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edwardsSeitdem die Wiener Stadtzeitschrift Falter die Missstände an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper aufgedeckt hat, haben Medien ausgiebigst darüber berichtet. Fast kein Tag verging, an dem es zu dem Thema nicht auch Fernsehdiskussionen gab. Was eine Debatte über pädagogische Konzepte auslösen sollte, droht in eine Schlammschlacht auszuarten. Doch nun hat die Staatsanwaltschaft erste Ermittlungen eingeleitet.

Im Griff der Ideologie

Eines wird bei der derzeitigen Diskussion offensichtlich: viele BalletttänzerInnen sind einfach noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Opfer von Übergriffen, von denen (ehemalige) SchülerInnen berichten, werden als Weicheier und als für den Beruf ungeeignet abgekanzelt.

Die BefürworterInnen der harten Kandare unterscheiden nicht zwischen einem rigorosen Training und Grenzüberschreitungen. Sie halten alles, was im Ballettsaal geschieht, für ein notwendiges Übel auf dem Weg zu ihrem Ziel Ballerina oder Ballerino zu werden. Dass sie derartige Methoden auch als Erwachsene akzeptieren, wird wohl daran liegen, dass sie es sich anders gar nicht vorstellen können, weil sie es so erlebt haben. Zuzugeben, dass man auch mit menschlicheren Methoden dasselbe erreichen kann, hieße auch einzugestehen, dass viele ihrer Leiden umsonst waren. Die Argumentation wird also mit ideologischer Verbissenheit geführt.

Eine Welt der Grausamkeiten

Ein Paradebeispiel für die absolute Verneinung, dass Kinder durch die aufgedeckten Methoden Schaden nehmen könnten, ist Karina Sarkissova. Sie verteidigt die beschriebenen Misshandlungen, bagatellisiert sie, macht sich darüber, und über die, die sie erlitten haben, lustig. Disziplin, Härte, keine Nachsicht, das ist ihr Mantra. Das Bild des Balletts, das sie präsentiert, ist eine Welt voller Grausamkeiten und ohne Freude.

Apropos Disziplin: Zu ihrer Zeit als Tänzerin der Wiener Staatsoper nahm sie es mit den Regeln keineswegs so genau. Zweifelsohne wäre sie im Wiener Staatsballett in die ersten Ränge aufgestiegen, doch sie gab ihren PR-Aktionen den Vorrang, machte Nacktaufnahmen für ein Magazin, ausgerechnet und offenbar unautorisiert im Ballettsaal der ehrwürdigen Institution. Trotz Verwarnung organisierte sie dort ein zweite Foto-Shooting, was ihre fristlose Entlassung zur Folge hatte. Seither ist die nunmehrige Solistin an der Budapester Staatsoper eine Celebrity, und erlangte als Jurorin bei „Dancing Stars“ notorische Berühmtheit. Zur Zeit ist sie als Expertin über die Ballettakademie der Wiener Staatsoper, mit der sie nie etwas zu tun hatte, im Dauereinsatz, etwa im ORF "Im Zentrum", oder zuletzt bei Puls4 „Pro und Contra“.

Warum greifen eigentlich hierzulande private Fernsehanstalten auf Promis des Öffentlich-Rechtlichen zurück? Können sie nicht einmal andere Meinungen einholen? Wer bei diesen Diskussionen durch Abwesenheit glänzt, sind allerdings die Verantwortlichen der Wiener Staatsoper. Sie beteiligen sich nicht an der Diskussion bis die internen Untersuchungen abgeschlossen sind, heißt es. Sollte das auch für die TänzerInnen des Wiener Staatsballetts gelten?

Mittlerweile wissen wir jedenfalls, dass Frau Sarkissova inhaltlich nichts Relevantes zu sagen hat. Die Arroganz, die Überheblichkeit und Kälte, mit der sie die jungen Gesprächspartner in „Pro und contra“ behandelte, waren erschreckend und abstoßend. Hier ist kein Quäntchen Empathie, lediglich verbissener Ehrgeiz. Willkommen im Club der Brutalos.

Ihre Attitüde ist geradezu eine Bestätigung, wie menschenverachtend es im Ballettsaal zugeht und außerdem eine Anti-Werbung für das Ballett. Denn welche Eltern werden ihre Kinder in eine Ballettschule schicken, wenn eine Tänzerin die jetzigen Zustände als berufsbedingt und quasi völlig o.k. verteidigt und sexuelle Belästigungen verniedlicht? Man kann sich gut vorstellen, dass da eine Reihe „würdiger“ NachfolgerInnen von Bella R., der Lehrerin der die schwersten Übertretungen vorgeworfen werden, herumlaufen.

Die Staatsanwaltschaft klagt

Doch es gibt zum Glück Kinder- und Jugendschutz. Daher wurden heute auch von der Staatsanwaltschaft gegen zwei ehemalige Lehrerinnen und einen Lehrer Ermittlungsverfahren eingeleitet. Jetzt liegt es in der Hand der Justiz die Vorwürfe aufzuklären.

Doch die Ballettwelt ist gefordert. Die Ausbildung und das Berufbild müssen sich endlich im Einklang mit den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen entwickeln, damit das Ballett überleben kann.

Der Schlüssel dazu liegt in der pädagogischen Professionalisierung, und sicher nicht im Beharren auf einer überkommenen Ideologie. Reden wir also über zeitgemäße Konzepte, bei denen Höchstleistungen auch ohne Demütigungen und Machtmissbrauch, sondern mit Respekt vor den Kindern erreicht werden.

„Transparenz“ ist zum Beispiel ein Motto von Ralf Stabel, Direktor der Staatlichen Ballettschule Berlin. Das gilt nicht nur für die Architektur des lichtdurchfluteten Schulgebäudes am Prenzlauer Berg, sondern vor allem auch für die Kommunikation mit den pädagogisch qualifizierten Lehrern ebenso wie mit den StudentInnen. Das Royal Ballet setzt ganz auf die Wellness ihrer ElevInnen (siehe Video). Die Staatliche Ballettschule in Kanada stellt auf ihrer Homepage ihre Ressourcen in punkto Physiotherapie, Ernährungsberatung und ärztliche Betreuung vor. Das sind zukunftsweisende, beispielgebende Modelle für eine aufgeklärten Ballettausbildung. Doch dafür braucht man Fachleute, die gegenüber modernen, interdisziplinären Ansätzen aufgeschlossen sind. In Wien vertraut man hingegen die Reform der Ballettakademie der Wiener Staatsoper ausgerechnet jener Person an, unter deren Leitung die Übergriffe fröhliche Urständ feierten. Sehr seltsam.

PS: „Die Freude ist wieder da“

Interessantes Detail am Rande: Ausgerechnet einen Tag nach der Diskussion „Im Zentrum“, bei dem der Trainer von Tennis-Ass Dominic Thiem, Drill als einen positiv besetzten Begriff im Hochleistungssport verteidigte, gab Thiem die Trennung von seinem langjährigen Coach bekannt. Der APA gegenüber sagte Thiem nach dem Wechsel zu seinem neuen Trainer Nicolas Massu: „Die Freude ist wieder da.“

 tanz.at Kommentar von vom 11. April 2019

"Die Staatsopern Tragödie" Falter vom 11. April

"Das Mädchen mit den blutigen Füßen", Falter vom 17. April 2019 (kostenpflichtig)

"Sie wusste, dass er pervers war", Falter vom 17. April 2019 (kostenpflichtig)

"Im Zentrum" ORF

"Pro und Contra" Puls4