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b.krausDie Wiener Live-Artistin erfindet sich und anderen eine Welt von Überlebenskünstlerinnen, die so sein dürfen, wie sie sind und trifft damit mitten ins Sonnengeflecht. Jetzt ist sie eine Pippi im Netzwerk der Pippibande. Die Pippis setzen sich mit dem Publikum zusammen, um zu erforschen, wie der Schmerz in Handlungsfähigkeit gewandelt werden kann. Eine Performance von und mit Barbara Kraus.

Barbara Kraus ist nicht Barbara Kraus. Zumindest behauptet sie das manchmal. Ist Barbara Johnny? Ist Johnny Barbara Kraus mit Schnurrbart und Sonnenbrille? Schwer zu sagen. Oder ist Barbara Kraus eigentlich Sethi, und kommt aus einer anderen Galaxie? Wer aber ist dann der als Zenmeister wiedergeborene Schneehase und woher kommt Aloisia Schinkenmaier? Eine Antwort ist nicht zu erwarten. Eines haben jedoch all diese höchst lebendigen Wesen mit der Live-Art-Künstlerin und Performerin namens Barbara Kraus gemeinsam: Sie suchen ein kleines bisschen Glück, ein wenig Anerkennung und Aufmerksamkeit und bestimmt ganz viel Liebe. Unverdient, einfach so.

Das ist verständlich und passt auf jeden Menschen, sagt aber noch immer nichts Wesentliches über Barbara Kraus. Es muss an offizieller Stelle angefragt werden. Wiki hat ihr noch niemand eines angelegt, vielleicht hat sie das auch verboten, denn Barbara Kraus – die Barbara Kraus, die im Büchercafé Phil sitzt und tapfer am erkalteten Ei nagt – ist scheu. Nicht wenn sie die Haut eines der Wesen überzieht, die ihre Welt bewohnen und vor Publikum auftritt. So lässt sich schon die eine oder andere sachliche Biografie über eine Frau namens Barbara Kraus finden.

In Kürze: geboren am 9. April 1966 in Wien, die ersten Kinderjahre bei der Oma im Dunkelsteinerwald verbracht (spricht deshalb auch mehrere Sprachen). Schon als kleines Kind und während sie als Gärtnerin, Köchin, Masseurin und Putzfrau jobbte fiel ihr auf, dass der Kontakt zwischen ihrer und der Welt der anderen ziemlich schwierig ist Da zog es sie auf die Bühne, wo man ja nicht unbedingt sein Innerstes nach außen kehren muss, man hat ja Kostüm und Maske. Ab nach Amsterdam, wo sie in der „School for New Dance Developement“ ihren Körper und sein Potential kennen lernte. Mit dem Abschlussstück, „the writing on my father’s hands“ stellte sie sich 1995 mit dem Wiener Publikum vor. Seit dem ist die zartgliedrige Frau mit den großen braunen Augen und den perlenkleinen Zähnen (manche sind spitz) von den Bühnen in Wien oder Zürich, Berlin oder Belgrad nicht mehr wegzudenken. Falsch – auf der Bühne steht B. Kraus niemals, weil sie erstens kaum steht, sondern dauernd in Bewegung ist und zweitens die vierte Wand längst nieder gerissen hat. Wenn B. Kraus steht, geht, hüpft, spricht, singt, Kostüm und Identität wechselt, dann mitten unter ihrem Publikum, mehr oder weniger. Dieses hat wenig Chance passiv vor sich hinzudämmern, es ist, schon wenn es den Raum betritt, zum Mitspielen verdammt. Selbst wenn die eine oder andere sich weigert, sie ist mitgefangen, wenn „Barbara Kraus ihre Lieblingsperformance spielt“. Zwang auszuüben liegt der Formenwandlerin (Shapeshifter, so nennt sie sich manchmal) aber fern. Die Performance als Einladung: „Wer will, kann kommen“.

Soll Barbara Kraus über sich selbst sprechen, so spricht sie über ihre Kunstform und beschreibt diese, als „den Versuch, mit allem, was sich zeigen will, Freundschaft zu schließen“. Gerne will sie Sprachrohr für Unausgesprochenes und Unaussprechliches sein und ihre Figuren über alles reden lassen, „worüber sonst geschwiegen wird“. Hat sich das Publikum an den etwas rüden Ton von Johnny schon gewöhnt, so wurde es durch Aloisia Schinkenmaier („Auf Teufel komm raus!“) neuerlich verstört. Die Bäuerin – sie ist nicht konstruiert, sondern Kraus plötzlich auf dem Klo begegnet – hält es nämlich mit den Teufeln. Mit süßer Stimme lockt sie den Satan in ihre Arme. Auch das Verteufelte gehört zu uns und unsere Dämonen sollen unsere Freunde werden. Man lacht, man erschrickt, man erkennt, vielleicht sogar sich selbst.

Die erfundene Welt der Barbara Kraus ist nur eine Lebensform, die andere ist ganz realistisch, voll sozialem und gesellschaftlichem Engagement. Der dreiteilige Abend „Auf der Flucht“ ist gemeinsam mit fishy (dem künstlerischen Freund und Produktionsleiter) entwickelt worden und in Kooperation mit der Strassenzeitung „Augustin“ in Form einer Talkshow gezeigt worden; mit „If silence could speak and someone would listen“ ist sie den Zusammenhängen zuwischen familiärem und kollektivem Schweigen nachgegangen; „Eine Fahrt ins Grüne“ entstand aus der Beschäftigung mit Flüchtlingen in Traiskirchen.

Neuerdings hat Kraus auch ihre Liebe zum Unterrichten entdeckt. „Andere zu unterstützen und zu ermutigen, ihr Potential auszuschöpfen, stellt fast mehr zufrieden als das Auftreten. Auch der glücklichste Moment in einer Performance ist ja gleich wieder vorüber. Es bleibt nichts.“ Natürlich ist das Ziel eines Trainings mit Barbara Kraus nicht glatte, seelenlose Perfektion, im Gegenteil, sie will zur Unvollkommenheit ermuntern. „Ohne das Scheitern ist Vollkommenheit nicht möglich. Der Absturz interessiert mich und ich habe eine Sympathie für das, was schwierig ist, eine Freundlichkeit gegenüber dem Scheitern. Try again, try better. Ganz im Sinne Samuel Becketts.“ Zwar arbeitet sie in der Vorbereitung im Team, aber am Ende ist sie allein. „So spiegeln meine Aufführungen ein Stück weit das Leben wieder. Nichts ist berechenbar, aber ohne Risiko gibt es keine Entwicklung.“ Deshalb hat Barbara Kraus auch keine Rezepte und wenig fixe Antworten. „Das hieße zu erstarren. Sich in der Unsicherheit wohlzufühlen, sich mit der Vergänglichkeit des Lebens zu befreunden, das kann auch Geborgenheit geben.“

Neuerdings also heißt es „Schiff ahoi“ auf der Suche nach dem Glück. Die Glückssuche samt Teezeremonie ist am Nachmittag, ist nicht nur pure Theaterkunst. Die Pippibande existiert nicht nur auf der Bühne, sondern auch real. Sie ist ein Netzwerk von sechs Frauen aus den Bereichen Kunst, Ökonomie und Ethik mit der Zielsetzung die Themen der Nachhaltigkeit,  der sozialen Gerechtigkeit (ein gutes Leben für alle) sowie Verteilungsfragen in den Mittelpunkt ihrer gemeinsamen Aktionen, Performances, Veröffentlichungen und Kooperationen zu stellen. Die Performance ist eben, wie vieles bei Barbara Kraus, nicht Selbstzweck sondern Mittel zum guten Zweck.

Barbara Kraus / Claudia Heu / Michael Moser: „Pippibande: Sweet Gathering Nr.1 Schiff Ahoi oder drei mal drei ist vier.“ 9. 4., 2011,  15 Uhr, Tanzquartier Wien / Studios

„voices oft he unknown – the breath of silence“,  die neue Performance von Barbara Kraus ist am 6. und 7. Mai 2011 im Tanzquartier Wien zu sehen.