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igor_zapravdinWenn Odile, Odette oder Aurora ihre Pirouetten trainieren, dann macht Igor Zapravdin die Musik dazu. Seit 20 Jahren ist die Wiener Staatsoper die Heimat des Korrepetitors, das Ballettteam seine Familie. Geboren ist Igor Zapravdin in der Ukraine, studiert hat er in Moskau, seine Liebe aber gehört Wien und dem Ballett. Ob klassisch im Tütü oder modern im Trikot – Igor Zapravdin tanzt mit zehn Fingern über 88 Tasten.

Wenn er im grauseidenen Rüschenhemd für ein Foto mit Startänzer Vladimir Malakhov posiert, hält man ihn glatt für einen russischen Großfürsten. Kennt man Igor Zapravdin näher, dann weiß man, dass er zumindest das Herz eines solchen hat. Dieses aber schlägt nicht für Geld und Ruhm sondern für den Tanz. Igor Zapravdin ist Ballettkorrepetitor an der Wiener Staatsoper.

Nicht nur.

Als Pianist begeistert er bei Ballettaufführungen das Publikum, zuletzt mit Nocturnes und Mazurken von Frédéric Chopin in den Piano-Ballets von Jerome Robbins. Als unterstützender Compagnon spielt er auch für Sänger und Sängerinnen auf und wenn es die Musik für eine Gala zu arrangieren gilt, dann ist Igor Zapravdin zur Stelle. Immer gut gelaunt und mit dem Schalk im Nacken, ist Zapravdin als musikalischer Beistand, Organisator und Arrangeur auch international begehrt. Knapp vor den langwierigen Renovierungsarbeiten hat er für das Moskauer Bolschoi Theater eine Fanny Elßler-Gala geleitet. Nicht nur mit der weltberühmten Wiener Tänzerin (1810–1884) ist er eng verbunden. Igor Zapravdin lebt in der und für die Welt des Tanzes. „Ob klassisch oder modern, das ist egal, Tanz ist immer etwas Wunderbares.“

Als Kind träumte Igor davon, Tänzer zu werden, doch die Mamma hatte eine Karriere als Musiker für ihren Einzigen vorgesehen. Der Kleine konnte sich nicht durchsetzen. In der Volksschule aber durfte Igor noch tanzen und in der Ballettschule trainieren. Geboren ist Igor Zapravdin noch in der Sowjetunion, in der „Heldenstadt“ Sewastopol auf der Insel Krim. Heute gehört die Krim zur Ukraine. Die Mamma aber lebt in Moskau, wo auch der Sohn seine akademische Ausbildung (Klavier und Komposition) am Tschaikowsky-Konservatorium und der renommierten Gnesin-Akademie erhielt. Kaum hatte er sein Diplom in Händen, winkte auch ein Engagement. Der junge Igor wurde Ballettkorrepetitor am Moskauer Stanislawski und Nemirovich-Danchenko Musik-Theater. Das Herz an der Stange, die Hände auf den Tasten. Die Vita von Igor Zapravdin ist schnell erzählt. Sogar beim pflichtgemäßen Wehrdienst konnte er seiner Leidenschaft frönen,  als musikalischer Leiter des Volkstanzensembles der Schwarzmeerflotte. Nach einigen Zwischenstationen an Moskauer Theatern holte ihn Vjacheslav Gordejev 1992 zum Russischen Staatsballett. Als der Ballettomane auf einer Tournee mit „seiner“ Compagnie in Wien Station machte, wusste er spontan: „Hier möchte ich bleiben.“ Nur wenige Monate später, im Herbst 1992 war Igor Zapravdin als Solopianist und Ballettkorrepetitor engagiert. „Das war die neue Direktorin Elena Tschernichova. Dann kam Anne Woolliams, danach Renato Zanella, Gyula Harangozó und nun haben wir Manuel Legris als Ballettchef. Seit er da ist, hat eine goldene Zeit begonnen.“ Igor Zapravdins schwarze Augen funkeln und er gerät ins Schwärmen: „Das Repertoire ist jetzt so fein, eine so schöne Mischung. Ich glaube, wir haben hier die beste Compagnie von Europa. Direktor, Repertoire, Corps, Solisten – alles ist großartig.“ Worte eines Verliebten.

Gerade wird für die Wiederaufnahme des Balletts „Dornröschen“ von Peter Wright (nach der Choreografie von Marius Petipa, uraufgeführt 1890) geprobt. Die Ersten Solotänzerinnen Liudmila Konovalova, Olga Esina und Maria Yakovleva versuchen die Balance beim berühmten Rosenadagio zu halten. Welcher gehört denn das Herz des Enthusiasten? „ Ich liebe sie alle.“ Und er liebt seine Position zwischen den Stühlen. „Ich bin Pianist. Doch ob auf der Bühne oder im Studio, ich spiele immer für Ballett.“ Wenn Igor Zapravdin, der in den 20 Jahren seines Hierseins kaum Zeit gehabt hat, perfekt Deutsch zu lernen, das Wort Ballett ausspricht, hebt er die Arme, neigt den Kopf, dreht die feurigen Augen gen Himmel, haucht die Konsonanten. Der Schwärmer zeigt, dass er auch der Schauspielkunst einiges abgewinnen kann.

Beobachtet man Igor Zapravdin an seinem Arbeitsplatz, dem Flügel im Ballettsaal, dann glaubt man ihm gern, wenn er (Augenaufschlag inklusive) beteuert: „Wenn ich ins Studio komme, bin ich in einer anderen Welt, ich vergesse alles außerhalb.“ Mit seiner langjährigen Erfahrung, könnte er glatt selbst eine Probe leiten. Hie und da muss er sein Wissen auch teilen. Wenn der Probenleiter (oft ist es Manuel Legris selbst) gerade beschäftigt ist, lockt der Maestro die Solistin ans Klavier und flüstert ihr gestenreich ins Ohr, wie sie ihr Plié verbessern könnte. „Dass ich tanzen gelernt habe, hilft mir sehr. Und ich glaube ich kann auch Manuel helfen, ich bin ja der Musikassistent bei den Proben. Und Manuel ist ein so großer Künstler, sein Stil ist unnachahmlich und er fühlt die Musik so gut. Er gibt nicht auf, bis alles perfekt ist. Immer wieder sagt er Stopp. Das ist soo gut.“

Die Frage, ob diese Wiederholungen nicht langweilig werden, ist überflüssig. Wem wird seine Passion schon langweilig? Damit aber auch den Tänzerinnen und Tänzern beim Training nicht langweilig wird, hat Igor Zapravdin eine Musik-CD für die Spitzenschule zusammengestellt: Für die Exercises an der Stange, für Pirouetten und Fouettés hat er Raritäten der Ballettmusik aus den Archiven geholt und für Klavier arrangiert. „Da kann ich Improvisieren, das mag ich besonders.“ Wenn die Oper Ferien macht, ist Meister Zapravdin als Pianist bei Festivals in ganz Europa engagiert und wenn das Wiener Staatsballett demnächst nach Monte Carlo und später nach Japan reisen wird, wird auch Igor Zapravdin sein Rüschenhemd in den Koffer legen. Und das Privatleben? Der verständnislose Blick sagt alles: „Meine Frau ist das Ballett. Meine Wohnung das Studio. Meine Familie das Ensemble.“ Wie so oft wird der Liebhaber auch bei der Premiere von „Dornröschen“ bescheiden im Hintergrund der Dienstloge sitzen und verzückt genießen.

„Dornröschen“, Wiederaufnahme des Ballett von Peter Wright nach Marius Petipa, Wiener Staatsoper, 21. Dezember 2011.

Das Porträt ist am 25. 11. im "Schaufenster"  der Tageszeitung "Die Presse" erschienen.