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dadon0Der israelische Choreograf Eyal Dadon bringt im Staatstheater am Gärtnerplatz in München die Gefühlswelten aus Oscar Wildes Einakter „Salome“ zum Tanzen. Dass interaktive Bausteine seine Kreation und jede Vorstellung beeinflussen, ist Besonderheit und Herausforderung seiner Uraufführung „Salome Tanz“.

Eyal Dadon, geboren 1989,  gründete 2016 die SOL Dance Company in seiner Geburtsstadt Beer Sheva im Süden Israels. Bevor er zu choreografieren begann, machte er sich als Tänzer in der Kamea Dance Company und ab 2010 in der Kibbutz Contemporary Dance Company einen Namen. Sein Duett „Pishpesh“ gewann 2015 den 1. Preis beim Internationalen Choreografen-Wettbewerb in Hannover. Gärtnerplatz-Ballettchef Karl Alfred Schreiner holte den israelischen Künstler zwei Jahre später erstmals nach München – für die inzwischen deutschlandweit bekannte „Minutemade“-Reihe. „Salome Tanz“ ist Dadons erster Abendfüller für ein großes Haus.

Tanz.at: „Salome“ von Oscar Wilde wird eher selten aufgeführt. Richard Strauss’ Oper, die darauf fußt, zählt dagegen zum Kernrepertoire. Wie bringen Sie den Stoff choreografisch auf die Bühne?

Eyal Dadon: Ganz anders – nicht wie Strauss. Unser Ansatz, das Stück auf der Bühne umzusetzen, ist grundverschieden. Tanz vermag viel abstrakter zu sein. Liebe, Hass, Glück, Traurigkeit, Adrenalin, Langweile, Neugier – wir alle kennen diese Gefühle. Dennoch ist für mich aufregend neu, was wir hier versuchen. Egal, ob die Leute es mögen oder nicht. Wenn es sie zum Nachdenken bringt, bin ich happy.dadon3

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie in München arbeiten.

Karl Alfred Schreiners Einladung zu „Minutemade“ im Sommer 2017 war meine erste Kreation in Europa. Dann war ich bei Gauthier Dance in Stuttgart. Jetzt bin ich erneut hier in München, und in zwei Monaten werde ich nach Wiesbaden zum Hessischen Staatsballett gehen. Den Draht zu Deutschland bekam ich 2015, als mein Duett „Pishpesh“ den 1. Preis beim Internationalen Choreografen-Wettbewerb in Hannover gewann. Mit „Salome Tanz“ erarbeite ich mein erstes abendfüllendes Werk an einem großen Haus. Sonst habe ich sieben, maximal 10 Tänzer, kein Orchester, keine Dreh- oder Hebebühnentechnik, keine zuarbeitenden Werkstätten oder Teams, die dem Stück aufhelfen. Eine aufregende Erfahrung.

Zwei Werke von John Cage für präpariertes Klavier, Schubert und als Basis Franz Schrekers Kammersymphonie von 1916. War das Ihre eigene musikalische Auswahl?

Nein, eine gemeinsame. 80 Prozent davon hätte ich sonst nie benutzt. Ich selbst komponiere elektronische Musik. Auf die produktive Klassik-Annährung mit dem Dirigenten Michael Brandstätter habe ich mich aber gern eingelassen. Im Ping-Pong-Verfahren haben wir Musik aller Kategorien ausgetauscht, unsere Geschmäcker und emotionalen Sensorien ausgetestet. Ein harter, alles in allem aber sehr den Geist öffnender Prozess. Abschließend lag es bei mir, Musikteile, Tänzer und meine Bewegungsideen richtig in Einklang zu bringen.

Warum ausgerechnet „Salome“?

dadon2Karl Schreiner und ich haben lange diskutiert, wie man das Münchner Publikum herausfordern könnte. Es ist ihm wichtig, die Zuschauer einzubinden, ihnen das Gefühl zu geben, dazu zu gehören. Ich liebe Computerspiele, Comics, Bücherlesen, Lego... Wir hatten tausend Ideen! Da schlug Karl vor, etwas auszusuchen und mit dem größtmöglichen Kontrast zu amalgamieren. Zum Beispiel Videospiel-Ästhetik mit „Salome“. Die biblische Geschichte kannte ich, Wildes Version dagegen nicht. Erst nachdem ich sie fünf oder sechs Mal gelesen hatte, sagte ich zu.

Was hat Sie überzeugt?

Mir sprang Wildes leichte Art des Schreibens, die Tiefe seiner Beschreibungen ins Auge. Er spricht so einfach von Liebe, von Tod, über Menschen, die sich umbringen oder andere töten. Das inspirierte mich. Außerdem fühlte ich eine Verbindung zu dem, wie ich das Leben und heutige soziale Umstände sehe. Wir verkomplizieren so viel. Doch ich versuche, alles leicht zu nehmen, mich immer mit positiver Energie zu umgeben – auch wenn Unangenehmes um uns herum geschieht.

Schwarz/rot, Kammer/Käfig, Mond/Sonne, Ketchup/Mayonnaise: In vier Votings konnte die Öffentlichkeit via Theaterwebsite schon beim Entstehungsprozess mitentscheiden. Haben Sie sich die Eins-zu-eins-Übertragung nicht zugetraut?

Mein Ausgangsgedanke war, dem Buch wortwörtlich zu folgen. Mir schwebte ein Stummfilm à la Charlie Chaplin vor: Zwei Soldaten reden auf der Terrasse über Salome, der syrische Wachmann lenkt das Augenmerk auf den Mond… Aber dann wollte ich herausbekommen, welchen anderen Blickwinkel es gibt, um Wildes Drama zu erzählen.

Greifen Sie eine andere Perspektive auf?

Als Narraboth sich tötet, fällt er Salome und Jochanaan zwischen die Beine. Doch die scheren sich kein bisschen darum. In meinen Tanzstück will ich genau diesen Moment beleuchten, in dem jemand sich aus Liebe bzw. Eifersucht das Leben nimmt. Ich will die Gefühle vor dem Selbstmord – Wildes ungeschriebene Worte – herausheben, das Empfinden der zwei anderen Personen, wenn der tote Körper zwischen sie knallt. Meine Absicht ist zu zeigen, was bei Wilde zwischen den Zeilen steht.

In dem ursprünglich französischsprachigen Wilde-Stück wird ja fast ständig gestritten.

Die Juden des Stücks streiten und argumentieren ohne Unterlass über Gott. Jeder hat seine eigene Ansicht. Letztendlich kommen sie zu einer Lösung. Das brachte mich darauf, zwei Parteien in einen Krieg zu verwickeln. Am Ende tötet ein Tänzer einen anderen. Alles jubelt und vergisst, worum es eigentlich ging. Vergleichbar heutigen Menschen, die Geschichte und Ereignisse einfach verdrängen, damit ihr gewohnter Alltag weiter gehen kann.

Wieviel Handlung darf man von den 80 Minuten Spielzeit ohne Pause erwarten?

Manche werden einiges wiedererkennen, andere völlig abweichende Assoziationen haben. Das schätze ich am zeitgenössischen Tanz. Für mich funktioniert der Abend, als würde man ins Buch eintauchen und alles darin wahrhaftig werden. Im Look eines Stummfilms, in fünf Kapiteln mit Übertiteln. So stelle ich mir Salomes Welt, wie Oscar Wilde sie heraufbeschworen hat, vor. Passiert etwas Schlimmes, wo sind dann die Unterschiede zwischen Realität und virtueller Fiktion? Welche Folgen hat es, wenn ein Tänzer den Kopf verliert? Für wen muss man sich halten, um andere zum Schweigen zu bringen? Dazu haben wir passendes Bewegungsvokabular recherchiert. Egal in welchem Medium heute – wir sind stets Schatten unserer inneren Bilder. Was wir kennen, grenzt gleichzeitig auch unser Kreations- und Wahrnehmungsvermögen ein.dadon1

Wird auf konkrete Rollenträger verzichtet?

Es wird sie geben, jedoch nicht in herkömmlicher Weise. Anfangs haben wir alle Rollen bestimmten Tänzern zugeteilt. Mit der Zeit – und je öfter ich Wildes Text las – verstärkte sich der Eindruck, die Charaktere seien gar keine echten Menschen. Vielmehr stellt jeder eine Persönlichkeit dar. Ich fand es interessanter, die Eifersucht des syrischen Hauptmanns, Herodes Herrschaftsgewalt, Salomes Ego und Herodias’ manipulatorisches Vorgehen sowie die grundsätzlichen Entscheidungen der Figuren dieser Geschichte sichtbar zu machen.

Keine Vorstellung wird der anderen gleichen?

Salome opfert ihren Körper, indem sie für Herodes tanzt – nur weil sie weiß, dass sie dann Macht über ihn besitzt. Nichts anderes machen Länder und Politiker, um im Austausch etwas zu erhalten. Menschen müssen beständig eine Wahl treffen. Um in der Aufführung spontan zu bleiben und herauszufinden, wie sich die emotionale Seite und Bewegung beeinflussen lassen, muss das Publikum live für uns über den Fortgang entscheiden.

Mittels Interaktion?

Es wird vier Fragen geben. Eine zum Verständnis des Prinzips, die restlichen mit großer Auswirkung auf das Geschehen. Nach jeweils 15 Sekunden machen Live-Kamera und UV-Licht das Ergebnis öffentlich. Die Stimme jedes Einzelnen – auch wenn er passiv bleibt – hat Einfluss. Deshalb lege ich allen nahe, sich zu beteiligen.

Und wenn es keine Mehrheit gibt?

dadon portraitDann fragen wir nach, bis das Resultat eindeutig ist.

Das erinnert an Demokratie heutzutage. Was beflügelt sie als Choreograf?

Mich inspiriert das Leben, die Leute um mich herum. Das spiegelt sich in meiner Arbeit wider. Ich mag es, wenn Zuschauer sich angesprochen fühlen. Allerdings hatten sie noch nie so viel Einfluss wie hier! Zudem mag ich diesen Spannungszustand, außer Kontrolle zu sein. Alles, was man tun muss, ist zu schweben – und das Gegenwärtige zu genießen. Was auch immer passiert.

 „Salome Tanz“, Premiere am 28. Februar im Staatstheater am Gärtnerplatz. Weitere Vorstellungen am 1., 3., 6., 12., 13. März; 3., 22. April