feuriger C-Dur Symphonie in idealem Gleichklang. Doch gerade diese Deckungsgleichheit offenbart eventuelle Schwächen mit brutaler Härte und so vermisste man im Tanz das spritzige Temperament, das die Musik vorgibt. Unsicherheiten schienen Kiyoka Hashimoto (1. Satz) und Sonia Dovrak (4. Satz) auszubremsen, während ihre Partner Masayu Kimoto und Arne Vandervelde mit Bravour glänzten. Nach ihrem Einsatz in Goeckes Ballett ergriffen sie hier offenbar die Gelegenheit, sich aus dessen zwanghaftem Bewegungsmodus zu befreien. Durchaus inspiriert tanzten Ioanna Avraam und Géraud Wielick im dritten Satz, vollendete Adagio-Eleganz und Harmonie verbreiteten Olga Esina mit ihrem umsichtigen Partner Brendan Saye. Für das Finale liefen alle, Hauptpaare, Solist*innen und das Ensemble, doch noch zu Hochform auf und katapultieren das Publikum in den „siebten Himmel“. 

Schlaepfer2Dort musizierte den ganzen Abend hindurch das Wiener Staatsopernorchester. Ob Wiener Walzer, Polka oder Marsch, ob Gustav Mahler und George Bizet – unter der Leitung von Patrick Lange gab es durchwegs musikalischen Hochgenuss.

Wiener Staatsballett: "Im Siebten Himmel", gesehen am 12. Jänner in der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 12. Jänner, 3., 10., 13. April