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stp1Als das Theaterinstitut in Damaskus, Syrien, 2013 bei einem Bombenanschlag beschädigt wurde, ging der Tanzstudent Hussein Khaddour in den Ballettsaal voller Staub und Glasscherben und begann dort zu tanzen. Daraus wurde das Video „Point Zero“, das ein europäischer Veranstalter auf YouTube entdeckte. Seither war Hussein mehrmals in den Niederlanden auf Arbeitsbesuch, wo er auch die österreichische Tänzerin und Choreografin Gloria Benedikt traf. Zur Zeit kreieren die beiden das Stück „(In)Dignity“, das im Sommer beim Forum Alpbach uraufgeführt wird.

Mit 13 hat Hussein Kaddhour zu tanzen begonnen, war ein B-Boy auf den Straßen seiner Geburtsstadt Homs. Vier Jahr später begann er in Damaskus bei einer Tanztruppe Ballett und Modern Dance zu trainieren, doch irgendetwas fehlte ihm bei den kommerziellen Shows, die er mit einer Gruppe realisierte und ab 2011 auch als Student am Theaterinstitut von Damaskus, wo das Training in Ballett und Graham-Technik bestand. Er begann im Internet zu recherchieren, fand Videos von Pina Bausch, Merce Cunningham, Anne Teresa de Keersmaeker, Akram Khan, und damit eine für ihn völlig neue künstlerische Perspektive.

Doch dann kam die Revolution. Wie viele junge Menschen in Syrien wurde auch Hussein von der allgemeinen Aufbruchsstimmung mitgerissen, ging zurück nach Homs, demonstrierte mit seinen Freunden für die Freiheit, versäumte den Unterricht am Institut und flog daraufhin von der Schule. Doch nach einem Jahr war klar, dass die Revolution eine islamistische Bewegung geworden ist. „Wir wollten doch Freiheit, nicht eine andere oder religiöse Diktatur. Wir fühlten, dass wir draußen waren aus der Revolution. Und ich hatte ein Jahr am Institut verloren …“, sagt er. Doch dort wurde der begabte junge Tänzer 2013 wieder aufgenommen und seither konzentriert er sich ganz auf „die Kunst. Wenn wir uns alle auf unsere Arbeit konzentrieren, dann können wir auch einen Wechsel herbeiführen“, ist der sympathische, freundliche Tänzer heute überzeugt. Der Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Menschen haben generell seit dem Krieg stark zugenommen, meint Hussein. Als das Institut bei einem Bombenanschlag beschädigt worden war, haben alle zusammen geholfen, um es wieder aufzubauen. „Vor dem Krieg haben wir viel geredet und wenig getan, jetzt machen wir Dinge, denn wir können nicht darüber reden, was passiert.“PointZero

So ist sein Video „Point Zero, das er mit dem Filmemacher Yazeed Sayed gedreht hat, ein berührendes, persönliches Zeugnis über den Prozess der Zerstörung, der das ganze Land überzieht. Für Hussein Kaddhour öffnete es das Tor in die Welt, denn der Festival-Direktor Gary Feingold hat das Video auf YouTube gesehen und den Tanzstudenten im zweiten Studienjahr nach Amsterdam zu „Dancing on the Edge“ eingeladen, einer Initiative, die den Kulturaustausch mit dem Nahen Osten und Nordafrika fördert. Hussein nahm dort an Workshops teil, zeigte sein Solo „For Me“, in dem er fragt: „Wie kann ein Individuum seine Menschlichkeit unter unmenschlichen Bedingungen bewahren? Welche Auswirkungen haben die gegenwärtigen Umstände in Syrien auf den Einzelnen und auf die Menschheit? Als Syrer muss man sich diese Fragen stellen. Ist die Antwort darauf, weiterhin nach Freiheit zu suchen oder Rache zu wünschen?“ Seither war er mehrmals in Europa. Die österreichische Tänzerin und Choreografin Gloria Benedikt erkannte in dem Kollegen mit dem politischen Engagement gleich einen Seelenverwandten, und die beiden begannen die Idee einer gemeinsamen Performance zu entwickeln.

pigeonHussein Khaddours jüngstes Stück „Die Taube“ hatte unmittelbar vor seinem Abflug nach Wien im Nationaltheater Damaskus drei Vorstellungen. Bei dieser künstlerischen Arbeit auf Grundlage von Patrick Süskinds gleichnamiger Novelle wird er von der schwedischen Foundation Citizens & Artists unterstützt. Freilich, die Probenarbeit mit dem Team aus einem Dramaturgen, zwei Tänzern und einem Komponisten war alles andere als easy. „Es ist schon ein Kampf, dass wir unsere Arbeit tun können“, sagt der Choreograf. So muss man beispielsweise für die Anfahrt ins Studio, für die man vor dem Krieg eine halbe Stunde brauchte, nun mindestens zweieinhalb Stunden rechnen: Checkpoints, Autobomben und andere Unvorhersehbarkeiten versperren den Weg.

Die Arbeit an „(In)Dignity“ mit Gloria Bendikt in Österreich ist eine Pause von diesem alltäglichen Wahnsinn. Hussein fühlt sich wohl. „There is music between the people“, sagt er milde lächelnd, und das gäbe ihm die Energie für die Proben im Tanzstudio des Festspielhaus St. Pölten. Dei beiden verstehen ihren Tanz als Beitrag zur Debatte um den Krisenherd Mittlerer Osten und die neue UN-Agenda „The Road to Dignity by 2030". Daher hat Benedikt auch das Forum Alpbach als Aufführungsort gewählt, wo das Stück nicht im kulturellen Rahmenprogramm sondern als Teil der politischen Gespräche gezeigt wird. „Diese österreichisch-syrische Kollaboration soll auch eine Antwort auf die derzeitige Lage sein; während Berichte des Terrors die Medienberichterstattung vereinnahmen, kommt eine Zusammenarbeit zustande, die es in dieser Form noch nie gegeben hat“, beschreibt sie die Zielsetzung.Der Titel „(In)Dignity“ stehe dabei in direktem Bezug zum Forum-Thema „(In)Equality“. „We need dignity“ war auch der Slogan der syrischen Revolution, ergänzt Hussein.
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Dass sie in einer Woche eine zwanzigminütige Choreografie erarbeiten können, verdanken sie einer intensiven Vorbereitung durch e-mail und Skype – trotz zahlreicher Strom- und Internetausfälle, die den Kontakt immer wieder störten. Die Arbeit im Studio kann sich jetzt ganz auf das Bewegungsmaterial konzentriert. Bereits in dem kurzen Ausschnitt, das ich bei der Probe sehe, vermag mich Hussein Kaddhour mit seiner einfachen und ehrlichen Bewegungssprache zu berühren. Die Urban Dance Wurzeln sind in den weichen Moves des jungen Tänzers deutlich zu erkennen, sucht er doch als Choreograf „die Verbindung zwischen zeitgenössischem Theatertanz und Break Dance“.

Doch: „I want to dance to make a difference“, sagt er, denn er verfolgt mit seiner Kunst weit mehr als ein ästhetisches Konzept. So hat er beispielsweise zusammen mit seiner Verlobten das Projekt VitaminDance ins Leben gerufen. Vitamin Dance gibt Workshops für Kinder in der Umgebung von Damaskus, etwa in Flüchtlingslagern, in denen die Bewohner aus zerstörten Gegenden untergebracht sind. 

VitaminDanceDie Residenzen in Europa geben ihm viel Energie um in Syrien mit seiner Arbeit weiterzumachen. Eine weitere „Kraftquelle“ sind Gastlehrer, die mit den StudentInnen des Theaterinstituts in Workshops arbeiten und ihnen den Anschluss an die künstlerische Entwicklung im Westen ermöglicht. „So fühlen wir uns nicht isoliert und lesen sehr viel.“

Alles was er mache, sagt Hussein, dient auch dafür, den Tanz in Syrien zu entwickeln. „Ich arbeite in meiner Position als Künstler und als solcher bin ich mit allem verbunden, aber ich unterstütze keine politische Bewegung, sondern die Menschen. In der Kunst haben wir keine Agenda und keine Ideologie.“ Auch bei seiner letzten Produktion ist er sich durch die Reaktion des Publikums der Macht der Bilder bewusst geworden, die heute mehr Aussagekraft haben als das gesprochene Wort. „There is no space for words, no space for sounds“, sagt er. Denn der Krieg deckt alles zu.

PS: Anlässlich des Europatages tritt Gloria Benedikt zusammen mit dem italienischen Tänzer Mimmo Miccolis am 8. Mai im EU-Haus auf. In Gedenken an das Ende des 2. Weltkriegs vor 70 Jahre ist ein Ausschnitt aus dem Stück „Growth“ zu sehen, eine Choreographie, in der die beiden die neuen Anforderungen an die EU Mitgliedstaaten in einem physischen Experiment ergründen. Die Musik für diese Wiener Version ist der zweite Satz aus Góreckis dritter Symphonie, der Text ist ein Gebet, das 1944 von einem 18 jährigen Mädchen an die Wand seiner Zelle im Keller des „Palastes“ des Gestapo-Hauptquartieres in Zakopane geschrieben wurde.

 

 

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