Hauptkategorie: Magazin
claudebessyDie Liste der Namen der Étoiles des Pariser Opernballett, die in der Ära Claude Bessy die Schule absolviert haben, ist lang. Einer von ihnen war Manuel Legris. Nun lud er als Wiener Ballettchef seine ehemalige Lehrerin nach Wien ein, um mit SchülerInnen der Ballettschule der Wiener Staatsoper ihre Choreografie „Concerto en Ré“ einzustudieren.

Madame Claude Bessy ist ein Phänomen. Nicht nur, dass sie dreißig Jahre, von 1972 bis 2004 die Ballettschule der Pariser Oper geleitet hat, dabei die Schule reformiert und neue Räumlichkeiten in Nanterres durchgesetzt hat. Die 1932 geborene Pariserin strahlt noch immer die Autorität einer Führungspersönlichkeit aus, die gleichermaßen geschätzt wie gefürchtet war. Was war wohl ihr Erfolgrezept, mit dem sie so viele der weltbesten TänzerInnen – neben Manuel Legris zählen dazu unter vielen anderen Marie-Claude Pietragalla, Aurélie Dupont, Agnes Letestu oder  Nicolas Leriche – hervorgebracht hat? „ Glück“, sagt Bessy. „Man muss natürlich das Potenzial haben. Man sagt mir nach, dass ich ein gutes Auge für die Auswahl von Tänzern habe und ihre Qualität schnell erkenne. Ja, ich sehe in einem Schüler sofort die Möglichkeiten für die Arbeit, die ihm die Natur gegeben hat. Also hatte ich Glück, sie auszuwählen, aber auch, dass sie sich überhaupt beworben haben. Es gibt bei den Schülern immer den Wunsch und den Willen zu tanzen, aber mir sind innerhalb von zehn Jahren Plejaden von Étoiles zugefallen. Wirklich unglaublich. Natürlich geht es auch um eine Reflexion über den Tänzer, über seine Qualität, seine Unzulänglichkeit, über die Arbeit mit den Lehrern und die Arbeit, die die Tänzer selbst machen.

Es genügt nicht, sich zu bewegen, man muss auch denken. Man muss intelligent sein und verstehen, wie diese Maschine funktioniert und wie man vorwärts kommt. Denn es ist der Kopf, der die Beine dirigiert. Es gibt keine Wunder. Ohne nachzudenken, erreicht man nichts.“

Als eine der wichtigsten Lektionen nennt Bessy, Geduld zu vermitteln, auch, und vor allem, wenn die ElevInnen außergewöhnliche Begabungen sind: „Man muss sie manchmal antreiben, aber manchmal auch bremsen, denn die Jungen wollen immer alles und das möglichst schnell machen. Sie müssen verstehen lernen, dass es Zeit braucht, die Technik zu assimilieren, die man dann jederzeit zur Verfügung hat.“

Claude Bessy hat daher während ihrer Direktion ein neues System mit drei fixen Stationen eingeführt, das nun auch von der Ballettschule der Wiener Staatsoper übernommen wird. Während des Schuljahres finden öffentliche Demonstrationen statt, bei denen Klassen und im Unterricht erarbeitete Choreografien gezeigt werden. Einmal pro Jahr gibt es eine Ballettaufführung, bei der die ElevInnen ihre Technik erproben können. Und am Ende des Jahres gibt es die Abschlussprüfungen. „Diese drei Stationen im Schuljahr sind die Pfeiler, die den SchülerInnen immer etwas Neues bringen und sie zusätzlich motivieren. Denn es ist so schwer, tagein, tagaus, sechs, sieben Jahre lang, immer das Gleiche zu machen. Jeden Tag an die Stange, und auch wenn man die Übungen wechselt, es ist immer das Gleiche. Und man muss ihnen auch vermitteln, dass das ihr ganzes Leben als Tänzer so sein wird. Von zehn bis 45 Jahre heißt es jeden Morgen an die Stange! Das ist das Spezielle unserer Welt.“

Darüberhinaus fanden unter der Direktion Bessy andere, nicht-klassische Tanztechniken Eingang in das Curriculum, denn: „Heutzutage ist ein Tänzer aufgerufen, alles zu tanzen. Also muss man in den Kursen zumindest die Basis von zeitgenössischem Tanz, Jazz usw. mitgeben. Außerdem ist es heute schwierig Arbeit zu finden. Es gibt nicht immer genügend Plätze im Corps de ballet, aber die Tänzer sollen die Jahre der Ausbildung nicht verlieren und auch woanders Arbeit finden können. Sie müssen also alles im Gepäck haben, um sich auszudrücken. Man muss ihnen die Türen öffnen. Ich habe viele Schüler, die in ander Bereiche des Tanzes gegangen sind, choreorgrafieren, ihre eigene Gruppe gegründet haben, aber auch Schüler, die völlig andere Berufe ergriffen haben, Ärzte, Anwälte oder Zahnärzte geworden sind, die aber eine gute Erinnerung an die Schule haben.“

Dass es einen spezifisch französischen Stil gibt, bestreitet Madame energisch. Klassisches Ballett ist überall gleich und wird überall mit der gleichen Leidenschaft getanzt, und: „ Auf der ganzen Welt wird der klassische Tanz auf französisch unterichtet. Voilà!“

Aber vielleicht gibt es einen speziellen Esprit, der dadurch entsteht, dass HaupttänzerInnen der Compagnie nach ihrer Tänzerkarriere in leitende Positionen in der Ballettcompagnie und in der Schule aufsteigen?

„Ja“, stimmt Claude Bessy zu. „Glücklicherweise konnte man das beibehalten. Alle meine Lehrer hatten dieselbe Ausbildung und die Lehrer jetzt auch. Das ist ein außergewöhnliches Atout.“

Über die Wiener Situation könne sie nichts sagen, denn: „ich kenne mich hier nicht aus. Hier gibt es vielleicht weniger gute Voraussetzungen als in Paris mit der Oper und der anhaltenden Kontinuität. Es ist vielleicht etwas schwieriger, ich weiß es nicht. Es kommt natürlich darauf an, welche Chance man dem Ballett gibt.“

Mit der Arbeit an ihrer Choreografie vor etwa vier Wochen, als auch unser Gespräch stattfand, war Madame jedenfalls hochzufrieden. „Es geht gut voran. Natürlich gibt es noch Feinarbeit zu tun, aber in einem Monat wird das perfekt sein. Kein Problem.“

Und weil es so gut lief, hatte Claude Bessy diesmal auch die Chance, Wien kennenzulernen und ist von der Stadt überrascht: „Magnifique, une très belle ville“, schwärmt sie. Zwar war sie als Tänzerin Anfang der 1950er Jahr schon einmal hier und choreografierte 1973 die Ballettkomödie „Der Bürger als Edelmann“ im Burgtheater, aber wie das halt auf Tournee so sei, kenne man nur das Theater und das Hotel. „Jetzt ist es eine Freude, in der Stadt spazieren zu gehen.“

Von dem „schwierigen, vereinnahmenden Beruf“ zuerst als Tänzerin und seit 1956 als Étoile der Pariser Oper, dann als Ballettdirektorin und Pädagogin hat sie sich zwar noch nicht ganz verabschiedet, mache aber nur das „worauf ich wirklich Lust habe, ein bis zwei Sachen pro Jahr“. Im Herbst wird sie die Wiederaufnahme von „Phèdre“ von Serge Lifar (Bühnenbild: Jean Cocteau, Musik: Georges Auric) an der Opéra de Paris leiten und ein Ballett für die Pariser Ballettschule choreografieren.

Matinee der Ballettschule der Wiener Staatsoper, 26. Juni 2011 in der Wiener Staatsoper