Hauptkategorie: Kritiken

Carboni02Menschen, Figuren, die sich – vorerst kaum bemerkt – im und aus dem Alltag von einer Mauer, einem Beton-Trog, einem Schaufenster, von einer Bank lösen und sich zu bewegen beginnen: selbstverständlich, natürlich und nachvollziehbar; im Grunde von jedermann/jederfrau nachahmbar oder aus jedem/jeder sich entwickelnd – entwickelbar. Wenn, frau/man sich darauf einlässt, es zulässt, wenn dem Grundbedürfnis nach Bewegungsfluss Raum gegeben wird. 

Jadi Carboni versucht in ihrer tänzerisch basierten Performance mit Profitänzern und Laien diesem weitgehend unterdrückten und verleugneten Verlangen - den Körper aus sich heraus sprechen zu lassen –, seinem harmonisch-emotionalen Grundimpulsen Platz zu verschaffen, Berechtigung zu geben. Sie tut es, indem es mitten im Alltag einer geschäftigen Öffentlichkeit, mitten auf einer (verkehrsberuhigten) Straße Bewegung der harmonischen Art zu erleben gibt. Manch einer bleibt stehen, staunt und schaut zu; einige beginnen sich kaum merkbar und zu leise erklingender Musik mitzubewegen; einige andere, und gar nicht so wenige, fügen sich in die Schar der AkteurInnen – nahezu „unerkannt“. Denn das, was hier geschieht (in Anlehnung an Grundprinzipien des zeitgenössischen Tanzes und dabei vor allem an das, was als Contact Dance seinen Weg gefunden hat), ist nicht am Reißbrett Erdachtes, Durchchoreografiertes, sondern entsteht aus innerem Antrieb und in Gemeinsamkeit mit anderen, in Reaktion und Achtsamkeit auf andere, in Einfühlung in andere. Carboni09

Jadi Carboni versucht gleichzeitig zu diesem Bewusstmachen einer intuitiven, organischen Tanzwelt für jeden aber auch, die Kunstform des zeitgenössischen Tanzes durch ein Auftreten wie dieses, durch sein Einfügen in den Alltag, den Menschen näher zu bringen, niederschwellig verständlicher zu machen, ihm den Nimbus des „Unverständlichen“ zu nehmen. 

Carboni03Zu diesem Zweck gab es außerdem nach der gut einstündigen, interaktiven Performance, die dank wohldurchdachter, vor allem rhythmisch strukturierter und damit abwechslungsreicher Dramaturgie nie ihren Drive verlor, eine Gesprächsrunde auf offener Straße: mit einigen Beteiligten, die spontan (und begeistert) von ihren Erfahrungen während der kurzen Probenzeit und dem jetzigen Auftreten berichteten und mit Carboni, die mit Überzeugungskraft von ihrer Auffassung vom Tanz (sie ist ausgebildete Profi-Tänzerin mit internationalen Erfahrungen und Erfolgen, siehe https://www.jadicarboni.com/) und von ihren nunmehr ersten, wichtigen Erfahrungen bei der Arbeit mit Laien erzählte: Bekräftigen sie doch auch ihre Überzeugung, dass in jedem Menschen nicht nur Bewegungsbedürfnis, sondern auch Potential stecke.

Carboni kam im November 2020 nach Graz und wurde zu einer, die versuchen will, den zeitgenössischen Tanz in Graz sichtbarer, ihn nachhaltig erlebbar und „begreifbar“ zu machen. Sie ist nicht die erste mit dieser (schwierigen) Intention. Aber: ein Erfolg ist ihr zuzutrauen und - sowie der Stadt - zu wünschen. 

Jadi Carboni: „Permeable Touch“, Participatory Performance im Rahmen von Lendwirbel Festival am 3. Mai, Ecke Lendplatz, Stockergasse, Maraihilferstraße in Graz